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Auszug aus meinem Buch "Es Peterle"

Doktorspiele

Wie früher auf den Dörfern unserer Region üblich wurde bei geplanten Maurerarbeiten nicht wie heute einfach eine Fuhre Sand bestellt, nein, man nahm Spaten und Schippe und grub in mühseliger Handarbeit eine gewaltige, etwa fünf mal vier Meter große, mindestens zwei Meter tiefe Grube im Garten aus.

In der Grube war in der Regel eine Leiter angestellt, um einen entsprechenden Zugang zu gewährleisten.

Auf dem Lande gab es zudem einen Ortspolizisten, vor dem alle Achtung hatten. Jeder, der unseren sah, wäre am liebsten zum Pfarrer gelaufen, um seine Sünden zu beichten.

Der Zufall wollte es, dass die Dorfpolizistenfamilie nur zwei Häuser neben Waldemar und drei Häuser neben uns wohnte.

Der Herr Dorfpolizist hatte zwei Töchter. Eine war ziemlich groß und hässlich – das Ebenbild ihres Vaters – und ein Jahr älter als wir. Die andere war so alt wie wir und gefiel uns recht gut.

Lange Rede, kurzer Sinn: Wir kamen in das Alter der Doktorspiele. Da uns eine innere Stimme sagte, dass man sich unausgezogen eigentlich gar nicht ansehen darf, waren wir selbstverständlich vorsichtig und warteten ab, bis Waldemars Großeltern das Haus verlassen hatten. Seine Mutter war wie immer beschäftigt, ihr wöchentliches Lektürepensum von drei dicken Liebesromanen des örtlichen Leihkiosks zu schaffen. Von ihr ging keine Gefahr aus.

Also luden wir die Polizistentochter zu uns ein und wollten mit ihr spielen.

Wir begaben uns in den Garten an den Rand der „Sandgrube“, stiegen die Leiter hinab und begannen mit unseren Doktorspielen. Wobei ich als Doktor, Waldemar als Krankenschwester und die Polizistentochter als Patientin fungierten.

Einzelheiten der mit kleinen Holzstücken durchgeführten Untersuchung möchte ich nicht näher beschreiben, aber das Untersuchungsritual hat der Polizistentochter unheimlich viel Spaß gemacht. Sie wollte immer weiter untersucht werden, was wir gar nicht verstanden.

Ein schriller Schrei – „Ihr Saukerle, was macht ihr da?“ – von Waldemars Opa, der sich oben am Rande der Sandgrube aufhielt, beendete abrupt den Untersuchungsvorgang. An Flucht war nicht zu denken. Opa stand oben an der Leiter, und wir rannten wie die Wilden im Quadrat umher.

Kurz danach erschien auch der Ortspolizist an der Grube, seine Tochter suchend.

Wir mussten die Leiter wohl oder übel hochklettern, wurden oben empfangen und von Waldemars Opa deftig verdroschen.

Nie mehr haben wir den Versuch unternommen, unsere mittlerweile angeeigneten medizinischen Fähigkeiten in die Praxis umzusetzen.

Von ein paar Kleinigkeiten abgesehen verlief unsere Kindheit danach recht beschaulich. Einmal klaute Waldemar allerdings meinem Opa das Luftgewehr, das ich immer, wenn dieser nicht da war, zu Schießübungen zur Verfügung stellte. Waldemar vergrub es ohne mein Wissen in seinem Garten, aber ich wurde beschuldigt und bekam die Prügel.

Wenn Waldemar sich mit mir verkrachte, spuckte ich gegen die Außenwand seines Hauses. Daraufhin pinkelte er unsere Hauswand an, was mich aber nicht besonders traf, da sich Waldemars Haus im Eigentum seines Opas befand, während „unser Haus“ lediglich angemietet war.

Es sei nur am Rande erwähnt, dass wir uns noch einige Male mit Feuerwerkskörpern (Schweizer Krachern) bekriegten und sie uns gegenseitig um die Ohren warfen. Danach konnte Waldemar vierzehn Tage lang auf dem einen Ohr fast nichts mehr hören.

So verbrachten wir unsere Vorschulzeit, ohne die heute üblichen Kindergartenangebote nutzen zu können. Einen Kindergarten gab es bei uns auf dem Dorf nicht. Basta.

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