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Feedback jeder Art Die Rehe

  • Ersteller Ersteller padrowan
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  • anais
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padrowan

Gast
Er verflucht dieses Reh. Dieses verdammte Reh, das ihm die schöne Stoßstange verbeult hat und ihn diesen schönen Feierabend kostet. Na was solls, denkt er sich, bringe ich das Auto halt morgen in die Werkstatt und lasse die Beule raus machen. Zahlt ja eh die Versicherung. 
Jetzt will er erstmal runter kommen. Ein kühles Bier und eine neue Folge seiner Lieblingsserie sollten den Abend retten. Er schiebt noch eine Tiefkühlpizza in den Ofen und schlüpft in eine bequemere Hose. Er muss ja nicht für viele Leute "kochen", den er lebt ja alleine in seinem neuem Haus. Es wurde vor paar Monaten erst fertig gestellt und bildet das Ende einer neu entstehenden Straße in seinem Dorf. 
Die Landluft wird dir gut tun, haben sie gesagt, auf dem Dorf wirst du ruhiger, haben sie gesagt, schießt es ihm durch den Kopf. Im Geiste spukt er auf seinen neuen Laminatboden. Verflucht soll dieses Landleben sein und diese Rehe erst recht. 
Er kann es kaum erwarten bis noch mehr Häuser in seiner Straße gebaut werden und endlich den Blick in den Wald versperren. Vor allem diese kleine Lichtung vor seinem Schlafzimmerfenster gefällt ihm nicht. In dem Lichtkegel der einzelnen Laterne kann man kaum was sehen und trotzdem knackt es und raschelt es immer in den Büschen und Sträuchern.
Das Klingeln der Eieruhr reißt ihn aus seinen Gedanken. Die Pizza ist fertig. Die offene Küche verteilt den Duft von heißem Käse im ganzen Wohnzimmer. Mit grob geschnittenen Vierteln und dem zweiten Bier setzt er sich an den Tisch für mindestens sechs Personen allein. 
Im Streaminganbieter seines Vertrauens haben sie wieder eine neue Folge hinzugefügt und da ihm die letzten paar auch noch fehlen verspricht dieser Abend noch lang zu werden. 
Vier Folgen und drei weitere Bier später geht es langsam ins Bett. Die Treppe fühlt sich unendlich lange an, vor allem wenn paar Sekunden auf jeder Stufe braucht um wieder das Gleichgewicht zu finden, um nichts aus dem Wegebier zu verschütten. Endlich oben angekommen, geht er sich hastig mit einer elektrischen Bürste über die Zähne, spült mit den letzten Schlucken Bier nach und fällt, noch halb angezogen, ins Bett. 
In dem Zimmer ist es stickig warm und auch das angeklappte Fenster hilft da nicht. Er hat den Geruch von Bier in der Nase, welcher ihm von der leeren Flasche auf seinen Nachtisch rüber weht, und den Geschmack von Salamipizza gemischt mit Minzzahnpaste ihm Mund, jedes Mal wenn er aufstoßen muss. Draußen ist es windig. Das Laternenlicht wirft Schatten von sich im Wind wiegenden Ästen an die Wand vor ihm. Hatte ich als Kind Angst vor solchen Schatten, ey. Er muss ein wenig lachen vor dem Gedanken, was für ein Schisser er früher einmal war. Aber jetzt wolle er schlafen. Es ist wieder ein mal zu spät geworden und er musste morgen eigentlich frisch sein für die Flut an Meetings. Er deckt sich halb mit der Sommerdecke zu, drückt seinen Kopf in das Kissen und hofft, schnell das Bewusstsein zu verlieren.
Aber der Schlaf will nicht kommen. Jedes mal, wenn er die Augen schließt, sieht er wieder das Reh. Wie es mitten auf der Straße steht und ihn anstarrt, während er noch versucht, das Auto anzuhalten. Kurz vor dem Aufprall öffnet er stehts die Augen, und überlegt, was er hätte anders machen können. Mal nicht auf den Tacho schauen? Dem Tempolimit entsprechend fahren? Mal eine andere Strecke ausprobieren? Immer wieder spielt er das Szenario von neuem durch, und jedes mal trifft er das dumme Reh. Wo wollte es überhaut hin? Da war links Feld und rechts auch. Hätte es doch da weiter essen sollen wo es stand. An die restliche Herde konnte er sich nicht erinnern, also wo wollte es den so dringend hin? Muss doch eh nicht arbeiten, dass dumme Vieh! 
Er versucht an was anderes zu denken. Seine nette Kollegin, mit der er so schön flirted. Er könnte sie mal einladen zum Essen oder so. Dann machen sie sich beide schick und fahren in ein schönes Restaurant. Fahren über die eine Landstraße. Fahren wieder das Reh an. Wieder denkt er an das Reh. 
Er sitzt in seinem Bett und reibt sich sein Gesicht. Irgendwie muss er doch das dumme Reh aus dem Kopf bekommen. Die Schatten an der Wand sehen auch schon aus wie Geweihe. Und da hört er was draußen knacken. Er schaut aus dem Fenster: Am Rand der Lichtung, noch ganz knapp im Licht der Laterne, stehen ein paar Rehe und grasen. Da platz ihm der Kragen. Er reißt das Fenster auf, nimmt die leere Bierflasche vom Nachttisch und wirft sie raus. "Verpisst euch, ihr Scheißviecher!", schreit er noch, als die Flasche nach einem hohen Bogen unweit der Rehe auf dem Boden zerschellt. Die Tiere erschrecken sich und laufen in die Dunkelheit.
Das Fenster klappt er wieder an und legt sich zurück ins Bett. Sein Herz pocht noch eine kurze Weile, bis es sich wieder normalisiert. Sein Kopf ist wieder etwas freier geworden. Er schließt die Augen und denkt wieder an seine Kollegin. Sie beide gehen Tanzen. Sie trägt ein leichtes Sommerkleid, welches elegant über ihre heißen Hüften gleitet. Wenn sie sich beim Tanzen dreht, wirbelt es hoch und zeigt ihre langen schlanken Beine. Er stellt sich vor, wie eng sie auf der Tanzfläche an einander stehen. Spürt ihren heißen Atem auf seinem Gesicht, fühlt mit seinen Händen ihre Taille schwingen. Seine Hände rutschen tiefer. Er knetet ihren runden Arsch, merkt, wie sich seine Hose spannt, sieht das selbe Verlangen auch in ihrem Blick. Sie gehen raus, in sein Auto. Beißen sich rum. Aber dieser Parkplatz ist zu voll. Er will zu einer anderen Stelle fahren. Während der Fahrt gleitet ihre Hand an seinem Schenkel hoch. Er schaut zu ihr rüber. Sie lächelt ihn versaut an. Er schaut wieder auf die Straße. In dem Lichtkegel steht ein Reh. Er kann nicht mehr bremsen.
Wieder ist er wach und sitzt im Bett. Kann ich den gar keine Ruhe finden?, denkt er sich. Wieder hört er es draußen knacken. Haben sie den ihre Lektion nicht gelernt? Er schaut aus dem Fenster und diesmal ist die Herde etwas größer. Mehrere Tiere grasen dieses mal mitten auf der Lichtung und haben sogar ihre Jungtiere dabei. 
Nein, keine Jungtiere, nur eins. Aber nein, das ist kein Rehkitz, das ist ein Bursche. Ein kleiner Junge, den man zwischen den Tieren fast nicht erkannt hätte, vor allem, weil er auch ein kleines Geweih trägt. Man kann das Gesicht des Jungen nicht erkennen, da die Schatten es verbergen. Dennoch sieht man seine Augen, welche direkt zum ihm ins Zimmer schauen. Die Augen leuchten wie die eines Rehes, wenn es angeleuchtet wird. Und für ein paar Sekunden treffen sich die Blicke, als plötzlich alle Rehe den Kopf Richtung Zimmer heben. Alle starren sie ihn an.
Er duckt sich um den Augen zu entkommen. Auf seiner Haut bildet sich kalter Schweiß. Sein Herz hämmert ihm bis zum Hals. Fuck, was wollen die? Wer ist das? Ich muss die Polizei rufen! Wo ist mein Handy? Er krabbelt hastig zu seiner Hose und versucht, mit zittrigen Fingern sein Telefon aus der Tasche zu fischen.
Plötzlich hört er von draußen Hufgetrappel. Er hält inne und versucht, das Geräusch zu deuten. Es kommt nicht näher, ist aber irgendwie rhythmisch oder gleichmäßig. Er bewegt sich wieder vorsichtig zum Fenster und schaut langsam raus. Die Rehe laufen in zwei Kreisen in verschiedenen Richtungen um den Jungen herum. Die Augen des Jungen schauen noch immer zum Zimmer hoch. Was passiert da gerade? Was soll das? 
Auf einmal reißt der kleine seinen Arm hoch und zeigt auf den Mann hinter dem Fenster. Die Rehe lösen ihre Formation auf und stürmen auf das Haus zu. Er duckt sich wieder und versucht mit rutschigen Fingern den Notruf zu wählen, als er hört, wie unten die Fenster klirren, die Tür aufgebrochen wird und Hufe die Treppe hochstürmen.
 
Hallo Padrowan,
 
herzlich willkommen bei den Poeten. Was für eine story, sehr spannend geschrieben. Die missachtete Natur in der Gestalt der Rehe schlägt zurück....
 
Liebe Grüsse
anais
 
  • anais
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