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Meine geliebte Frau, üblicherweise Initiatorin unserer Wanderungen, weigert sich heute spontan, mit mir durch das Gestrüpp zu kriechen, wie sie es nennt. Ich würde nie wagen, eine ähnliche Anregung ihrerseits in Frage zu stellen oder gar einfach abzulehnen.
Sie sagt zu mir: „Alter Mann, steck vorsichtshalber dein Mobiltelefon ein, damit du mich erreichen kannst, solltest du hinfallen und mit deinem angewachsenen Rucksack da vorne nicht mehr aufstehen können!”
Wie geschickt Gina doch meine zu Beginn erwähnten Attribute ansprechen kann, ohne dabei in eine extreme Ausdrucksweise zu verfallen! Allerdings vergisst sie nicht, ihre Worte mit einer Warnung, bezogen auf meine Gebrechlichkeit, zu würzen.
Aus ureigenstem Antrieb und nicht bewogen durch die wohlgemeinte stereotype Aufforderung aus weiblichem Mund, mich mehr zu bewegen, geht es sehr viel leichter, mein Lebendgewicht in Trab zu setzen. Ich tu es in der unumstößlichen Vorfreude, sehr bald die am Vortag mühelos entdeckten Pilze lustvoll abzugrasen.
Tatsächlich finde ich nahe am Waldrand den prachtvollen Steinpilz, der mich schon gestern entzückt hat. Ich schneide ihn knapp über dem Mycel, den Wurzeln des Pilzes, ab und stecke ihn in mein schickes Einkaufssackerl aus plastifiziertem Material, welches mir meine Gina als geeignet und mit der einer Erdbeere gleichenden Hülle auch als möglichst stilecht empfohlen hat. Stolz begebe ich mich auf den Weg.
Frohgemut wandere ich den Waldweg entlang und wundere mich dann doch sehr, dass Eierschwammerln, die ich tags zuvor zwar von Weitem leuchten gesehen, aber ohne geeignetes Behältnis nicht mitgenommen habe, so weit entfernt vom Herrenpilz wachsen. Schrittweise wird mir aber bewusst, dass jemand dieselben – und zwar alle – gepflückt haben musste. Mit großem Bedauern ergebe ich mich in mein Schicksal, ärgere mich dann aber doch, als ich den siegreichen Konkurrenten dreißig Meter vor mir bei der Schwammerljagd entdecke. Ich freilich entdecke noch einige Steinpilze.
Betreffend Pfifferlinge freilich bleibt mir nichts anderes über, als meine Jagdgefilde in ein anderes, mir noch unbekanntes Terrain zu verlagern, was jedoch meinen Sammeleifer nicht bremsen kann, sondern nur meinen Jagdinstinkt schärft. Zwischen all den hellen Buchenblättern und den vielen, teils wunderschönen aber ungenießbaren Pilzen und Narrischen Schwammerln finde ich tatsächlich einen weiteren Gemeinen Steinpilz, was meine Arroganz weckt, ich wäre der gewieftere Pilzesammler als mein so unverschämter Konkurrent, der ja am ersten Herrenpilz vorbeigegangen sein musste.
Ich spiele schon mit dem Gedanken, den Heimweg anzutreten, da entdecke ich – zwar nicht am Rand des Weges, sondern im unwegsamen Gelände – mehrere große, prachtvolle Exemplare von Eierschwammerln und – welch große Überraschung – einen stolzen Parasol. Warum sind diese großartigen Pilze bis dato nicht in einem der Sammelbehälter gelandet? Sie sprießen total keck an der Böschung eines glitzernden und plätschernden Bacherls, und zwar am jenseitigen Ufer. Für mich ist das eine willkommene Gelegenheit, den vorangegangenen Frust über die eben erlittene Niederlage etwas zu kaschieren. Gleich darauf entdecke ich einen geringfügig aus dem Wasser ragenden Stein, der verspricht, meine Flussüberquerung zu ermöglichen. Ich vertraue dem Angebot uneingeschränkt und besteige ohne Zögern diesen Stein und gleich darauf jenen, der sich mir am gegenseitigen Ufer als Pendant anbietet. Aber in diesem Moment schießt mir durch den Kopf: „Wie hieve ich meine 120 oder mindestens 115 Kilo (so genau weiß ich das nie) das Steilufer hinauf, um die verheißungsvollen, gelborangen Prachtexemplare von Eierschwammerln und den Parasol pflücken zu können?“ Der dünne Baumstamm, der selbst mir vorbehaltlos Stütze bieten würde, ist leider dreißig Zentimeter zu weit entfernt. Zur Verfügung steht aber ein Ersatz für den Notfall: eine zwar beträchtlich dünnere, aber links und rechts im Boden verankerte Wurzel. Selbstverständlich ergreife ich diese Chance, diesen Strohhalm, sofort ohne Zögern.
Für einen schlankeren, geschickteren Zeitgenossen hätte das ohne weiteres gereicht. Ich aber plumpse rücklings in das seichte Rinnsal, wo ich mit dem Hosenboden im Wasser lande. Auch meine Sammeltasche fällt ins Wasser und entleert sich rascher als mir lieb ist. So entschwindet auch wieder einer der Herrenpilze, die mir zuvor in die Hände gefallen sind.
Jetzt ist mir alles egal, ich wate mit wassergefüllten Wanderstiefeln – ohne irgendeinen Halt zu suchen – zum Flecken mit der ersehnten Ernte. Bärentatzen ganz nahe bei unserem Haus entschädigen und besänftigen mich zusätzlich. Ich bin jetzt so frohgemut, dass ich meiner Frau beim Vorzeigen der erbeuteten Schätze freudestrahlend berichten kann, ich wäre ins Wasser gefallen. Sie vermittelt mir keinerlei Eindruck von Sarkasmus, sondern hilft mir zielstrebig bei der Schadensbegrenzung. Anschließend lachen wir beide herzlich über diesen Vorfall, am besten symbolisiert durch einen am Rücken liegenden Käfer.

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Das Copyright für das Foto "Milbentaxi" liegt bei Marianne Schön

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Ach liebster Egon,

wie freue ich mich, dich nunmehr auch hier lesen zu dürfen. Fein, dass du meiner Empfehlung folgtest! Du wirst sehen, es ist ein schönes Miteinander hier jedenfalls und der Umgang ist respektvoll und überaus konstruktiv.

Nun mit den Pilzen bin ich zwar nicht so sehr bewandert, zubereiten und verspeisen tu ich sie jedoch sehr sehr gerne. Ob es einfache Champignons oder Braunkappen sind, oder die schon beinahe unerschwinglich teuren Stein- oder Herrenpilze. Allerdings erhebt sich die Frage, ob und inwieweit der Verzehr selbst jetzt noch zuträglich erscheinen mag. Ich las unlängst einen Post andernorts, wonach ein leider erlegter Jungkeiler 'entsorgt' werden musste, da er ein Vielfaches der erlaubten radioaktiven Werte enthielt. Dies wird vielleicht bei den anderen Früchten des Waldes ganz ebenso sein.

Hab dich gerne gelesen, schön dich dabei zu haben und ich folge dir 'blindlings'

Herzlich liebe Grüße in deinen Tag und die neue Woche, Uschi

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Hallo Egon,

 

auch von mir: Herzlich willkommen! :classic_happy:

 

Eine humorvolle Geschichte, mit einer Prise Selbstironie, die ihr die richtige Würze verleiht. 

 

Leider muss ich, aufgrund einer Histamin-Intoleranz, auf Pilze verzichten. Aber ich habe sie immer sehr gerne gegessen. Selbst gesammelt habe ich sie allerdings nie, mangels Kenntnissen. Ich würde es zwar sicher hinbekommen, einen weißen Knollenblätterpilz von einem Champignon zu unterscheiden (die Merkmale sind mir bekannt), aber da hört es bei mir auch schon auf.

 

Früher aß ich Pilze am liebsten gebacken, tatsächlich im Backofen. Pilze mit großen Hüten, die Stängel habe ich entfernt (wurden 'versuppt'). Die Hüte nebeneinander auf ein Backblech, mit der Lamellenseite nach oben. Dann nur je Pilzhut eine kleine Prise Salz hineinstreuen und bei Ober- und Unterhitze backen. Das Salz zieht das Wasser heraus, so füllt sich der Pilzhut damit. Diese Flüssigkeit schmeckt sehr würzig, wirklich gut, selbst wenn es nur Champignons sind. Der Hut selbst wird dadurch butterzart und zergeht auf der Zunge. So einfach mochte ich Pilze tatsächlich am liebsten. Meine zweitliebste Zubereitung war das Braten in der Pfanne, mit feingehackten Zwiebeln und feingehackter Petersilie - auch hier brauchte es nur etwas Salz (aber hier erst nach dem Braten) dazu. Die Geschmackskombination von Zwiebel, Petersilie und Pilz fand ich sehr lecker. Ach ja, und frisches, knuspriges Brot dazu. 

 

Fun fact: Was Zellstruktur und Fortpflanzung anbetrifft, ähneln Pilze den Pflanzen. Aber ich las etwas Interessantes: Genetisch sind Pilze näher mit Tieren als mit Pflanzen verwandt. Sind also wirklich 'weder noch', sondern etwas ganz Eigenes. Hat mich einerseits erstaunt, andererseits aber auch fasziniert, als ich das erfuhr. Irgendwie denkt man bei Pilzen an Pflanzen. Hm, ich frage mich, wie Veganer mit dieser 'genetischen Information' umgehen? :wink:

 

LG,

 

Anonyma

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Liebe Anonyma,

es freut mich, dass Du meine Kurzgeschichte gelesen hast und dass sie Dich veranlasst hat, mir ein Kommentar zu schicken. Ehrlich gesagt: ich bin für's Pilze-Sammeln verantwortlich, für das Zubereiten ist es meine liebe Frau. Bei ihr schmeckt es auch immer sehr gut (und sie kann sicher sein, dass ich kein Gewächs - oder was immer es sein mag - bringe, weswegen sie Angst haben müsste, wel ich das Unterscheiden schon beginnend ab meiner Kindheit gelernt habe.)

Liebe Grüße

Egon

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Herzlichen Dank für den Willkomm Fletje. Ich habe gestaunt, dass wir - Milbentaxi & Schwammerl - Dich an solche Situatioen erinnern ließen. Bei mir hat es von 4 auf 2 Beine wieder geklappt. Fremde Hilfe kann ich mehr hier bei meinem Einstand brauchen als damals. Ich würde mich freuen, Deinen ganzen Glückspilz lesen zu dürfen. Ich bitte Dich darum.

Liebe Grüße

Egon

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