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Die "B5" - eine Feriengeschichte 1958


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Das beschauliche Dorf Senzke befindet sich in Brandenburg, unweit der Bundesstraße 5. Damals führte eine Kopfsteinpflasterstraße etwa einen Kilometer bis an die sogenannte "Hamburger", die ausgewiesene Transitstrecke für Bundesbürger, die in Richtung Hamburg wollten.

Für uns Kinder war das außerordentlich interessant, denn dort sahen wir Autos und Lastkraftwagen der verschiedensten Marken, die mein Zwillingsbruder Jürgen natürlich alle kannte. 

Wir verbrachten die Sommerferien bei den Großeltern in Senzke, wo die Vormittage mit kleinen Arbeiten ausgefüllt waren, die wir gewissenhaft zu erledigen hatten. Eine dieser Arbeiten bestand darin, das eine aus unserer Sicht riesige Menge alter Kartoffeln ab zu keimen war, die dann in einem großen Kübel als Futter für das Schwein gekocht wurde. Oma Marie zeigte uns einmal wie die Arbeit zu verrichten war und dann überließ sie uns dem Kartoffelberg, der auch nach einer Weile Arbeit scheinbar nicht kleiner werden wollte, was sicher auch an unserer Unlust auf diese stupide Beschäftigung lag. Um ein wenig Spaß in die Sache zu bringen, baute mein Bruder kleine Kartoffelmännchen oder benutzte die Kartoffeln als Wurfgeschosse. Er war in seiner Art schon damals sehr kreativ und verband gerne das nützliche mit dem angenehmen. Jürgen zu verpetzen war relativ sinnlos, denn Oma Marie überließ es uns beiden Streitigkeiten unter uns auszutragen.

Nach getaner Arbeit erhielten wir meist eine kleine Belohnung, die in einer Limonade oder einem  Stück selbst gebackenem Kuchen bestand.

Wenn nichts anderes geplant war, konnten wir am Nachmittag herumstromern. Oft schlichen wir uns durch den großen Bauerngarten, wo alles wuchs, was zur täglichen Versorgung genutzt werden konnte. Angefangen von den roten, weißen und schwarzen Johannisbeeren, hin zu Stachelbeeren, Bohnen, Zuckererbsen, alle möglichen Kräuter, Kartoffeln, Tomaten, Gurken, Rhabarber und schließlich die reichlich Früchte tragenden Apfel-, Pflaumen- und Birnbäume. Das bedeutete immer frisches Obst und Gemüse auf dem Teller. Der Ertrag der grünen Bohnen war oft so üppig, dass Oma diese in der Aufkaufstelle des Dorfkonsums für mehr Mark der DDR verkaufte und bei Bedarf für weniger MD im Konsum wieder erstand - Plan- oder Mangelwirtschaft?

Hinter dem prächtigen Bauerngarten führte die Strecke der Kleinbahn entlang, die von Nauen kommend in Senzke hielt und weiter nach Haage fuhr. Die Bahn war eine gute Verbindung zur Kreisstadt, wohin sich Oma Marie und Opa Ernst einmal im Monat auf den Weg machten, um größere Einkäufe zu erledigen und Opa zum Friseur ging.

An den Bahngleisen der Kleinbahn entlang führte ein ausgetretener Pfad bis an die Bundesstraße 5. Auf diesem Wege gelangten wir bis zur "Hamburger", wo wir uns in den Straßengraben setzten und unser Spiel mit dem Erkennen der Automarken begannen. Das beobachten und zählen der Westautos war spannend und die Zeit verging wie im Fluge. Wir winkten den Autofahrern zu und freuten uns über freundliche Reaktionen. Richtig gejubelt haben wir dann, wenn aus einer Fahrerkabine etwas Süßes oder sogar Kaugummi geflogen kam und dazu noch gehupt wurde. Das war der größte Spaß. Auf dem Heimweg wurde die "Beute" geschwisterlich geteilt, meist jedoch gleich verzehrt oder versteckt, denn uns war schon klar, das unser Handeln verboten war und die Großeltern Schwierigkeiten bekommen könnten, wenn wir erwischt worden wären - wurden wir jedoch nicht!

Das Spiel an der B5 ist lange unser Geheimnis geblieben. Heute, wo sich die Zeiten geändert haben, kann ich darüber schmunzeln und mich rückwirkend bei den freundlichen LKW-Fahrern in Richtung Hamburg bedanken.

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