J.W.Waldeck
Autor
Unkendorf lebt
Erster Akt
der kleine Schmalzmolch
hebt die Rotznase
bei schwerem Sommerregen
bibbert er
rutscht patzig herab
an Omas Schmalzglase
welches bereits halb leer…
fast schwarz zittern Tropfen
zeichnen auf Scheiben
ein kosmisches Mosaik
ein rhythmisches Klopfen
als spräche zu ihm
ferne Musik
auf silbernen Spinnweben
hinterm Uhrmacherschrank
wiegt sich
der hundsgemeine Flackerfleck
wie immer jagt er
andren einen Schreck
als weiß
sein Wachsgesicht hinabwankt
koppschussallah kalbsgulasch!
schriekt er
wie eine gespießte Ratte
wir übersetzen:
was machst denn da?
ich höre eine neue Sprache
umpste der Schmalzmolch gerade
sie erzählt von einem geheimen Ort
hier im vergess‘nen Unkendorf
denn Unkendorf liegt im mythischen Osten
wo Orte und Landschaften verrosten
die Kinder
in die laute Weststadt ziehn
die Menschen
dunklem Sturm entfliehn
indes Fachwerkhäuser zerfallen
erlangen sie Gesichter
und Falten
und Knorpelzwerge
und Wurzelzopfler
kriechen aus warmer Regenerde
humpelnde Alte stricken
hinter Staubfenstern
indes sie schöner Jugend gedenken
da sie an heiße Liebe glaubten
ihren Lehrern blind vertrauten
die erzählten
bis die Kreide brach
von gleichen Chancen
auf dem Arbeitsmarkt
und bekamen dicke Pensionen
für ihre gesponnenen
Lügenvisionen
doch ohne Geld und Studium
blieben sie
in kleinen Kammern
und entkamen nie
tranken oder schenkten
sich zu Weihnachten
einen kleinen Apfelstrudel
selbst gebacken
mit ihnen hielten’s
nicht mal Freunde aus
welche Autos besaßen
von privilegierten Eltern
sie vermochten
sich hinfort bewegen
und Arbeit finden
in finanzierten Welten
aus dunklen Winkeln
starrten Knopfaugen
die Mauerkitzler
und Ritzenspitzler schraubten
an ihren Wegen und Verstecken
denn sie lieben das Rieseln
und Necken
horch!
wie der kleine Krümel fällt
und noch ‘nen kleineren Krümel hält
den er zart küsst
bevor beide zerplatzen
es hieß:
sie wurden erwachsen…
draußen weint
das ehrwürdige Brunnenrad
früher liebkosten
es fleißige Hände
schaufelten seine Tränen
aus tiefem Grab
und dankten
für die kühlende Spende
auf seinen schwarzen Rippen hocken
fremde Sippen
die krächzend abrocken
und spreizen ihre Totenflügel
und lobpreisen
der Menschen Übel
welche sie nähren
und wilde Sippen mehren
dann lachen die Krähen
ohne Sorgen
auf ewigen dunklen
und seltsamen Müllbergen
wo Geräte liegen
einst gepriesen
als Höhepunkt von Morgen
der kleine Schmalzmolch
schleckt genüsslich
seine Klumpnase duftet süßlich
vom alten Lebkuchen
unter den Schrank gerutscht
den er als kleines Kissen nutzt
ach die schönen Sachen
welche herumliegen!
sie strahlen einen überirdischen Frieden
und durch den Staub
und durch ewigen Zeitvertreib
erlangen sie
seltsame Persönlichkeit
draußen rieselt
durch die Rostrinne
mit gehässigem Gluckern
vorbei an einer Warzenspinne
mit dickem weißem Unglückskreuz
ein Tropftrapps
und klatscht recht eklig herab
fängt sich an einem Traubenblatt
dessen Reben
das Speisekammerfenster umschmeicheln
dann beginnt er gierig zu speicheln
und rutscht in den Salat
paar Köter kläffen in der Ferne
blinken erste verschlafene Sterne
treibt ein frischer Nachtwind
die Heere
wilder Tropfen
über die sieben Meere
dann brennen die Öllampen
im kleinen Munkelort
denn Strom und Geschäfte
sind längst fort
alle auf einem Haufen
schuften in der Stinkestadt
wo Hitze herrscht
und jeder Pflichten hat
auf halb verfall‘nen Schildern
scheinen Insekten zu wildern
die sich aufregende Dinge erzählen
denn sie hocken lange
auf knorrigen Briefkastenpfählen
bis Stare herabflitzen
und manche erwischen
wie sie dreist im Regen glitzern
planschen mit dunkelhaarigen Wangen
und aus Wassertropfen
kristalline Zukünfte lesen
denn Magie entsteht unverfälscht
in verlassenen Wesen
.
wird laufend fortgesetzt…
© j.w.waldeck 02.08.2006
