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Er hatte sie vor vielen Jahren
zuerst bestiegen, und sie rief
nach ihm, so schien es, wenn er schlief,
um es noch einmal zu erfahren.

Und war er nun auch alt geworden
und fügte sich des Lebens Lauf,
so brach er eines Nachts doch auf,
und sollte sie ihn auch ermorden.

Stand ihr zu Füßen, sah die Schatten
der Wolken, die mit schwarzer Hand
sie streichelten, und trank gebannt
das Mondlicht von den Felsenplatten.

Dann griff er zu. - Die Fingerkuppen
in Knöchelgrübchen eingehängt,
zog er sich, eng an sie gedrängt,
empor und fühlte Kalksteinschuppen.

Sein Fuß betrat die zarten Kehlen
am zweiten Pfeiler, und er kroch,
schwer atmend schon, zum Stollenloch,
um sich im Riss hinauf zu quälen.

Dort harrte er, begann zu zittern.
Die Altersschwäche fiel ihn an.
Die Wand jedoch schien ihren Mann,
ihr Glück, an seinem Schweiß zu wittern.

Gleich schmiegten sich die grauen Steine
an seine glühend heiße Stirn,
und kühlend fiel vom Gipfelfirn
in Schleiern eines Rinnsals Leine.

Der Mond, der stille Wegbereiter,
erleuchtete die rote Fluh,
und des Belebten Kletterschuh
stieg nun schon durch das Eisfeld weiter.

Vom Götterquergang in die Spinne,
ihr weißes Netz hing in der Wand,
kristallen glitzernd jedes Band
umschlang es zärtlich seine Sinne.

Unendlich groß war dann die Wonne,
als er, soeben wich der Mond,
den letzten Schritt tat und belohnt
ins Weite sah in erster Sonne.

Zur Wand hin, die ihm das bereitet,
verneigte er sich, nun am Ziel -
und hob den Kopf nicht mehr und fiel
ins Tal, so freundlich hingebreitet…

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Lieber gummibaum,

 

ich erinnere mich noch gut, wie ich damals an anderer Stelle das Gedicht gelesen und zunächst die erotische Ebene gar nicht gesehen habe. Nun wünschte ich, ich könnte das Gedicht noch einmal so unschuldig lesen und mich wieder von dem im Offensichtlichen Verborgenen überraschen lassen. Das geht leider nicht mehr. Nie kann man etwas zwei mal zum ersten Mal machen.:wink:

 

Allerdings ist es mir immer noch eine Freude, das Gedicht zu lesen, weil es richtig gut geschrieben ist. Sehr beeindruckend, wie du über so viele Strophen hinweg Details über den Hang und die Besteigung sinnbildlich für den Geschlechtsakt beschreibst!:smile:

 

LG

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Hallo gummibaum,
so eine letzte "Besteigung" wünscht sich wohl jeder "(Berg)Steiger."
Gern Mitgefiebert und LG
Perry
PS: Ich habe mich mal thematisch ähnlich an der "Jungfrau" in den Schweizer Bergen versucht.

jungfrau

nur einen seufzermoment entfernt bist du
eine himmlische versuchung erhebts dich von
nebelschleiern umhüllt aus dem gletscherbad

vor meinem inneren auge sehe ich ein graziles
geschöpf mit geröteten wangen im eisigen gesicht
vielleicht zu jung für die glut im lockenden blick

ohne markierungen im weglosen gelände ist es
eine gratwanderung bis zum höchsten punkt
schweizer gipfelküsse sind wie ein versprechen

 

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Hallo gummibaum,


beim ersten Lesen deines Gedichtes habe ich den erotischen Subtext glatt übersehen. Jedoch allein als eine letzte Bergbesteigung eines alten Kletterers gelesen, finde ich dieses Werk sehr beeindruckend. Die Bilder, die Stimmungen, die genauen Beobachtungen ... Klasse. Nun, da ich auch um die klar erotische Konnotation weiß, und erkenne wie kunstfertig du beides verflochten hast ... Wow.


Habe dein Gedicht mit Genuss gelesen.
LG, Berthold 

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Danke, liebes Schmuddelkind,

dass du noch einmal deine anerkennenden Worte darüber ausstreust. Ich freue mich.

 

Danke, lieber Perry,

für "mitgefiebert" und dein schönes Gedicht. Es hat die Schönheit der "Jungfrau" und die Versuchung, sie zu besteigen, bestens zum Ausdruck gebracht.

 

Danke, lieber Berthold,

für dein "Wow". Solche kunstvollen Verflechtungen liebe ich.

 

 

Euch beste Grüße von gummibaum   .

 

 

  

 

 

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