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Der Elfte Monat

 

 

Nebelfeuchte schlägt mir im dämmrigen Licht entgegen. Zeitverloren ist der Tag. Ob's morgens oder abends ist, ich weiß es nicht und mir ist es auch egal. Ich frage mich, was mich vor die Tür zog. Das Band, das mich mit der Außenwelt verband, ist längst im gegenseitigen Einvernehmen durchtrennt.

Wieso stehe ich dann hier mit dem Rücken zur Hütte, draußen in der Dämmerung und nicht wie gewohnt meinem Zuhause, mit vier Wänden und vier Türen, dass ich noch nie mochte und mir eine Gefangenschaft vorgaukelt, die ich angeblich jederzeit verlassen kann. Kann ich das? Kann ich das wirklich, obwohl das Verbindsglied zerstört ist? Ich wäre der gierig alles verschlingenden Meute ausgeliefert, deren Würgereflex nicht existent ist.

Integration und Inklusion! Zwei Schlagwörter die alles und nichts aussagen, sich aber gut anhören in einer humanitären Gesellschaft zur Gewissensberuhigung. Doch niemand gibt mir mir eine Antwort auf meine oft gestellte Fragen: Wie integriere ich mich um inkludiert zu werden? Muss ich zuvor in Beugehaft? Muss ich mein persönliches Anderssein bei meinem Entscheid für das Progesellschaftliche unterwerfen?

Ich fand die Hütte mit vier Wänden und vier Türen. Nur eine Tür ist real. Die anderen bieten mir eine Fluchtmöglichkeit. Flucht? Ja!, Flucht vor persönlichkeitsverlierender Anpassung. Manche Dinge passieren einfach und ich lasse sie geschehen, als vermeindlich Aussätziger ohne sichtbare Schäden.

Nun stehe ich hier, wie ein Ausbrecher hinter der Tür, wo mich Monat Elf empfängt und mir sein Geleit in einen Schutzraum anbietet. Wenn ich es mir genau überlege habe ich auf ihn gewartet. Ich liebe seine bluesgeschwängerten Tage.

Irgendwo raschelt es in der langsam vertrocknenden Buchenhecke, die mich trotz ihrer löchrigen Fehlerhaftigkeit abschirmen sollte. Ich kann mit meinem von Leere gefüllten Blick nichts erkennen. Lohnt es zur Hecke hinzugehen um genauer zu schauen? Nein! Ich würde das Lebewesen nur verscheuchen, so, wie ich gescheucht wurde – in den Novembertod hinein.

 

 

 


Ich

kann nicht weinen
der Tränen

Quelle

 

versiegt


ein Körper

der erstarrt ist

 

versteinert das Herz


porös

die Lebenskanäle


vor Angst floh die Seele

denn

Tote

weinen nicht.

 

 

© Monolith


 

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Hi @Monolith,

 

vor 4 Stunden schrieb Monolith:

Nebelfeuchte schlägt mir im dämmrigen Licht entgegen. Zeitverloren ist der Tag. Ob's morgens oder abends ist, ich weiß es nicht und mir ist es auch egal. Ich frage mich, was mich vor die Tür zog. Das Band, das mich mit der Außenwelt verband, ist längst im gegenseitigen Einvernehmen durchtrennt.

Gefällt mir sehr gut. 

 

vor 4 Stunden schrieb Monolith:

Integration und Inklusion! Zwei Schlagwörter die alles und nichts aussagen, sich aber gut anhören in einer humanitären Gesellschaft zur Gewissensberuhigung.

Ist das mehr auf die Nationalität bezogen oder geht es hier um die eigene Person vs. die Gesellschaft? 

Wobei auch beides zusammenhängen kann. 

 

vor 4 Stunden schrieb Monolith:

Flucht vor persönlichkeitsverlierender Anpassung. Manche Dinge passieren einfach und ich lasse sie geschehen, als vermeindlich Aussätziger ohne sichtbare Schäden.

Ich glaube das beantwortet die Frage...

Ich mache das so: Ich passe mich soweit an, dass ich niemandem Schaden zufüge und leiste so meinen Beitrag, abseits des wirtschaftlichen Arbeitens, zu einem Gelingen des Miteinander. Als Gegenleistung erwarte ich von der Gesellschaft dass sie meine Art mich auszudrücken akzeptiert. In diesem Dazwischen finden unsere Leben statt. Mal mehr, mal weniger toleriert. 

 

vor 4 Stunden schrieb Monolith:

Nun stehe ich hier, wie ein Ausbrecher hinter der Tür, wo mich Monat Elf empfängt und mir sein Geleit in einen Schutzraum anbietet. Wenn ich es mir genau überlege habe ich auf ihn gewartet. Ich liebe seine bluesgeschwängerten Tage.

Das ist echt gut beschrieben! 

 

Alles in allem ein starker Text der mich mitfühlen lässt mit einem Verzweifelten der fast schon eine Phobie vor Menschen entwickelt hat. Die Sicht aus dem Kopf des LI ist wirklich gut reflektiert. 

Das Gedicht am Ende fast den Text auch noch gelungen zusammen. 

 

LG JC

 

 

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@Monolith

 

 

Moin.

 

Der Text ist gut. Ich war auch einmal, in solchen Wassern. Man muss sich dagegen abschirmen, sonst geht man unter. 

 

 

Hier:

vor 5 Stunden schrieb Monolith:

kann nicht weinen
der Tränen

Quelle

 

vor 5 Stunden schrieb Monolith:

Tote

bluten nicht.

 Deshalb hätte ich das "bluten" nicht genommen, eher das "weinen" noch einmal.   Dann wäre Anfang und Ende kongruent.

 

 

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hallo monolith,

 

da hast du einen wirklich intensiven text geschrieben, der mich anspricht.:thumbup:

 

das LI - sonst im selbstgewählten, aber ungeliebten gefängnis der eigenen vier wände - vielleicht ein mensch mit sozialphobie - tritt im schutz des nebels vor die (reale) tür. durch den nebel ist das LI scheinbar unsichtbar, kann aber gleichzeitig auch nichts von der außenwelt wahrnehmen. die fragen, die sich das LI dabei stellt, zeigen, dass es durchaus den wunsch nach der verbundenheit mit dem draußen verspürt, auch wenn es diese längst gekappt glaubte.

 

es fallen die wörter integration und inklusion. bei der integration muss sich vor allem das individium an seine umgebung anpassen, um integriert zu sein. bei der inklusion geht es darum, die umgebung so zu gestalten, dass sie allen menschen gerecht wird, egal, wie sie sind oder welche beeinträchtigungen sie haben. die derzeitige inklusion ist jedoch häufig noch weit von dieser maxime entfernt und so fragt sich das LI zu recht, inwieweit sein anders sein berücksichtigung in der außenwelt finden würde.

 

vor 7 Stunden schrieb Monolith:

Nun stehe ich hier, wie ein Ausbrecher hinter der Tür, wo mich Monat Elf empfängt und mir sein Geleit in einen Schutzraum anbietet. Wenn ich es mir genau überlege habe ich auf ihn gewartet. Ich liebe seine bluesgeschwängerten Tage.

 

diese stelle mag ich besonders. das LI hat den ersten schritt aus dem "gefängnis" gewagt und möchte sich der außenwelt, wenn auch geschützt durch das "geleit des monats elf", dem nebel, öffnen. dass dieser nebel auch den blues mitbringen wird, ist dem LI bewusst, ja, es schätzt diese stimmung sogar, denn sie passt wunderbar hinter die wände der hütte, nicht wahr? und diesen zustand (in der hütte sein) ist das LI ja gewohnt.

 

dann raschelt es. ich sehe, wie dieses rascheln den schreckmoment andeutet, den das LI bei der kleinsten wahrnehmung der außenwelt erlebt. eine interaktion mit dem leben da draußen kann das LI jedoch nicht leisten, es verfällt in die alte angststarre, die einer totenstarre ähnelt, weil es befürchtet, nicht verstanden zu werden und durch seine andersartigkeit alle zu verscheuchen. und so endet der text auch folgerichtig mit einem gedicht, das diesen zustand der starre exakt ausdrückt. 

 

ich habe deinen text sehr gern gelesen und mir darüber gedanken gemacht. :grin:

 

liebe grüße

sofakatze

 

 

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Hallo @Joshua Coan   @horstgrosse2  und  @sofakatze

 

 

ganz vielen Dank für euer Interesse. Es freut mich sehr, dass euch mein Text gefällt.

 

 

Am 1.11.2023 um 16:34 schrieb Joshua Coan:

Ist das mehr auf die Nationalität bezogen oder geht es hier um die eigene Person vs. die Gesellschaft? 

 

 

Nein, es geht ausschließlich um die persönliche Befindlichkeit des LyrIch.

LI hat keine offensichtlichen Behinderungen oder Migrationshintergrund. Und JA, Li ist sehr verzweifelt und von Joshua vermutete Phobie gegen Mitmenschen trifft es im Grunde schon ganz gut.

 

Das lyrische Ich ist anders – es hat eine Form des Autismus und wird nur schwer (bis gar nicht) von der Gesellschaft verstanden. Ein Rückzug auf ganzer Linie hat das zur Folge. Man mag es Selbstschutz nennen. Nicht greifbare Dinge ( wie psychische Probleme oder Entwicklungsstörungen) sind für das Umfeld nur schlecht zu händeln und Probleme sind vorprogramiert. Also: der Betroffene zieht in sein Schneckenhaus um ← das gilt natürlich nicht grundsätzlich - u n d-  die Mitmenschen gehen auch auf Abstand. Nur der Elfte Monat hat eine Umarmung und viel Verständnis für LI im Gepäck. Soweit zum Inhalt des Textes, der imaginär ist.

 

 

Am 1.11.2023 um 17:23 schrieb horstgrosse2:

Tote

bluten nicht

 

 

 Deshalb hätte ich das "bluten" nicht genommen, eher das "weinen" noch einmal.   Dann wäre Anfang und Ende kongruent.

 

 

 

 

Ich verstehe deine Textidee gut, @horstgrosse2.

 

Ich wählte die Formulierung aufgrund des versteinerten Herzens, da ein Herz aus Stein keinen Blutkreislauf mehr aufrecht erhalten kann. Das ist aus lyrischer/prosaischer Sicht wohl zu verkopft, wenngleich ich das Ende „reißerischer“ finde, aber durchaus nicht runder/harmonischer und somit nehme ich deine Verbesserungsidee gerne an und danke dir dafür.

 

Den tollen Kommentar von @sofakatze  möchte ich besonders hervorheben, ohne die anderen beiden schmälern zu wollen. Für dein enormes Beschäftigen mit dem Text danke ich vielmals. Integration bis hin zur Inklusion hört sich leicht an, ist aber schwerer als gedacht.

 

 

DANKE für das Like: @Herbert Kaiser  @Donna  @Vagabund  @Sternwanderer

 

 

 

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