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Eine Blume Asiens ( Teil 10 )


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Es wunderte mich nicht, dass ich mit einer miserablen Laune aufstand. An diesem Morgen konnte auch Li‘s Bild kein Licht in meine düstre Stimmung tragen. In den Stunden des herannahenden Tages hatte sich in meinem Kopf abgezeichnet, dass es für uns kein Glück geben konnte. Zu viel Stand einfach gegen uns, zu viel, dass keiner von uns bereit wäre aufzugeben. Ich wusste nur noch nicht, wie ich es meinem Herzen beibringen sollte und wie ich die Dutzenden von Schmetterlingen in die Freiheit entlassen könnte, ohne daran zugrunde zu gehen.

Da mir die Situation nicht neu war, suchte ich Heil in meiner Arbeit. Es gab mehr als genug zu tun und um nicht immer wieder an Li erinnert zu werden, öffnete ich von da an ihr Bild nicht mehr. Die Ablenkung und den damit verbundenen Schmerz wollt ich zukünftig vermeiden. Als Mike dann auch noch unerwarteter weise anrief und mit mitteilte, dass die Geschäftsleitung noch einmal Erweiterungen am Konzept vorgenommen hatte, war auch für genug Ablenkung gesorgt. Wir telefonierten über eine Stunde, um die Rahmenbedingungen neu zu erörtern und das weitere Vorgehen abzustimmen.

Ich erzählte ihm von Bo und dass ich mehr Geld bräuchte, wenn er langfristig mithelfen sollte. Wie von Mike versprochen, aktivierte er sein frei liegendes Budget und fünfzehn Minuten später erhielt ich einen gesonderten Auftrag, über den ich die Einarbeitung von Bo abfedern konnte. Alles andere würde dann über das Projekt Volumen abgerechnet. Die Geschäftsleitung hatte nach der nochmaligen Erweiterung der Umfänge auch ein Einsehen und Mike gab meine Kalkulation ungeprüft weiter und schlug sogar noch zehn Prozent obendrauf. Der Geschäftsführer gab ihm seinen Friedrich Wilhelm und so hatte ich mehr als genug Arbeit und ein doch sehr erfreuliches Budget, was mir garantieren sollte, mit Gewinn aus dem Projekt herauszukommen.

Die Tage wurden dann sehr angespannt und wenn es mir auch nicht ganz gelang, Li aus meinem Kopf und aus meinen Träumen zu verdrängen, nahm die Intensität Tag für Tag etwas ab. Vormittags musste ich richtig Gas geben, damit Bo am Nachmittag genug Futter zum Bearbeiten hatte. Dann skypten wir viel miteinander, um das Vorgehen zu besprechen und Probleme in der Programmierung zu lösen. Ab und zu nahmen wir uns auch einmal die Zeit, privates auszutauschen und so erfuhr ich zum Beispiel, dass Bo mit Li über drei Ecken miteinander verwandt und Li auch schon einmal mit einem Chinesen verheiratet war. Die Ehe scheiterte aber, weil ihr Gatte wohl allzu traditionelle chinesische Vorstellungen von der Rolle der Frau in einer Ehe hatte. Was das genau bedeutete, verriet mir Bo nicht, aber inzwischen hatte ich mir grobe Einblicke von der chinesischen Kultur erworben, dass ich zumindest beurteilen konnte, dass deine Familie viel der westlichen Kultur angenommen hatte, was nicht verwunderlich war, wenn man bedenkt, wie jung Li‘s Vater noch war, als er emigrierte.

Bo und ich schafften es tatsächlich noch vor dem Wochenende das grobe Konzept fertigzustellen. Ich lud es in einen geschützten Bereich ins Internet hoch und am späten Abend skypte ich mit Mike und dem Geschäftsführer, um das Konzept durchzusprechen. Auch wenn der Geschäftsführer äußerst zufrieden mit dem Projektfortschritt war, wollte er einige Änderungen umgesetzt haben, die ich ihm montags schon vorlegen musste, damit er sie absegnen konnte, da er die Tage danach im Ausland verbrachte und kein freier Termin mehr zur Verfügung stand.

Bo war das ganze Wochenende mit seiner jungen Familie verplant und konnte mich nicht unterstützen. So blieben die Änderungen an mir hängen, was sich im Nachhinein aber als vorteilhaft herausstellte, da es wesentlich einfacher war, das allein durch und umzuarbeiten, als permanent zu skypen und zu erklären. So konnte ich auch diese Hürde erfolgreich nehmen, wenn ich auch kaum Zeit zum Luftholen hatte. Von Li hörte ich in den Tagen nichts, was die Sache für mich vereinfachte, wenn ich auch noch nicht genau wusste, wie ich es zu einem Ende führen sollte, obwohl es eigentlich nichts zu beenden gab.

Montagnachmittag erhielt ich den Auftrag, das Projekt auf der Basis des Entwurfs weiter voranzutreiben. Der erste wichtige Meilenstein war also geschafft und nach dem Skypetermin mit Mike und dem Geschäftsführer verbrachte ich den Abend damit, Bo zu erklären, was ich alles geändert und wie es jetzt weiter ging. In dem Zuge erzählte er mir beiläufig, dass er Sonntagabend mit seiner Familie bei Li’s Familie essen war und er mich herzlich grüßen sollte. Allein diese Information reichte aus, um ihre von mir verdrängte Präsenz wie einen Bumerang in mein Bewusstsein zurückzuholen. Danach war an arbeiten nicht mehr zu denken und ich versuchte, meinen Liebeskummer mit Wein zu ertrinken.

Das zweite Glas Wein gerade gelehrt, hüpfte mein Handy von dem Vibrationsalarm angetrieben über den Tisch. Da es auf der Bildschirmseite auf dem Tisch lag, konnte ich nicht sehen, wer anrief, verspürte aber nach diesen Tagen und in meinem desolaten Zustand auch keine Lust nach irgendwelcher Kommunikation und drückte das Gespräch blind weg. Der Rest der Flasche war schnell gelehrt und tat seine Wirkung. Die Anspannung fiel langsam von mir ab und ehe ich begriff, was vor sich ging, war ich bereits auf der Couch eingeschlafen. Mitten in der Nacht wechselte ich ins Bett und konnte zum Glück sofort wieder einschlafen.

Ich erwachte einigermaßen erholt und nahm mir ungewöhnlich viel Zeit, in den Tag zu starten. Anstatt die schnelle Dusche nahm ich ein ausgiebiges Bad mit anschließender Rasur und Nagelpflege. Die Schambehaarung wurde gestutzt und als ich den Schlafzimmerspiegel schaute, wirkte ich mindestens drei Wochen jünger. Der Herzschmerz war unverändert noch der gleiche, er ließ sich einfach nicht vertreiben. Eine große Portion Rührei, dazu einen Pott Milchkaffe stärkten den Energiehaushalt und weil wir gestern den Auftrag für die Ausarbeitung des Entwurfs bekamen, gab es noch ein Nutella Schnitte als Belohnung obendrauf.

Erst danach besuchte ich mein Arbeitszimmer und ging wie gewohnt die E-Mails durch, die sich gewohnheitsmäßig zuhauf ansammelten. Das meiste war Spam, aber auch einiges, was Beachtung verdiente. Bo schrieb zum Beispiel, dass er heute erste eine Stunde später anfangen könnte, was mir aufgrund der bereits vorangeschrittenen Uhrzeit gut passte. Mike beglückwünsche mich noch einmal schriftlich zu der gelungenen Präsentation und erwähnte ausdrücklich, wie angetan sein Geschäftsführer von dem Entwurf sei. Er ließ es sich natürlich nicht nehmen, noch einmal dezent darauf hinzuweisen, was bis zum nächsten Vorstellungstermin alles noch abgearbeitet werden musste. Ich nahm es schmunzelnd zur Kenntnis, denn ich wusste, dass es seine Pflicht als Projektleiter war, sicher zu stellen, dass Termine gehalten wurden.

Danach wieder Spam, Spam, Spam und noch mal Spam, was mich daran erinnerte, dringend meinen Spamfilter zu erweitern. Ich wollte alle E-Mails auf einmal löschen, als mich ein Absender aus dem Augenwinkel heraus irritierte lirestaurantzurlotusblüte@... , im letzten Augenblick stoppte ich den Löschvorgang. Der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, woher hatte sie meine E-Mail-Adresse? Hat sie mich gegoogelt mit Ben Webdesigner? Meinen Nachnamen kannte sie schließlich nicht, da wir uns beide ohne Nachnamen vorgestellt hatten. Vielleicht war es Bo, der sie weitergegeben hat? Was im Grunde genommen nicht in Ordnung war, für mich aber in diesem Fall keine Rolle spielte. So öffnete ich dann gespannt die E-Mail, die das Datum von gestern 23:15 Uhr trug:

Hallo Ben,
ich habe heute Abend versucht, dich anzurufen, aber du hast mich einfach weggedrückt. Wahrscheinlich warst du einfach zu beschäftigt! Ich habe am Sonntag von Bo erfahren, dass du heute den zweiten Präsentationstermin hast und wollte nur nachfragen, ob diesmal alles gut verlaufen ist. Vielleicht hast du ja Lust zurückzurufen. Ich habe morgen Vormittag frei und muss erst am Nachmittag ins Restaurant.

 

Liebe Grüße Li

Und schon waren meine Probleme aktueller denn je, wie sollte ich mich nur verhalten? Warum stand da nicht „Lieber Ben…“ Sondern nur ein schlichtes und nichtssagendes „Hallo Ben…“ Oder warum fragt sie nicht „Wie geht es dir?“ Oder „Ich dachte gerade an dich und wollte.. „
Nichts was mich ermutigen könnte, die schlechten Karten, die auf dem Tisch lagen, einfach außer Acht zu lassen und meinem Herzen zu folgen, auch auf die Gefahr hin, mal wieder auf die Schnauze zu fallen. Ich suchte erst einmal mein Telefon, was noch im Wohnzimmer lag, auf dem Display stand erwartungsgemäß die Meldung:
 
…entgangene Anrufe Li… 21:13Uhr

Sie versuchte tatsächlich nur ein einziges Mal mich zu erreichen, diese Gegebenheit trug entscheidend dazu bei, sie nicht anzurufen, sondern nur schlicht auf ihre E-Mail zu antworten:

Hallo Li,

sorry, dass ich dich einfach weggedrückt habe. Ich hatte gar nicht gesehen, dass du es warst, sonst wäre ich dran gegangen. Nach den letzten Tagen wollte ich einfach nur mal meine Ruhe haben, verzeih! Die Präsentation war dank Bo‘s Hilfe sehr erfolgreich. Wir dürfen jetzt auf der Basis weitermachen und haben noch viel Arbeit vor uns. Danke der Nachfrage!
 

Liebe Grüße Ben
 

Nachdem ich die E-Mail abgesendet hatte, ging es mir keinen Deut besser, das Gegenteil war eher der Fall. Der Blick auf die Uhr erinnerte mich auch daran, dass Bo noch Futter brauchte, um am Nachmittag etwas am Projekt tun zu können. Das Arbeiten war die reinste Qual und ich war froh, als ich das Meeting mit Bo hinter mich gebracht hatte. Danach sagte ich ihm, dass ich Migräne hätte und heute für niemanden mehr erreichbar wäre. Am liebste hätte ich eine neue Flasche Wein aufgemacht, mich aber dann dazu entschieden, den Abend lieber nüchtern zu verbringen. Ich war so richtig durch den Wind und mich suchten sogar Anflüge von leichten Panikattacken heim, ich könnte wegen Liebeskummer das Projekt in den Sand setzen. Ich ging sehr früh ins Bett, nahm zwei Schlaftabletten und konnte mich trotzdem nicht dagegen wehren, noch lange Li‘s Bild auf meinem Handy anzustarren.


 

 

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Hallo, moin lieber Freiform

Es bleibt spannend wie wird Ben oder wie wird Li sich letztendlich entscheiden. Bei einigen Sätzen musste ich leicht schmunzeln. lch weiß nicht, ob es für mich als Leserin so wichtig ist, das Ben sich die Schambehaarung stutzt. Deutete es vielleicht darauf hin, dass er doch mehr von LI möchte. Das werden wir dann sicherlich in Folge 11 von „Eine Blume Asiens erfahren!“

Wieder sehr gerne gelesen und den schönen Klängen gelauscht!

 LG Josina

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Schön langsam lieber @Freiform wirds Zeit, dass LI etwas aktiver wird, sonst sehe ich schwarz. Nur zu warten, was kommt, ist echt zu wenig. Wie du schreibst, gefällt mir unglaublich gut. Ich komme selbst über trockene Passagen der Arbeit sogar mit einer Leichtigkeit, weil diese flüssig und interessant sind. Ein bisschen packt mich selbst die Hektik, wenn ich davon lese - was wiederum nur für den Autor spricht.

Aber ohne Eigenaktivität wird die Sache wohl ein bisschen abgekühlt. Meine ich. So in die Richtung eines schnellen Abstechers, um ein Essen einzunehmen oder ein Zufall, dass sich Mike genau dort - welch ein Zufall - mit dem Kunden und dem LI treffen möchte oder ein einfacher Anruf mit klarer Ansage. Irgend so was liegt mir auf der Zunge.

Dann lass ich mich eben mal überraschen.

LG Sonja

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Hallo Josina,

Am 4.1.2021 um 18:57 schrieb Josina:

Bei einigen Sätzen musste ich leicht schmunzeln. lch weiß nicht, ob es für mich als Leserin so wichtig ist, das Ben sich die Schambehaarung stutzt.

ich finde schon, dass das eine sehr wichtige Information war...:whistling:

Spaß beiseite, es lag schon die Idee dahinter, das der Leser zum schmunzeln angeregt wird, da er dieses Bild nicht erwartet. In so einer langen Geschichte, kann man auch schonmal ein unerwartetes Bild zur Auflockerung einstreuen. 

 

Dankeschön! :smile:

 

Hallo Sonja,

vor 12 Stunden schrieb Sonja Pistracher:

Ich komme selbst über trockene Passagen der Arbeit sogar mit einer Leichtigkeit, weil diese flüssig und interessant sind.

das freut mich sehr zu lesen!
Mir ist bewusst, das ich die trockenen Passagen sehr ausgedehnt habe, mit dem Risiko verbunden, das der Leser das Interesse verliert. Umso mehr freue ich mich, das du trotzdem noch am geschehen teilnimmst!

Dankeschön! :smile:

Wir sind jetzt langsam auf die Ziellinie abgebogen. Vielleicht ist euch aufgefallen, das die letzten Teile etwas länger, als die ersten waren. Ich habe extra einige Teile zusammengefasst, um schneller zu einem Ende zu kommen und eure Geduld nicht unnötig zu beanspruchen. Auch wenn es für das Format der Kurzgeschichte kein genaues Längenmaß gibt, ist es inzwischen doch recht ausgedehnt geworden. Freue mich sehr, das ich euch solange Unterhalten durfte und ihr mir das Gefühl vermittelt, das die Geschichte lesenswert bleibt. 

 

Dankeschön! :smile:
@Josina@Sonja Pistracher@Joshua Coan@Melda-Sabine Fischer@Gina

 

Grüßend Freiform

 

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