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Der Reisende


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Es ward ein Mann im Land der Pharaonen,

Welcher eine weite Reise unternahm.

Er sieht am Himmelszelt die Falken thronen.

Die Sonne weit über seinem Haupt scheint warm.

 

 

Den Nil will er hinauf, durch der Wüste kargen

Roten Sand, soweit ihn seine Füße tragen.

 

Den ersten Tag führt ihn sein Weg nach Swenu,

Das Inselreich der vergangenen Tage.

Im Sünden von Iat-rek, der Isis' Waage,

Bis hin in den Norden zu Setet's Abu.

Die Stadt, da die Sonne ihre Bahnen zieht

Über die Ebenen von rotem Granit

Und der Reisende vor Ehrfurcht niederkniet.

 

 

Den zweiten Tag hält der Mann in Djeba Rast,

Die Stadt, da früher stand des Hare Palast,

An dem Platz, da dieser einst besiegte Seth,

Jener Ort, da nur noch die Ruine steht,

Die Stelle, an der der Reisende leis fleht.

 

Den Nil zieht er hinauf, seit nunmehr zwei Tagen.

Sag, wie weit werden ihn seine Füße noch tragen?

 

 

Den dritten Tag gelangt er mit seinem Gut

In die Tempelstadt, ins edle Ipet-sut.

Entlang der von Widdern gerahmten Allee,

Hinein in das Heiligtum des Amun-Re.

Erblickend Säulen, die zum Himmel ragen.

Nur mächtige Götter könnten sie fällen.

Das Haus in dem einst güld'ne Götzen lagen,

Mit hunderten von Toren und Kapellen,

Vor tausend Jahren in den Stein geschlagen.

Erbe der Hauptstadt aus der goldenen Zeit,

Das dem Reisenden wahrlich sein Herz befreit.

 

Den Nil zieht er hinauf, seit nunmehr drei Tagen.

Sag, wie weit werden ihn seine Füße noch tragen?

 

 

Den vierten Tag quert er den Nil gen Waset,

Vorbei an den Häusern der Millionen

Und an den Kolossen des Amenhotep,

Zum Ort in dem die Könige nun wohnen.

Pa-cher-aa-schepes wurden sie genannt,

Die Tore der Könige mitten im Sand.

Die Magie ist für den Reisenden gar unbekannt.

 

Den Nil zieht er hinauf, seit nunmehr vier Tagen.

Sag, wie weit werden ihn seine Füße noch tragen?

 

 

Den fünften Tag zieht er durch Abdju hindurch.

Passiert den Tempel des großen Men-Maat-Re.

Durch den Sand, weiter nach Norden, bis Sauti.

Die Hitze der Wüste wie ein böser Fluch,

Aber es lockt des Deltas süßer Geruch.

 

Den Nil zieht er hinauf, seit nunmehr fünf Tagen.

Sag, wie weit werden ihn seine Füße noch tragen?

 

 

Den sechsten Tag am See zum trinken gesenkt,

In Nen-nesu, da man Herischef gedenkt,

In dem Tempel, da sein Ebenbilde hängt.

Die Stadt, da er den neuen König empfing,

Zu der Zeit, als dieser noch auf Erden ging.

Doch nur noch die Stimme des Reisenden klingt.

Dort, neben dem Wind, der in den Mauern singt.

 

Den Nil zieht er hinauf, seit nunmehr sechs Tagen.

Sag, wie weit werden ihn seine Füße noch tragen?

 

Den siebten Tag geht er vorbei an vielen

Dem Sand entflohenen Pyramiden.

Die Pracht zahlreicher Generationen

Von Fürsten, von Herrschern, von Pharaonen.

Bis er nach Men-nefer kommt, der Stadt des Ptah,

Die früher die Heimat des Apis Stiers war.

Der Reisende fühlt sich ihm immer noch nah.

Den Nil zieht er hinauf, seit nun sieben Tagen.

Sag, wie weit werden ihn seine Füße noch tragen?

 

 

Den achten Tag führt ihn sein Weg hin zum Sphinx,

Der die drei Könige seit langem bewacht,

Wie ein steinernes Mahnmal der alten Macht.

Und hinter diesem Wesen, von rechts nach links,

Türmen sich auf der Horizont des Chufu,

Daneben die Großartigkeit des Chafre,

Bis hin zur Göttlichkeit des Menkaure.

Ja, und tausende von Tempeln noch dazu.

Und zwischen ihnen der Reisende, erblasst,

Vom Zauber Ägyptens wurde er erfasst.

Von all der Schönheit, der Dauer und der Kraft.

Den Nil zieht er hinauf, seit nunmehr acht Tagen.

Sag, wie weit werden ihn seine Füße noch tragen?

 

 

Den neunten Tag sieht er, wie der Nil sich teilt,

In Iunu, des Deltas Tor, er kurz verweilt.

Bis hin nach Sau geht er, ins grüne Herz,

Dort überkommt seine Füße höll'scher Schmerz.

Keinen Meter kommt er heute noch vorwärts.

 

Den Nil zieht der Reisende hinauf, seit nunmehr neun Tagen.

Sag, werden seine Füße ihn auch bis zum Ende tragen?

 

 

Am zehnten Tag erreicht er Alexandria,

Die Stadt der Gelehrten, der Bibliothek.

Das Ziel für den, der so weit gegangen war,

Einen schier unendlich erscheinenden Weg.

Doch seine Füße sind ihm nun ganz schwer.

Seine Beine gehorchen ihm nicht mehr.

Seine Lunge heiß, wie gefüllt mit Teer.

Seine Sinne wirken ihm komplett leer.

Und so stürzt er hinab ins weite Meer.

 

 

Es ward ein Mann im Land der Pharaonen,

Welcher eine weite Reise unternahm.

Er sah am Himmelszelt die Falken thronen.

Die Sonne weit über den Fluten schien warm.

 

 

----------------

 

 

Swenu (Assuan)

Iat-rek (Philae)

Isis (Lokalgöttin auf Philae)

Abu (Elephantine)

Setet (Lokalgöttin auf Elephantine)

Djeba (Edfu)

Hare (Lokalgott von Edfu)

Seth (Gegner des Hare; Gott der Wüste)

Ipet-sut (Karnak)

Amun-Re (Lokalgott von Karnak)

Waset (Theben)

Amenhotep (Amenophis III.)

Häusern der Millionen (Totentempel der Könige)

Pa-cher-aa-schepes (Tal der Könige)

Abdju (Abydos)

Sauti (Asyut)

Men-Maat-Re (Sethos I.)

Nen-nesu (Herakleopolis)

Herischef (Lokalgott von Herakleopolis)

Men-nefer (Memphis)

Ptah (Lokalgott von Memphis)

Der Horizont des Chufu (Cheops-Pyramide)

Großartigkeit des Chafre (Chephren-Pyramide)

Göttlichkeit des Menkaure (Mykerinos-Pyramide)

Iunu (Heliopolis)

Sau (Sais)

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Beim ersten Lesen tat ich mich ein bisschen schwer, kam immer wieder ins Stocken, stolperte über all die mir fremden Namen. Fragte mich am Schluss, wies kommt, dass er am Meer gelandet ist, wo er doch den Nil hinaufzog.

Beim zweiten mal beginnt es zu fließen, der Staubschleier lüftet sich, das Bild wird klar, die Hitze spürbar. Nun erst fällt mir auf, dass ich die Reise auch auf einer anderen Ebene, auf der Landkarte nachvollziehen könnte, dafür braucht es die genaue Bezeichnung all der Städte und Baudenkmäler. Und klar, auf der Karte fließt der Nil von unten nach oben! (Finde ich clever.)

Jedenfalls begleite ich ihn, leide mit ihm. Er ist ja nicht losgezogen, um all diese monumentalen Bauwerke zu besichtigen. Er wandert, im Herzen die Sehnsucht nach dem gelobten Land.

Vielleicht interpretiere ich da jetzt etwas hinein, was gar nicht so gemeint ist, dann sags mir. So oder so: es gefällt mir.

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