Wolkenwolf
Autor
Die Zauberin
Unter starken Eichenbäumen, die sein Reich wie Säulen säumen –
Stramme Wächter, ewigwährend – steht still das alte Hexenhaus;
Zahme Löwen, Wölfe, Hunde drehen achtsam ihre Runde,
Ihre Sanftmut trägt die Kunde zum Ende dieser Welt hinaus,
Von Drudenwerk und Zauberkunst, ein Leben voller Saus und Braus;
«Ein Märchen!», sag ich rundheraus.
In der Luft ein zartes Knistern lenkt mich geisterhaftes Flüstern
Auf die Lichtung und die Tiere machen mir vorbehaltlos Platz;
Ihre Augen wie die meinen – menschlich sind sie, will mir scheinen,
Beinahe scheinen sie zu weinen: Löwen, Hunde, Wolf und Katz;
«Was ist an diesem Ort geschehen?», wende ich mit einem Satz
Mich an die Vögel, Specht und Spatz.
Kein Wort in der Menschenzunge dringt aus ihrer kleinen Lunge,
Nur verzweifeltes Gezwitscher schafft es bis an meine Ohren;
Ich nähere mich dem Haus aus Stein, klopfe, rufe: «Lasst mich ein!»
Liess ich das nicht besser sein? Will ich in Hades Tiefen schmoren?
Wer lebt in diesem Haus und was habe ich heraufbeschworen?
Ich bin nicht zum Held geboren!
Das Flüstern schwillt zum Raunen an; Was ist das für ein Zauberbann?
Die Türe öffnet sich nach innen, als ein Fräulein mich empfängt,
So zart, von lieblicher Gestalt, mit Haar, das zu den Hüften wallt;
Doch scheint sie jung nicht, auch nicht alt, mit einem Blick, der mich versengt
Ich folge ihr hinein ins Haus, als ob sie meine Schritte lenkt
Worauf sie mir ein Lächeln schenkt.
Ich schau ihr nach, wie sie sich wiegt, sich vor mir wie im Tanz verbiegt,
Ihr Duft nach Kräutern macht mich schwach, mir ist nach einem Becher Wein;
Was ist noch wahr und was ist Trug? Sie raubt mir jeden Atemzug
Von Geisterhand füllt sich der Krug, ich flöss ihn mir zur Gänze ein
Dann plötzlich wandelt sich ihr Blick, verliert das Feuer, wird zu Stein:
«Du sollst jetzt grunzen wie ein Schwein!»
Tisch und Stuhl beginnt zu wachsen – Treibt ihr Götter eure Faxen
Mit mir armem Wicht? Ich schrumpfe und bin bald gänzlich verwandelt;
Die Zauberin steht über mir: «Das hast du nun von deiner Gier!
Wer sich benimmt so wie ein Tier, der wird auch wie eins behandelt.»
«Verdammte Hexe», denk ich mir. «Das war so nicht ausgehandelt.
Ich zu einer Sau verschandelt!?»
«Hilfe!», dringts aus meiner Kehle, Schweinekörper, Menschenseele,
Die Zauberin führt mich hinaus, bringt mich zu den andren Tieren
«Komm!», fleh ich zum Götterboten. «Hermes, nimm die Schweinepfoten
Von mir, ist es dir verboten? Du siehst mich auf allen Vieren!
Soll fortan in diesem Leben stets mich eine Schnauze zieren?
Muss ich dieses Spiel verlieren?»
Diese Frau, so schön wie immer, macht es leider nur noch schlimmer,
Wenn sie tanzt zwischen den Eichen, denen ein Zauber innewohnt;
Dann will ich sie nur betrachten, Nächte lang nur nach ihr schmachten,
Als Weib wär’ sie nicht zu verachten, hätt’ sie mich doch nur verschont;
So tanzt sie völlig ohne Kleider nackt unter dem runden Mond,
Der nur für sie am Himmel thront.
Manchmal dringen fremde Düfte aus dem Haus und in die Lüfte,
Nicht wie sonst nur scharfe Minze, Thymian, Kerbel und Salbei;
Was braut sie da nur zusammen unter giftig grünen Flammen?
Will sie uns nun doch verdammen? Und warum lässt sie uns nicht frei?
Morgen wird sie wieder tanzen, fort bis zum nächsten Hahnenschrei;
Ihr hohen Götter, steht mir bei!
Bis ein Held kommt, mich zu retten und zu sprengen meine Ketten
Bleibe ich in meinem Koben und achte auf die Zauberin
Wenn sie singt auf ihre Weise wird der Rest der Welt ganz leise
Scheinbar lohnte sich die Reise letztendlich, wenn ich glücklich bin
Das Leben dieses Schweins beginnt und das des Menschen ist dahin
Vielleicht liegt darin der Gewinn.
___
© Wolkenwolf 2023