Lieber Hayk,
dies Gedicht hat nicht den Anspruch ein Muttertagsgedicht zu sein.
Wie Du richtig schreibst, spannt es den Bogen sehr weit. Der Bogen ist ein absolut subjektiver. Die Sehne spannte sich bei mir, als im Herbst 2015 Hunderttausende von Flüchtlingen nach Dtld. kamen. Begeistert aufgenommen von den Einen , heftigst und immer heftiger bekämpft von den Anderen.
Ich stand im Bahnhof und war vollkommen begeistert von der plötzlichen Vielfalt, die sich in einer rückständigen, sehr katholischen und bigotten bayerischen Großstadt plötzlich zeigte. Begeistert und so gerührt, dass für diese Menschen, die entsetzlichste Odyseen hinter sich haben, ein Ankommen sein darf. Da meine Mutter als Neunjährige aus Ostpreußen geflohen ist, bin ich selbstredend viel mehr berührt davon, als andere.
Dass meine Mutter ein Flüchtlingskind ist, war in meinem Elternhaus kein Thema . Wir haben nie davon gehört. Als ich es wagte mit ca. 27 im Rahmen einer Therapie mal scheu anzuklopfen, rührte ich so sehr an ein Tabu, dass ich harsch abgewiesen wurde, nachdem ich vllt. fünf Minuten erzählt bekommen hatte.
Ich habe zeitlebens das Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit an mir , in mir. Das ist sehr bitter gewesen - insbesondere in meinen jungen Jahren, weil ich nie wußte, was eigentlich mit mir so anders ist. Ich fühlte mich fremd, solange ich denken kann. Inzwischen weiß ich es : Es wirken Traumata in mir, die meine Mutter und ihre Mutter erlebt haben.
Das Thema "Kriegsenkel" ist inzwischen eines, in dem dies offenbart wird.
Soweit meine persönliche Berührung und Berührbarkeit mit dem Thema "Flucht".
Als nun im Herbst 2015 und in der Folge die Flüchtlinge nach der Anfangseuphorie sehr kontrovers behandelt und immer mehr bedroht wurden, ist bei mir die Sehne gerissen. Der Bogen war absolut überspannt.
In diesem Sinne ist für mich auch kein Frieden, wie Du ihn in den letzten Worten schreibst. Hier in Dtld. brennen seit Jahrzehnten die Wohnhäuser von ausländischen MitbürgerInnen. Faschistische Strukturen sind nach wie vor am Wirken - es gibt zB. immer wieder Hinweise darauf, dass Delikte mit rechtsradikalem Hintergrund nicht als solche behandelt werden. Die Polizei ist tw. von absolut rechtem Gedankengut durchsetzt.
So entstand mein Gedicht als großer Überblick von der Zeit, als meine Mutter im Januar 1945 fliehen musste bis hin zu der Zeit, als wieder welche fliehen mussten. (In den ganzen Jahren dazwischen waren ja auch unablässig Menschen auf der Flucht) Wieder vor absolut sinnlosen Kriegen . Insofern bezieht sich mein Appell zum Schluß "Auf dass endlich Frieden werde " auch nicht auf Dtld. oder Europa, sondern auf die Welt.
Dies Gedicht hat nichts zu tun mit der Befreiung Deutschlands im Mai 45 - das schrieb ich nur in meinem Kommentar an Lètranger, weil ich ursprünglich ein andres schreiben wollte und dies nicht gebacken bekam.
Du schreibst :
Ich denke, damit hast Du Dir einen zu großen Brocken vorgenommen und darin sehe ich auch den Grund, dass der Leser, zumindest geht es mir so, ins Grübeln kommt.
Dazu möchte ich vorab sagen, dass dieses Gedicht andernorts mit sehr viel Zuspruch aufgenommen worden ist. Auch war es schon einmal hier in diesem Forum (vor ca. zwei Jahren / ich hatte einen andren Account) und damals ist es meiner Erinnerung nach Tagessieger geworden und sehr positiv aufgenommen worden. Dass meine Texte aktuell nicht kommentiert werden, hat einen andren Grund, den ich nur erahnen kann. Ich nehme an, dass ich einigen UsernInnen zu sperrig und zu eigensinnig daherkomme , entnehme dies auch spitzen Bemerkungen und Grenzüberschreitungen.
Leider ist keineR manns:fraus genug, mir das direkt , womöglich auch als pn zu schreiben. So werde ich halt einfach ausgegrenzt. Seis drum.
Nun zu Deiner konkreten Kritik:
Mit neun Jahren wurdest Du verlassen -
"der Russe", er war schon im Dorf.
Bekam auch die Frauen dort zu fassen
war innerlich ausgebombt, außen nur Schorf.
1. Vers: (wer ist dieses "du"? Wer hat dieses "du" verlassen?)
Naja - das LD , das ja in jedem Gedicht auftritt. Es wird ja in anderen Gedichten auch nicht erklärt . Oder hätte ich ein Sternchen hinmachen sollen und dann unten erklären ??
2.Vers: (diese Satzstellung treffe ich zweimal bei Dir an: "der Russe,...er war schon ...", an .anderer Stelle: "Deine Pfade, Mutter, sie waren....". "der Russe war schon ..."
?? -was stört daran?Er, der Russe war im Dorf. Ist doch eine klare Aussage.
Deine Pfade, Sabine, sie waren nicht leicht. (Ist das so verständlich .... . Oder gibt es diesen Satzbau nicht? )
3. Vers: Das ist mir zu harmlos ausgedrückt. Wenn er, der Russe, die Frauen "nur" zu fassen bekam im Dorf, dann ver- schweigst Du hier schamhaft (ohne einen Grund zum Schämen zu haben), was wirklich geschehen ist. Die Mädchen und Frauen sind brutal vergewaltigt worden und haben dieses Verbrechen oft nicht überlebt.
Hayk, ich weiß was den Frauen geschehen ist. Ich verschweige das nicht schamhaft, sondern weil ich in diesem Gedicht, das so sehr mein persönliches ist, keine Worte dafür habe. Es nicht benennen will.
4. Vers: Wer war da "innerlich ausgebombt" und wer hatte außen nur noch schorf"? Ich muss mir zuviel selbst zusammen suchen.
"Der Russe" - für mich geht das eindeutig aus dem vorher gesagten hervor. Oder bin ich zu nah an meinem Gedicht dran, dass ich das nicht sehen kann was Du meinst ?
In der zweiten Strophe verliert dieses "du" seine/ihre Mutter. An der Hand des "du" ist sie ermordet worden. Aber um wen hat das LI dann Jahrzehnte lang gerungen?
Es gibt den Satz : "Vergewaltigung ist Mord an der Seele der Frau" . So erklärt sich dieser Satz.
Ich bedanke mich für die viele Mühe die Du Dir mit meinem Gedicht gegeben hast.
Liebe Grüße
Sternenherz
Lieber Lè ,
auch bei Dir bedanke ich mich herzlich für Dein langes Zusammensitzen mit meinem Gedicht.
Ich gehe morgen näher darauf ein.
Es ist schon spät.
Liebe Grüße
Sternenherz