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Feedback jeder Art Das Mühlrad (Glosse)

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  • Schmuddelkind
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"Hör ich das Mühlrad gehen:
ich weiß nicht, was ich will,
ich möcht am liebsten sterben,
da wär's auf einmal still."
(Joseph von Eichendorff)


Das Mühlrad hat mitnichten
sein Branden eingestellt,
auch wenn dort durch die Fichten
der erste Schnee schon fällt.
Und hier an unsrem lichten,
vertrauten Cheminee
kannst du mich wohl verstehen:
wie wird mir wohl und weh,
wenn ich geschrieben seh:
"Hör ich das Mühlrad gehen"!
Du schmiegst dich eng und warm,
ganz wie ein stilles "Danke",
verträumt an meinen Arm.
Ein flüchtiger Gedanke,
der aus dem Vagen kam,
lädt ein, hineinzutauchen.
Als wär's auf einmal still,
da wir die Stille brauchen,
hör ich dich leise hauchen:
"ich weiß nicht, was ich will."
Der Takt droht zu verklingen,
nur bis wir uns im Kuss,
so zart, wie im Durchdringen
das Mühlrad mit dem Fluss
ganz ineinanderschlingen,
so wie wir Stück um Stück
um jede Regung werben -
und keiner weicht zurück -
da stoß ich aus vor Glück:
"ich möcht am liebsten sterben!"
Ich wisch die Tränen ab,
die sich just von mir trennen,
um deine Brust hinab
zu rinnen - im Erkennen:
der Ausblick wär mein Grab.
Drum hab ich gute Gründe,
dass ich mein Kodizill
an deinem Schoß verkünde,
denn wenn das Mühlrad stünde,
"da wär's auf einmal still."
 
 
(Aus dem Fundus)
 
Schönes Spiel, liebes Schmuddelkind, mit Eichendorfs Text und Metaphorik. Ein paar Worte dazu:
 
In beiden Gedichten steht das brausende Mühlrad zunächst für die Liebe.
 
Während das LI bei Eichendorff seine Liebste verloren hat und daran leidet, dass es sich weiter dreht, ist es bei dir genau umgekehrt: 
 
Das LI sitzt mit der Liebsten im Arm vor den Kamin (Cheminee) und die Liebe ist so beglückend (das Mühlrad trotz Winter so tosend laut), dass die beiden es kaum aushalten ("da wir die Stille brauchen") und das LI nun deswegen dem Tod nah ist.
 
Das Mühlrad steht hier aber auch für das LI selbst und der Fluss, der darüber fließt, für seine Liebste. 
 
Ein Zusatz sind die Tränen des LI's. Es wischt sie fort, ehe sie der Liebsten über die Brust in den Schoß ("der Ausblick wär mein Grab") rinnen. Aber einen Testamentszusatz (Kodizill) muss es an diesen geben, ehe es zu spät (denn wenn das Mühlrad stünde) dafür ist.
 
Das ist ein humoriger Umgang mit der Liebe und der von Eichendorff nicht berührten Sexualität.
 
Mit Freude gelesen.
Chapeau von gummibaum 
 
 
 
Vielen Dank, lieber gummibaum! :grin:
 
Deine ausführliche Betrachtung des Gedichts ehrt mich sehr und umso mehr tut es mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, zu antworten. Das habe ich generell in den letzten Wochen zeitlich nicht hinbekommen und habe daher schon das Posten neuer Gedichte weitgehend eingestellt. Schade, dass ich jetzt so spät dran bin, dass du inzwischen schon gar nicht mehr im Forum bist. Naja, vielleicht kriegst du ja noch mit, dass ich geantwortet habe...
 
Schönes Spiel, liebes Schmuddelkind, mit Eichendorfs Text und Metaphorik.
Danke. Ja, Metaphern laden mich gerne zum Spielen ein. Das Schöne an Metaphern ist ja, dass ihre Bedeutung sehr kontextabhängig ist und man viel Spaß damit haben kann, die Bedeutung zu erweitern, wenn man dieselbe Metapher in einen anderen Kontext einbaut.
 
Während das LI bei Eichendorff seine Liebste verloren hat und daran leidet, dass es sich weiter dreht, ist es bei dir genau umgekehrt: 
Jepp, sehr gut beobachtet. Danke, dass du dies durch deine Gegenüberstellung so deutlich auf den Punkt gebracht hast! :smile:
 
Das LI sitzt mit der Liebsten im Arm vor den Kamin (Cheminee) und die Liebe ist so beglückend (das Mühlrad trotz Winter so tosend laut), dass die beiden es kaum aushalten ("da wir die Stille brauchen") und das LI nun deswegen dem Tod nah ist.
Nur der Tod in seiner absoluten Stille könnte die enorme emotionale Intensität besänftigen und nur wenn das Bewusstsein in das Nichts eingeht, ist der ewige Mühlradkreis der Gedanken durchbrochen. Das hat dann gewisse Anlehnungen an das Nirvana, wie ich wohl auch zwischen deinen Zeilen herauszulesen glaube. Interessanterweise kann man den Tod selbst hier als metaphorisch betrachten, da es ja gewisse Andeutungen gibt, dass der Tod hier auch für den Orgasmus steht.
 
Das Mühlrad steht hier aber auch für das LI selbst und der Fluss, der darüber fließt, für seine Liebste.
Auch so gesehen macht die Metaphorik Sinn. Ich mag es am liebsten, wenn eine Metapher für viele Dinge gleichzeitig steht - dadurch wird eine ganze Geschichte hinter dem Gedicht möglich - das Mühlrad, das LI, der Tod, die Erlösung, Nirvana, der Orgasmus - all das trifft hier zusammen, kann je nach Bedarf getrennt oder verwoben gelesen werden und drückt damit die emotionale Vielfalt aus, die das LI in einem zärtlichen Moment erlebt.
 
Ein Zusatz sind die Tränen des LI's. Es wischt sie fort, ehe sie der Liebsten über die Brust in den Schoß ("der Ausblick wär mein Grab") rinnen. Aber einen Testamentszusatz (Kodizill) muss es an diesen geben, ehe es zu spät (denn wenn das Mühlrad stünde) dafür ist.
Ja, das ist vielleicht auch ein bisschen schelmisch von mir, aber auch das Scherzen und Spielen inmitten eines bedeutsamen Moments ist eben Teil des facettenreichen Empfindsamkeit, der man sich während des Liebesspiels öffnet.
 
Ich muss es doch noch einmal erwähnen: Ich bin ganz begeistert von deiner so präzisen Analyse und wie sehr du bei deinem Kommentar in die Tiefe gegangen bist. Danke vielmals! :smile:
 
LG
 
  • Schmuddelkind
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