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Eine Liste unter der Petro-Oleum-Lampe

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Mischa

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Ich hatte damals das pummelige aber resolute junge Mädchen zur Freundin, die auf alles

auf der Welt, und auf alles darunter, darüber und auch dazwischen -neugierig war!

 

Es blieb halt nicht bei der Neugier allein, sie war auf alles mögliche auch neidisch, wenn


sie es nicht gleich haben konnte. Sicher, daran kränkeln wir alle ein wenig, wenn wir unser


Leben zuweilen banal empfinden und wenn uns die Zeit zu rasch zu vergehen anfängt.


Sie jedoch war gerademal zwischen 19 und 20. Und begann eine Liste zu führen.

 

Sie hatte nämlich bemerkt, daß die Älterwerdenden zu manchen Momenten das Klagen


anfangen, was sie alles an Konkretem versäumt, und wieviel sie wohl erst an Unvorstellbarem


gar -vielleicht-
verpaßt hätten: Und da begann sie gewissenhaft alles aufzulisten,

was sie, nach ihrem augenblicklichen Befinden, bis zu ihrem 35. Geburtstag auf keinen Fall


bereuen beziehungsweise versäumen wollen dürfe.

 

Sie machte, wie gesagt, zuerst eine lange Liste. Sodann begann sie unwichtigere Dinge mit


einem Häkchen zu versehen, Dinge, die ihr wichtig schienen, mußten sich ein Unterstreichen


gefallen lassen. Die weniger wichtigen Dinge aber, die sie bereits abgehakt hatte, wurden


nochmals unterteilt, indem diese entweder mit einem zweiten oder aber gar einem dritten


Häkchen versehen wurden. Erfüllen wollte sie sich nämlich eigentlich alles, auf ihrer Liste,


die sie eine zeitlang immer weiter vervollständigte. Aber um ökonomisch zu sein, mußte


sie eben unterscheiden in wichtiger, unwichtiger und am unwichtigsten.

 

In all dem war ein gewisser Geiz spürbar, den ich damals aber nicht an ihr zu kritisieren wagte:


So sehr gefangen hielt mich die Furcht und Ehrfurcht vor soviel kalkulierender Entschlossenheit.

 

Denn es waren keineswegs nur vernünftige Dinge, denen sie den Vorrang gab. Sie orientierte


sich wirklich an den Klagen der Älterwerdenden und versuchte so scharfsinnig, wie sie nur


konnte, Vernünftigstes und Unvernünftigstes in seiner Wichtigkeit genau gegeneinander


abzuwägen. So sehr klug wollte sie sein! Sie sagte, sie wolle später einmal nicht wie so viele


dastehen und bereuen. Nicht das geringste wolle sie später einmal bereuen!

 

Als sie mir das gestand, sah sie von ihrem Schreibtisch, auf dem die Liste von der


Petro-Oleum-Schirmlampe beschienen wurde, trotzig hinaus in die herankommende


blütenschwere Sommernacht mit der gerade schwindenden blauen Stunde,


und zwei Tränen rannen theatralisch aus ihren dicken, tiefblauen Kulleraugen


über ihre sommersprossigen Wangen.

 

Und sie bot in den Schattenspielen der Lampe das Bild einer trotzigen älterwerdenden Diva,


die gerade erkennt, daß sie ihr ganzes vergangenes verruchtes Leben bereut.


"Ich bitte dich, du wirst erst zwanzig.. "..;.. "Na und?!" meinte sie stolz ..

 


 
2001
 
Das ist schön eingefangen. Und es erinnert mich an ein Bonmot von mir, dass ich nur deshalb so bezeichne, weil ich mir mal was, das ich gesagt habe, tatsächlich gemerkt und aufgeschrieben habe:
 
Die Dinge, die ich in meiner Jugend getan habe, bereue ich nicht. Nicht einmal die sinnvollen. :mrgreen:
 
So habe ich es übrigens bis heute gehalten.
 
Lieber Gruß
Beteigeuze
 
Abstürzende Höhenflüge, hochfliegende Abstürze.
 
Ich erklär mal den Witz (Dritter Dan "Deutsch für Ausländer", 😳 mein lieber Scholli!): Sie muß in dem Augenblick empfunden haben, sich zu wünschen, dereinst so gelebt zu haben, daß sie eigentlich ihr ganzes Leben an dessen Ende würde bereuen müssen...
Wenn sie in einer fernen Zukunft auf ihr Leben zurückblicken würde, daß sie dann eigentlich sagen müßte: "Ich bereue alles!" ...eigentlich, um im Trotz der Édith Piaf singen zu können: "non je ne regrette rien!" Die Piaf mochte sie übrigens sehr!
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Es gibt ja diese romantisch anmutenden religiösen Anschauungen, daß der nach Erlösung Suchende tief in die Sünde ("Sünde" kommt in etwa von "sich sondern") abgeschnitten von allen guten Geistern, hinabtauchen muß, um ein umfassenderes Verstehen des Leidens der menschlichen Natur zu erlangen. Ich kümmerte mich immer mehr darum, was diese Schulungsweg-Beschreibungen transportieren, nicht wie sie heißen. (Es gibt soviele religiöse Strömungen und Glaubensvarianten, daß deren Aufzählung ein Buch füllt..) Oft wird nämlich mißverstanden, man müsse "für extra" durch Unvernunft und Sünde hindurch ..
 
Ich denke hier immer an Goldmarie und Pechmarie. Goldmarie sticht sich versehentlich an der Spindel, und muß in den dunklen Brunnen hinab..sie hat kein großes Ziel, sie möchte nur ihre Spindel, den Faden der Zeit wieder finden... sie hat keinen Plan .. sie hat Angst und ist unterdrückt, hat ein böses Gewissen, ihre Hand blutet, sie muß ..springen .. Das konnte ich damals der Freundin, die ihre Liste führte, nicht sagen. Sie hätte es ja eh nicht verstehn mögen.. :lol:
LG, Mischa
 
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