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Feedback jeder Art Ein Tag auf der Geschlossenen

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  • Sternenherz
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Ein Tag auf der Geschlossenen
 
Es ist soweit. Ich bin 20 Jahre alt. Jahrelang gekämpft, schwere Depression, durch THC verursachte Psychose. Erstgespräch mit dem Klinikarzt. Wie geht es uns denn? Gar nicht gut, alles ist grau. Ich habe Angst, dass ich mir etwas antue. Dann ging alles ganz schnell. Wenige Minuten später befand ich mich zum ersten Mal in einer geschlossenen Abteilung. Nicht zum letzten Mal. Rasierklingen, Kabel, Nagelschere, alles eingezogen und fest verschlossen. Unerreichbar, falls man auf dumme Gedanken kommt. Als nächstes bekomme ich einen Cocktail aus starken Medikamenten. Haldol, Tavor etc., mit starken, krassen Nebenwirkungen. Erstgenanntes verursacht Zuckungen und Spasmen, sieht von außen bestimmt lustig aus. Dazu erfahre ich in den nächsten Stunden einige der schlimmsten Horroralpträume meines ganzen Lebens. Eine ehemalige, vor einem Jahr durch einen Sekundenschlaf-Autounfall verstorbene Mitschülerin, begegnet mir. Wir haben Sex, als sie sich plötzlich unter mir in ein Skelett verwandelt. Ich bin bei meinem Vater, er fällt zu Boden und stirbt vor meinen Augen. Da braucht man sich keine Final Destination Filme anzuschauen.
Nach dieser Schlafeinheit, in den ersten Tagen habe ich sowieso fast nur geschlafen, geht es dann übergangslos in die reale Hölle. Die Geschlossene ist kein sonderlich erbaulicher Ort. Im Radio plärrt den ganzen Tag über Reamon mit „Supergirl.“ Radiomusik hat mich schon immer depressiv gemacht. Meine Mitinsassen, ein bunter Mix aus völlig fertigen Menschen. Ein Familienvater mit chronischen Kopfschmerzen, die ihn wahnsinnig machen. Als ich seine Frau und seine Tochter kennenlerne, weiß ich wo sie herkommen. Absolute Ausnutzung, aber null Empathie oder Verständnis. Ein Mann mittleren Alters, der seinen Sohn verloren hat. Das war zu viel für ihn. Er läuft den ganzen Tag wie ein Geist durch die Gänge, so wie ein anderer, der stundenlang im Kreis läuft, weil er nicht rauchen will. Ein Junkie auf Entzug. Ein unglaublich fetter, widerlicher Mann, der furchtbar vulgäre Worte von sich gibt, und sich den anderen turmhoch überlegen fühlt. Aber alle haben Respekt vor ihm, weil sie müssen. Er ist der Oberarzt. Etwas Tischtennis im hoch umzäunten Hof, um den Wahnsinn zu dämpfen. Eine unheimlich hübsche junge Frau kommt auf den Hof, wo sonst nur sedierte, wahnhaften Gedanken erlegene Männer flanieren oder teilnahmslos herumsitzen. Sie ist Sporttherapeutin. Sie sieht mir tief in die Augen, anscheinend gefalle ich ihr. Wie eine kranke Karawane laufen wir im Kreis, dann ein paar gymnastische Übungen, da freut sich doch die Seele. Später werde ich der hübschen Frau wieder begegnen, als ich zurück in der Außenwelt, auf einer offenen Station wohne. Sie mag mich tatsächlich, ich bin gutaussehend. Aber mein Kopf ist dermaßen blockiert, keine Chance auf Kennenlernen.
Am Abend spiele ich noch etwas Schach, das klassische Klinikspiel neben Tischtennis, als ein fremdländisch aussehender Mann in den Gruppenraum geführt wird. Er hat dick verbundene Arme, anscheinend hat er sich die Pulsadern aufgeschnitten. Ich versuche verzweifelt mein Helfersyndrom auszuleben und ihn in eine Schachpartie zu verwickeln, aber er ist nicht ganz bei der Sache. Später soll ich erfahren, dass er massiv rassistisch diskriminiert und beleidigt worden ist, willkommen in Deutschland. Innerlich schwer verletzt und verwundet, hat er sich selbst äußerlich verletzt, um dem Schmerz zu entkommen. Den Gedankengang kenne ich gut.
So in etwa läuft es ab, wenn man weggesperrt wird. Abschließend möchte ich sagen, dass diese „kaputten“ Individuen keinesfalls auf irgendeine Art Schuld sind an ihrem Schicksal, es sind einfach sehr sensible und gedankenvolle Menschen, die sich allzu leicht verletzen lassen. Krank ist draußen. Das was außerhalb der Absperrzäune geschieht ist der wahre Wahnsinn, wir werden von Psychopathen regiert und kontrolliert, in Schulen werden spießige und konservative bis rechte Weltbilder aufgezwungen, Medien schüren Hass, und der Wettlauf nach Geld und Macht treibt die Menschen in einen ganz eigenen Teufelskreis des Irrsinns. Ist mal einen Gedanken wert.
 
Guten Tag Jan Fischer,
 
Dein Text macht extrem betroffen.
 
Ich bin in meiner Kindheit neben einem Bezirkskrankenhaus aufgewachsen;
mein Vater war Pfleger dort.
Wir Kinder haben uns in der "Anstalt", die wie ein Dorf war,
herumgetrieben und einmal sahen wir durch ein Loch im Bretterzaun,
eine Runde Frauen in graubraunen Kattun, die völlig abgestumpft hintereinander im Kreis hergingen.
Dieser Eindruck hat mich nie losgelassen.
 
Der Blick auf Menschen, die in psychische "Randgebiete" gelangen,
ist immer noch ein sehr konservativer und oft zynischer.
So, als könne es eineN selbst nie ereilen - die Statistik spricht vom Gegenteil.
 
In einer Umgebung, wie Du sie oben schilderst,
ist es für einen Menschen nicht möglich,
gesund zu werden.
(Ich bekomme beim Lesen schon Beklemmungen und innere Panik)
 
Ich kenne einige Menschen mit der Diagnose "schizophren" und wollte ihnen immer wieder nahelegen,
sich auf einen eigenen Weg, außerhalb von Haldol usw. , zu machen,
um ein Verständnis für ihre Krankheit zu finden und einen Umgang, der nicht mit soviel Abgeschaltet-Werden zu tun hat. Leider nehmen sie das nicht an -- ihre , oft lange, Krankheitsgeschichte, hat ihnen nahegelegt, dass sie die Tabletten ein Leben lang brauchen werden.
 
Ein junger Mann (24) aus meinem Freundeskreis, nimmt auch diese Medizin.
Er erzählt mir manchmal stundenlang von seinen Halluzinationen -
eine Einordnung dieser Fantasien in seine Lebensgeschichte fehlt ihm -
dabei wäre dies für mein Verständnis wesentlich für die Heilung.
Er leidet sehr darunter, dass er keine Gefühle mehr hat, nicht mehr weinen kann ... -
aber er funktioniert.
 
Danke für Deinen Text ,
 
LG Sternenherz
 
Hallo Sternenherz 
Lieben Dank für Deine Impressionen und Gedanken 
Ich finde es mittlerweile sehr schwierig, zwischen "kranken" und "gesunden" Menschen zu differenzieren, tatsächlich hab ich in meinem Leben nur eine Handvoll Menschen getroffen, die wirklich gesund und stabil waren
Ich erwähnte ja den völlig unfähigen Oberarzt, der einen ganz falschen Beruf gewählt hat, das war wirklich ein Menschenfeind
Es war ein dunkles Kapitel in meinem Leben, aber ich bin sehr froh und dankbar dafür, dass ich nun fähig bin, eigenständig zu leben, ich hab mir aus den Trümmern ein Leben gebaut und bin sogar in der Lage anderen zu helfen, etwa bei der Lebenshilfe 
Ich habe erfahren, dass Medikamente unterstützen können, aber "gerettet" hab ich mich ganz alleine, aus eigenem Antrieb und das macht mich stark
Ganz liebe Grüße 
 
Guten Tag, Jan,
 
ich stimme Dir zu - diese Schwarz-Weiß-Sicht ist nirgends im Leben hilfreich
und in dem Bereich Psychisches Befinden noch weniger als anderswo.
 
Hilfe gibt es - meiner Beobachtung nach - in der Psychiatrie nur oberflächlich.
 
Aber wie auch, soll ein völlig krankes System Menschen,
die an diesem System kranken,
helfen ?
Noch dazu, wenn es solche unfähigen Menschen sind,
wie Du sie in der Person des Arztes beschreibst.
 
Wundervoll, dass Du Dich herausgefunden hast!
Ja, es macht stark, die eigenen Wunden zu heilen -
ich habe - den Göttern Dank - die Psychiatrie nie von innen kennenlernen müssen,
das hätte ich womöglich nicht überlebt.
 
 
Ganz liebe Grüße zurück
 
Sternenherz
 
  • Sternenherz
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