Hallo Uwe,
dies sind ja wirklich zwei recht unterschiedliche Gedichte zum gleichen Thema! Ich stelle sie mal gegenüber, da du die Postingbegrenzung ja eingehalten hast und nun nichts mehr dagegen spricht:
Gereimt:
Steige bergwärts, Schritt für Schritt,
lauf vorbei am letzten Haus.
Nimm dir einen Bergtroll mit:
Der kennt sich hier bestens aus.
Bald siehst du die Trollschafherden,
die kein Schäfer jemals schert.
Willst du selbst kein Bergtroll werden,
mach jetzt auf der Stelle kehrt.
Bist du einmal hochmarschiert,
kommst du niemals mehr zurück.
Keine Ahnung, was passiert,
doch passieren tut's. Viel Glück.
Ungereimt:
Es liegt hier, wie du selber siehst,
Geröll bis hin zur Felsenwand.
Danach führt, wenn du höher strebst,
ein schmaler Steg durch tiefe Schlucht.
Nun ragt ein schwarz und ungestüm
vom Winterwind gebeugter Wald
gen Himmel, der schon näher ist,
als manch ein Wesen ihn erträgt.
Noch kannst du umdrehn, wirst jedoch
nicht Herr mehr deiner Sinne sein.
Im Schatten vor dir liegt ein Pfad,
der durch die Lüfte aufwärts führt.
Noch niemand kam von dort zurück,
um zu berichten, was geschieht.
Ein Ende wird's, des sei gewiss.
Der Herr steh deiner Seele bei.
Das ungereimte Gedicht liest sich geschmeidiger, was aber vor allem am jambischen Versmaß liegt. Hättest du dies auch für das Reimgedicht verwendet, würde ich mich rein vom Lesegenuss wohl für die gereimte Form entscheiden.
Da hier aber auch das Unheimliche mitschwingen soll, kommst du allein wegen der härteren Trochäen hier bereits mit drei Strophen aus. Mehr musst du gar nicht sagen, um die Stimmung auszudrücken. Viel mehr hätte ich in dieser Form allerdings auch nicht lesen wollen.
Ganz anders geht es mir bei der ungereimten Variante. Reimlose Verse sind halt wunderbar für lange Erzählungen mit ganz viel Handlung und sehr detailreichen Beschreibungen geeignet. Hier hätte ich noch lange weiterlesen können, wenn noch konkretere Warnungen auf mich gelauert hätten.
Auffällig ist, dass du die Vorteile der Reimlosigkeit hier noch nicht voll ausgeschöpft hast. Die Versendungen sind so klangvoll, dass sie ohne weiteres auch Reime zugelassen hätten, (typisch Reimer halt). Ohne Reimzwang sind aber auch richtig sperrige Wörter am Versende möglich, auf die sich niemals ein Reim finden ließe. Auch die Strophen müssten ja nicht vierzeilig sein bzw. überhaupt gleichmäßig sein. Da könntest du noch eine Menge ausprobieren, wenn du Lust hättest!
Andererseits: Wenn du kein Freund langer Gedichte bist, warum solltest du dich umstellen? Da du ja im Reimen alles andere als unbeholfen bist und Reimgedichte beim Publikum sowieso die beliebteren sind, dürfte das Ausprobieren reimloser Formen für dich wohl eher auf ein "spaßeshalber" hinauslaufen.
"... um zu berichten ..." Ich lese (und schreibe) es in der Tat mit Betonung auf "zu", mit dem Metrum. Wenn noch weitere Leser an der Stelle Schwierigkeiten haben, sollte man vielleicht umbauen.
Ne, umbauen muss hier nicht sein, da die beiden Silben ja nur leichte Bausilben sind. Wow,
@Jackybee, du hast aber ein feines Gehör! Stimmt, "um" ist tatsächlich etwas stärker betont als "zu". Das spielt hier aber keine große Rolle, da das Metrum ja sonst sehr eindeutig ist und "zu" als mittlere von drei unbetonten Silben hier automatisch leicht angehoben wird. Es ist sozusagen stellungsbetont.
Zum Lesen ist es völlig okay. Im Vortrag könnte man sogar sehr gut "
um zu be
richten" betonen, damit das Metrum nicht zu übertrieben hervorklingt. Die Versanfänge in jambischen Versen beginnen übrigens häufig mit einer versetzten Betonung oder auch mal mit zwei betonten Silben. Die werden dann als "schwebende Betonung" gelesen, also etwa gleichstark betont.
LG Claudi