Hallo Ralf T.
wir nehmen täglich Abschied...
und das Schöne daran kann auch das Wiedersehen sein..
Aber...
... manchmal ist es gut zu gehen,
doch wenn er, so wie du schreibst, endgültig ist,
dann schmerzt es einfach.
Habe deine Zeilen sehr gerne gelesen,
behutsame Grüße, Behutsalem
In Gedanken an Frau F.
Hab mal eine Frau gepflegt.
Es fing mit Kaffee trinken an.
Sie war betagt mit 83 Lenzen,
hab den Frühling ihr gesät,
mit meiner Rhetorik, so gut
es ging, sie war gerührt und bewegt,
sie fing auch wieder mit lachen an.
Hab versucht sie zu verstehen,
einfach war das leider nicht,
sie sprach manchmal wirr,
konnte nicht mehr gut sehen,
der Star saß ihr im Augenlicht.
Sie gab Beifall manches Mal,
als ich aus Kästners Werke las,
seine Zeilen waren ihr nah,
er schrieb aus dem Leben
und sie glaubte ihm das,...
...ohne diesen selbst zu kennen
oder mit ihm vielleicht zu sprechen,
denn er schrieb fast ihr Leben,
mochte sich zu der Zeit bekennen,
wo in Deutschland die Nacht stets zugegen.
Wir gingen sehr oft durch die Stadt,
in der sie ihre Jugend verbracht,
wo Gauleiter Sauckel ihr einen Schubs gab,
als sie fröhlich auf der Schauckel saß,…
…der nette Gauleiter war auf Frohsinn bedacht.
Sie erzählte mir von Buchenwald,
und das alle im Ort wussten,
das es auf dem Ettersberg ein Lager gibt,
in dem viele Menschen ausharren mussten,
bei schwerer Arbeit und Hunger im Krieg.
Sie erzählte mir von Onkel Willi,
der ein bekannter Busfahrer war,
mit Spitznamen Zwecke,
so nannten sie ihn,
ein Mensch mit Charakter,
sein Wesen wunderbar.
Unter Einsatz seines eigenen Lebens
nahm er aus dem Lager Briefe mit,
diese Hilfe war nicht vergebens
und war für manchen Verfasser
das Glück im Unglück.
Er nahm seine Nichte bei der Hand,
sie gingen ins Lager
als der Krieg ward verbannt,
zeigte ihr dort die barbarischen Wege
und unmenschlichen Resultate
der deutschen Rassepflege.
Da wurde der jungen Ursula,
auf einmal das Reden
der Erwachsenen
hinter vorgehaltener Hand,
in ihrer Jugendzeit, völlig klar,
und sie sah ihre Kinderzeit
zu Recht, als betrogen an.
Sie dachte oft an ihre Kindheit zurück,
die alten Menschen sehr oft
ins Bewusstsein rückt,
dachte an den Vater,
der vor Verdun sein Bein verlor
und an seine Holzprotese,
denn die brachte sie monatlich
nach Jena zur Pflege.
Sie dachte an die Mutter
und ihre drei Schwestern,
an ihren Mann, der schon
vor Jahren ging,
erzählte von ihnen,
als wäre es grade Gestern
wo sie zusammen gewesen sind.
Und selbst wenn sie sich oft
wiederholte hörte ich ihr zu,
stundenlang war ich ihr
dabei immer zugegen,
sie saß mit mir vor´m Fernseher
ganz froh und in Ruh‘,
selbst wenn sie selbst
nicht mehr viel konnte sehen.
Mir war klar, sie genoss
meine Anwesenheit,
nur das jemand da ist
der ihr auch sehr nah,
was ja nicht von der Hand
zu weisen ist, da ich für
ihre Pflege verantwortlich war.
Dadurch war sie nicht zuletzt,
mir selbst schon sehr nah
als seihen wir verwandt,
und die Pflege als Notwendigkeit,
schließlich nicht als diese,
für Frau F. stand.
Nein, es war meine Hilfe,
die ich gern hab gegeben,
bis zum Schluss, als der Abschied nah,
und ich nichts mehr tun konnte,
als ihre Hand halten
und Kästner vorlesen,
weil Geräte sie hielten am Leben.
Ganz zum Schluss,
kurz vor ihrem Ableben,
sagte mir einer der
hauptberuflichen Pfleger:
„Bei Ihnen ist es anders,
da reagiert Frau F. ,
man sieht, für sie,
sind Sie nicht jeder!“
Es war schön und traurig,
das mich mit ihr etwas verband,
schön – weil sie merkte
das ich da war,
traurig – wenn jemand
aus der Familie am Bett stand,
denn weder Sohn noch Schwestern
waren ihr selbst noch nah.
Ich hab Abschied genommen,
hab es ihr gesagt,
das ich leider nicht mehr
zu Besuchen werd kommen,
und hoffe, das sie nicht
mehr lang zu leiden hat.
Kurz darauf ist Frau F.
dann verstorben,
ihr Leiden endlich
ein Ende fand,
den Bestattungsbesuch
hatte ich schon
zu ihren Lebzeiten,
auf ihre Frage, verworfen,
hatte ihr gesagt
das ich sie in Gedanken
besser tragen kann.
Ich habe Abschied
vom Abschied genommen,
denn ich kann Frau F.
jeden Tag sehen,
wenn ich an sie denke
ist die Erinnerung willkommen...
...und es ist als wäre sie noch am Leben.
R.Trefflich im August 2020