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Trüber Tag, am Waldrand sitzend


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Ein Schmetterling auf welker Blüte

Ich gebe ihm mein Blut zu trinken

Landet sanft auf meiner Haut

Ich halt ihn fest und reiß die Flügel aus

 

Ein wenig Farbenstaub auf den Fingern

Geschmacklos auf den Lippen

Leicht Bitter mit Speichel auf der Zunge

Erkenntnisse dem Leben abgerungen

Dafür sterben sie in Massen

 

Die Zeit brennt mich langsam zu Asche

Mein Ich zerfällt in der Zitadelle zu Staub

Als wäre ich nur mehr eine leere Hülle

Vision um Vision vom Lebensbaum geraubt

Oder sie fallen wie nicht geerntete Früchte

Faulen am Boden, den Würmern ein Fest

 

Kleines Insekt steckt facettenreich fest

Flügel für den Himmel dünner als Papier

Eigentlich sollte ich weinen für alle die Leiden

Sie zum trinken an die Brunnen führen

Stattdessen treten Flüsse über die Ufer

Spülen die Seelen hinfort

Als sei es das natürlichste der Welt

 

"Amen"

Vor mir der Wald

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Lieber Joshua,

 

ich spreche dir mein Lob aus für das beeindruckende Gedicht, trotzdem habe ich einige Fragen. 

 

Vorab: Ja, es ist ein "trüber Tag" bei all dem Geschehen und den Überlegungen!

 

Ein wenig verstörend fand ich die erste Strophe beim Lesen … „Ich gebe ihm mein Blut zu trinken“: Muss er dafür büßen, dass das LI ein Insekt gestochen hat, oder dass er sich verletzt hat? Er muss überhaupt büßen und mit dem Leben bezahlen – warum oder wofür? Experimente mit Schmetterlingen, gibt es die?

vor 12 Stunden schrieb Joshua Coan:

Erkenntnisse dem Leben abgerungen

Dafür sterben sie in Massen

 

 

Düster und geheimnisvoll, die dritte Strophe! Die „Zitadelle“ steht heute für Lockdown?

 

Das Ich als eine Aneinanderreihung von ungenutzten Visionen – eine schöne Metapher!

 

 

vor 12 Stunden schrieb Joshua Coan:

Flügel für den Himmel dünner als Papier

Hier frage ich mich, wie es gemeint ist: als Geschenk für den Himmel, weil so schön, oder in Dimensionen des Himmels gesehen?

 

„… für alle die Leiden“ - das ist missverständlich und hört sich an, als wollte man die Leiden zum Wasser führen, dabei sind es wahrscheinlich die, die leiden.

 

Weiter sollte beides möglich sein: den Verdurstenden zu trinken zu geben (ohne „stattdessen“) und um die eigenen Verluste zu trauern, meine ich.

 

vor 12 Stunden schrieb Joshua Coan:

Als sei es das natürlichste der Welt

Es ist heute das Natürlichste der Welt!

 

 

vor 12 Stunden schrieb Joshua Coan:

"Amen"

Vor mir der Wald

Die Kulisse schließt sich, wir sehen nicht mehr die Einzelheiten, den kleinen Schmetterling, alles Leid ist verdeckt, alles ist abgeschlossen, abgesegnet.

 

Da kann ich abschließend nur sagen: Wow, grandios, was du da zeichnest! Leider bleibt mir das Bild des kleinen Jungen (nicht auszudenken, ein Erwachsener) mit seiner Grausamkeit.

 

LG Nesselröschen

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Hi Joshua,

ach wie fang ich an? Ich bin kein Freund von Grausamkeiten und auch keiner von Gewalt und mag sie auch in Gedichten nicht, deswegen bin ich zurückgeschreckt nach der Gräueltat!

Hab aber durchgehalten und es hat sich gelohnt.

Nun interpretiere ich für mich die erste Strophe als Gleichnis, bzw als Beispiel für die Dummheit mit der die Natur behandelt wird. 

Es fängt in den Forschungslaboren an mit den Tierversuchen, die immer und immer wieder betrieben werden (am idiotischsten in der Kosmetikindustrie, wo jede Firma ihre eigenen gemacht hat, obwohl die gleichen Produkte schon in anderen Firmen  mehrfach getestet wurden) geht weiter zu  den Insektiziden in der Landwirtschaft, usw usw...

Was besser fängt die Zerbrechlichkeit der Natur und auch der Insekten ein als ein Schmetterling, und er zeigt auch guten den Unterschied der Machtverhältnisse. Wir tun weil wir es können.

Das Blut, kann das Herzblut sein, der Eifer mit der man eine Sache verfolgt oder ein Gleichnis: ich würde mein Blut für dich geben oder einfach ganz banal zweckgebunden ( am Waldrand sitzend mit sonst nichts dabei habend, ist unser Blut ja noch das einzig süße dass man ihm anbieten kann).

Farbstaub auf Zunge : die Forschung die betrieben wird um Erkenntnisse zu erlangen (keiner weiß vorab wohin sie führen)

Dann der Schwenk zum persönlichen Empfinden. Wir haben uns eine Festung gebaut in der wir langsam zu Asche werden, alle Hoffnungen, Visionen Träume scheinen verloren, ungenutzt und schwinden wie das eigene Leben.

Am Schluss: warum brechen wir nicht ständig in Tränen aus über die Schrecklichkeiten die täglich geschehen als seinen sie ganz natürlich, werden nur durch ständiges Wiederholen "normal".

Dem Leid als solches das Wasser des Lebens zu spenden, weil es zum Leben dazugehört? Oder es kultivieren um dem Schmerz endlich Tränen zu entlocken? nein ich glaube dass schon das persönlich erlebte Leid all der WEsen gemeint ist, den Insekten Tieren Menschen und Pflanzen Trost und Nahrung zum weiterleben zum wiederauferstehen geben zu können. so sei es!  Die Wälder brennen und wir sitzen da und betrachten die Natur die noch intakt erscheint, aber man sieht einen Sterbenden. 

wie geht es weiter in der Geschichte? Können wir aufstehen und das Wasser reichen?

 

Ein bisschen irritiert hat  mich, dass die ersten beiden Zeilen im Gleichschritt daherkommen (da erwartet mein gebreeftes Gehirn, dass es so weitergeht) und der Rest sich anders gestaltet, das empfand ich als eher nicht passenden Bruch ( ist aber wohl wieder recht kleinlich von mir  )

So dann hoffe ich , dass ich mir die Tat der ersten Strophe nicht nur schöngedacht habe

 

Liebe Grüße

Sali

 

 

 

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Hallo @Nesselröschen, Hallo @SalSeda!

 

Zuerst eine Info: Ich schreibe die meisten Gedichte aus einem Gefühl heraus, die Bilder dazu kommen dann spontan und wenn sie sich richtig anfühlen, und für mich stimmig "klingen", dann verwende ich sie auch. Also analysiere ich hier als dritter, nach euch beiden, meinen eigenen Text genauer. Viel Gedanken mache ich mir vorher in den meisten Fällen nicht! (Was man manchmal merkt. )

 

Ok... mal sehen was ich da spannendes finde! 

 

1.Absatz: Hier haben wir einen Typen sitzen, der aus einer Laune heraus, mit gelangweilter Miene, einem Insekt die Flügel ausreißt. Einem so abgestumpften, dem sogar das Schmerzempfinden abhanden gekommen ist, dass er einfach bereit ist sein Blut herzugeben um den Schmetterling damit zu locken. Mit der Farbe oder dem Duft, ich weiß nicht. Aber den Schmetterling würde ich hier eher sinnbildlich sehen. Er steht für all das Schöne und Gute. Für das verletzliche und flüchtige Glück. Für Frieden und Freude. All dies durch die Lethargie und Abgestumpftheit dieses Typen zerstört. 

 

2.Absatz: Farbstaub der Schmetterlingsflügel auf den Fingern, hat keinen Geschmack auf den Lippen, im Mund ein wenig bitter. Könnten Metaphern sein für all die erbärmlichen Ablenkungen mit denen man sich in unserer Gesellschaft sinnlos betäuben kann. Die letzten beiden Sätze, vor allem der letzte: Sterben sie in Massen, bezieht sich schon nicht mehr auf den Schmetterling, sondern auf die Allgemeinheit der Masse. Sterben für Erkenntnisse die eigentlich von vornherein klar waren. Oder so... 

 

3.Absatz: Die Zeit brennt zu Asche  - mein Ich zerfällt in der Zitadelle zu Staub. Die Zitadelle steht hier wahrscheinlich als Sinnbild für die eigenen Verteidigungsmechanismen die man aufbaut, um das verletzliche wahre Ich darin zu schützen, dass aber hier zu Staub zerfällt, weil man nie herausgebrochen ist und sich mal jemandem gezeigt hat, wie man wirklich ist. Das ist echt kacke sowas! So fühlt man sich dann leer und dann Leben wird schal, weil man doch nie das macht, was man wirklich machen wollte.... Vision um Vision aus dem Leben aufgelöst. Hat andererseits auch was gutes. Träume in unseren Leben sollen die Richtung geben, sie realisieren lassen sie sich aber nach Vorstellung nicht. 

 

4.Absatz: Flügel dünner als Papier.... also ich behaupte mal, dass man mit solch dünnen Flügelchen nicht hoch genug kommt, seinen eigenen Persönlichen Himmel zu erreichen. Wo keine Investition, da kein oder kaum Gewinn. Das Insekt steckt facettenreich fest... Insekten werden in vielen spirituellen Lehren, als dämonisch betrachtet. Man steckt in vielen sich eingefahrenen Gewohnheiten fest, obwohl diese einem nur aufhalten und man sie eigentlich am liebsten nicht hätte. An die Brunnen würde ich gerne die Leute führen, trinken müssen sie aber dann selber, heißt es doch. Man kann letztendlich niemanden dazu zwingen, seine schlechten Gewohnheiten aufzugeben, man kann nur zeigen wie es besser gehen könnte, der Rest liegt aber an einem Selbst. Als sei es das natürlichste der Welt - meine ich wohl das es der Natur egal ist was mit ihr passiert. Die Folgen tragen wir, nicht sie. Sie wird sich irgendwann von allem erholen, auch wenn es Hunderttausend Jahre dauern sollte. Wir tragen den Schaden, den wir ihr zufügen! 

 

Amen! Vor mir der Wald. Das Amen ist hier als tief zynisch, schwarz-sarkastisches Siegel die Gedanken des LI zu schließen. Dem Gedanken gleich: Ja dann was das alles eben so... Vor mir der Wald, vor mir mein Leben: Undurchsichtig, düster, tief und finster. 

 

Uff... ein langer Kommentar! 

Das wären meine Gedanken zu meinem Geschreibsel! 

Es gibt hier aber keine richtig oder falsch Interpretation! Und eure Analysen gefallen mir beide sehr! Vielen Dank das ihr euch die Zeit genommen habt, meinen Text zu studieren und ihn für euch zu übersetzen. 

 

Ich liebe es deutungsoffen zu schreiben! Hab ich mir von den Lyrics der Band Neurosis abgeschaut! Wo alle Texte so gehalten sind, dass jeder sich ein eigenes Bild machen kann, und die Lieder so immer eine persönliche Bedeutung für einen Selbst gewinnen. 

 

Danke fürs Lesen! 

LG JC

 

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