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Laura musste nur noch den Kragen richten und das Kleid saß perfekt. Wie ein kleines Kind hatte sie sich gefreut, als ihre Mutter es ihr nur für den Abschlussball gekauft hatte. Seitdem trug sie es ständig und blickte bei jeder Gelegenheit in den Spiegel, um das Kunstwerk zu bewundern, das ihren Hüften und gleichermaßen ihrer Oberweite schmeichelte. Vielleicht etwas zu oft.

 

»Ich hole uns noch ein paar Drinks«, sagte Jamie und verschwand in Richtung Bar. Jetzt war Laura mit Sebastian allein. »Du siehst hübsch aus, das Kleid ist wunderschön.« »Danke«, erwiderte Laura ein wenig lustlos. Sebastian war der Letzte, den sie hatte fragen wollen, aber nun war er ihre Begleitung. Und trotz der hunderten gescheiterten Anmachversuche ließ er auch heute Abend nicht von ihr ab. Sie gingen in Richtung der Tanzfläche und kamen an einem verzierten Spiegel vorbei, der eine riesige Menge an buntem Licht in den Saal reflektierte.

Als sie ihr Spiegelbild erblickte, hielt sie inne. »Verdammt, dieser Kragen«, fluchte sie. »Stimmt irgendwas nicht?«, fragte Sebastian. »Ja, der rutscht immer so komisch hoch«, erwiderte Laura, während sie versuchte, das Kleid zu richten und sich dabei weiter im Spiegel beobachtete. »Ich weiß nicht, was du meinst, du siehst perfekt aus.« »Sebastian, bitte, ich …« Verwundert brach sie mitten im Satz ab und starrte ungläubig in den Spiegel. Wie durch Geisterhand war der Kragen binnen weniger Sekunden wieder verrutscht. Sie schaute an sich runter. Und tatsächlich lag der Kragen perfekt an ihrem Dekolleté, wie sie ihn gerade erst selbst ausgerichtet hatte. Doch ihr Spiegelbild sagte etwas anderes. »Hier, siehst du nicht?« Sie zerrte Sebastian neben sich, sodass er auch ihr Spiegelbild erblicken konnte. »Wie schon gesagt, der Kragen sitzt perfekt.« »Bitte, verarsch mich nicht, du siehst doch, was ich sehe.« »Ich sehe ein wunderschönes Mädchen in einem wunderschönen Kleid. Gehen wir tanzen?«

 

Genervt wich Laura von seiner Seite. Sie lief in Richtung der Toiletten, um ihr Spiegelbild klarer und nicht inmitten bunter Lichter zu sehen. Doch an den Waschbecken angekommen, traute sie ihren Augen nicht. Mit einem Mal war nicht nur ihr Kragen verrutscht, das ganze Kleid war zerrissen, entstellt und wirkte, als hätte man es ihr übergestopft. Ihr Spiegelbild schaute sie auch nicht an. Es schaute belustigt an sich runter und zupfte hier und da an dem Kleidungsstück, als wäre davon noch irgendetwas zu retten. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie in dem Toilettentrakt ganz allein war. Nein, ganz allein war sie nicht und würde es auch nie mehr sein. Besser, sie gewöhnte sich an ihre neue Freundin, die ihr nun geisteskrank lächelnd in die Augen starrte.

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