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Die vergessene Farm


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„Räum endlich dein Zimmer auf!“

 

Die Stimme meiner Mutter klingt endgültig. Nicht, dass mich das wirklich interessiert. Sie lebt auf einem anderen Stern, in einem völlig fremden Universum, das meines lediglich am Rand berührt. Ich brauche sie manchmal: als Taxi, wenn ich zu meinen Freunden will. Als Einkäuferin für lebensnotwendige Dinge (Ginger Ale, Melone, Crème brûlée). Und natürlich zum Waschen, wenn mir langsam aber sicher die sauberen Klamotten ausgehen. Doch sonst hat ihre Stimme für mich so viel Gewicht wie ein Staubkorn im flirrenden Sonnenstrahl.

 

„Jaja.“ Das sage ich absichtlich. Meine Mutter weiß genau, was das heißt. Immerhin sage ich überhaupt etwas. Da kann sie doch eigentlich froh sein. Meistens reagiere ich einfach nicht. Eine Strategie, die in 90 Prozent aller Fälle aufgeht. Meine Mutter hat eben auch nur Nerven und die quietschen bereits in jeder Kurve.

 

Sie steht in der Tür und obwohl ich nicht hinsehe, weiß ich, dass sie jetzt das Gesicht verzieht. Ist egal. Auch, dass sie seufzt und anfängt, an meine Vernunft zu appellieren. Das machen Eltern immer so, wenn sie nicht weiterwissen: an die Vernunft appellieren. Aber was wäre vernünftig daran, mein Zimmer aufzuräumen?! 

 

Meine Mutter wagt es, mein Zimmer zu betreten. Vorsichtig tastend setzt sie einen Fuß vor den anderen und schiebt dabei Dinge beiseite. Mein Zimmer! Meine Dinge! Die sie echt nichts angehen! Mir ist klar, dass ich etwas dagegen unternehmen muss.

 

Zu spät! Sie zeigt auf meine pyramidenartig aufgetürmte Dosensammlung zwischen Tellern mit Spaghettiresten. Auf die Teller mit Spaghettiresten zwischen Chipstüten und getragenen Klamotten. Auf die getragenen Klamotten. Die will ich noch mal anziehen. Irgendwann.

 

Jetzt ist es an mir, zu seufzen. Will ich nicht noch mehr territoriale Grenzverletzungen hinnehmen, muss ich ihr wohl ein paar Zugeständnisse machen. Teller, Kleidungsstücke und ein paar Dosen wandern aus. Aber noch ist sie nicht zufrieden. Bückt sich, schaut unter mein Bett, schüttelt in stummem Entsetzen den Kopf.

 

Okay. Nicht mal ich weiß, was dort schlummert. Wenn ich Platz brauche, schiebe ich alles drunter. Genau dafür sind Bettunterräume schließlich konzipiert.

 

Ich weiß, was jetzt unweigerlich folgt: ein Vortrag über Hygiene und Ordnung, den ich schon längst auswendig kann. Zumindest die ersten 5 Sätze, dann schalte ich normalerweise ab. Trotzdem, wenn ich die heute nochmal hören muss, dreh ich durch. Und meine Mutter macht den Eindruck, als würde sie nicht gehen. Niemals wieder.

 

Also werde ich über mich hinauswachsen: „Okay, ich räume auf. Ja, gleich. Ja, sag ich doch, gleich.“ Die Forderung meiner Mutter, wie aus der Pistole geschossen: „Gleich bedeutet jetzt!“

Aber sie geht. Mein Reich ist wieder mein Reich. Ein wenig neugierig geworden bin ich auch. Was mag sich alles unter meinem Bett befinden, das schon seit Äonen dort ruht … ?

 

Im nächsten Moment finde ich mich auf den Knien wieder. Echt? Will ich das jetzt echt durchziehen?

 

Boah, es ist wirklich faszinierend. Fast ein eigenes Universum, was sich hier gebildet hat. Nach einer gefühlten Ewigkeit des Wühlens finde ich ganz hinten meine Farm. Die hatte ich ja total vergessen. Ich halte sie in den Händen und versuche mich zu erinnern, wann ich sie bekommen habe. War ich da acht? Oder neun? Alle meine Freunde hatten so ein Ding. Eine Farm zu haben war damals eine coole Sache. So ein Mikrokosmos zum Beobachten eben. Meine ist rund und ich brauchte eine ganze Woche, um sie zusammenzubauen und mit ihren Bewohnern zu besiedeln. Hatte Spaß daran, ihrem bunten und quirligen Treiben zuzuschauen. Jeden Tag, direkt nach der Schule, beobachtete ich sie stundenlang. Manchmal griff ich sogar ein, leitete Wege um, legte eine nasse Stelle trocken oder schuf eine neue. Aber irgendwann wird das schönste Spielzeug langweilig.

 

Mutter steht schon wieder in der Tür. „Ach, deine alte Farm. Damit hast du früher gern gespielt. Was soll damit werden?“

 

Nachdenklich schaue ich auf die Farm. Meine Abwesenheit scheint den Bewohnern nicht geschadet zu haben. Sie haben sich mächtig vermehrt, wuseln herum, völlig mit sich selbst beschäftigt. „Kann weg“, sage ich schulterzuckend. Ich bin zu alt für so ein Teil.

 

„Gut“, sagt meine Mutter und schnappt sich die Kugel. „Essen ist fertig, Jehova.“

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Als Mutter und mittlerweile Oma mit mehr als einem Schmunzeln gelesen, liebe sofakatze.  Ich wünschte, ich wäre schon früher so gelassen gewesen 😁. Dennoch gab es auch bei mir immer Essen 😉.

 

Hast du toll und amüsant geschrieben. Ich war mitten dabei..

 

Viele Grüße

Elisabetta 

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hallo cornelius,

 

ha! da bin ich wohl lang genug auf den teenagerallüren herumgeritten. :cool:

 

die vorstellung, dass gott die erde als kind zusammenbastelte und nun als jugendlicher ganz andere interessen hat, würde zumindest einiges erklären. :wink:

 

über den teufel und seine großeltern habe ich mir noch keine gedanken gemacht.:saint:

 

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hallo monolith, 

 

freut mich, dass du dich (nicht) wiedererkennen konntest. :biggrin: 

danke auch noch für das lob zu meinen kommentaren allgemein, was du in einem anderen faden erwähntest. ich schreibe einfach nur, was mir durch den kopf geht. :grin: 

 

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hallo elisabetta,

 

auch dir danke ich für das hineinversetzen und gefallen. prosa ist nicht so meine stärke, aber ich versuchs immer mal wieder mit kurzen geschichten und hoffe, mit der zeit besser zu werden.

 

liebe grüße und dank auch an alle liker für die likes. :grin::grin::grin:

sofakatze

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