WF Heiko Thiele
Autor
Wer eilet so spät? Die Nacht ist noch frisch.
Es ist die Hebamme. Sie will weg vom Tisch.
"Ein Knabe! Ein Knabe!" ruft sie noch durch 's Haus.
Der Vater frohlocket: "Und wie sieht er aus?"
"Er hat schwarze Augen. Die Haut ist goldbraun."
"Das muß sogleich ich mir selber anschaun!"
Und er stürzt ins Zimmer zu Mutter und Kind.
Verläßt sie umgehend. Trotz Regen und Wind.
Die Jahre vergehen. Der Knabe wird groß.
Gerüchte umwehen den häuslichen Schoß.
"Wer ist nur der Vater? Von wem ist das Kind?
Wie falsch trieb die Frau es? Was fiel sie in Sünd?"
Doch sie hat vergebens ans Schicksal gefleht.
Denn stets war sie treu nur von morgens bis spät.
So rafft sie zusammen, was ihr noch gehört.
Sucht Trost in der Fremde. Der Knabe verstört.
Nicht lange verzagt er. Gelegenheit sucht
und findet den Anschluß. Erfolg er verbucht.
Im Handel und Wandel der blühenden Zunft
macht er sich zu eigen, was seine Zukunft.
Die Perle von einst. Seines Großvaters Pracht,
erschafft ihm nun endlich die fördernde Macht.
Bis rauf zu den Höfen, im weltweiden Rund,
verschafft er sich Ansehn. Zu gleich welcher Stund.
Die Väter der Lande sind gierig nach Macht.
Die Mütter derselben viel eher nach Pracht.
Mit beidem, so scheint es, kann dienen er viel.
Doch ist ganz was andres sein innigstes Ziel.
Er sucht Vater, Mutter und als es geschah,
sind sie alle drei sich im Unwetter nah.
Der Vater als Räuber, die Mutter als Dirn,
im Wirtshaus zusammen. Er in feinem Zwirn.
Und mit schwarzer Perle, von Vaters Urahn
aus Afrikas Breiten. Hinfort ist der Wahn.
Wer konnte auch ahnen, daß des Häuptlings Sohn
vererben einst wird exotischen Lohn.
Von Seiten der Mutter war Unschuld im Bauch.
Die Farbe des Knaben, kolonialer Brauch.
Der Sohn löst die beiden aus ihrer Schuld aus
und nimmt sie mit Tränen zurück in sein Haus.
Er kann ihm vergeben, weil sie es auch tat.
So ist es im Leben. Nicht immer gibt's Rat.
Auch hat man nur selten, 'ne Perle zur Hand.
Drum nutze beständig dein Herz und Verstand.