Liebe Miserabelle,
ich danke dir herzlich für dein 'fein'! :smile:
Worüber ich etwas stolpere, ist das "viel". Ich für meinen Teil lese das eher betont. An sich klingt es ja dennoch gut und das "wehst" hat im Vergleich zu dem "viel" ja auch eine stärkere Betonung. So gesehen ist das sicher nichts Gravierendes.
Dennoch probiere ich mal umzustellen:
Wind, der du stürmst so wild! Bedenke: Zart ist die Knospe!
Wind, der du stürmst so wild ... Eher: Wind, der du so wild stürmst' (obwohl dann 'der du so' auch irgendwie eher nicht ...). Wenn du meine Gedichte liest, dann wirst du feststellen, dass ich 'schlechte' Inversionen meide wie der bekannte Teufel das Weihwasser :classic_laugh: - mein 'Sinn für sprachliche Ästhetik' protestiert vehement und weigert sich kategorisch. Für mich kommt das einfach nie in Frage. Das meine ich nicht böse, denn ich weiß, du meinst es gut - aber für mich geht das gar nicht.
(Bei 'Zart ist die Knospe.' gibt es zwar auch eine Umstellung, aber sie ist grammatikalisch korrekt und es ist keine 'Syntaxverdrehung' involviert. Es gibt 'gute und schlechte Inversionen' - aber beim Schreiben gibt es für mich ausschließlich 'gute' oder keine. Meine Umstellung hat auch zur Wirkung, dass das 'Zart' hervorgehoben wird. Genau das ist schließlich auch der 'Zweck der Übung', dazu sollen ja Inversionen 'dienen'.)
Es wäre zwar möglich, mit einem Komma 'nachzuhelfen':
Wind, der du stürmst, so wild!
Aber hier ein weiteres 'Problem':
Ich würde mich so nicht ausdrücken, das ist nicht 'mein Stil', es ist nicht 'meine Sprache'. (Das ist übrigens der Hauptgrund, warum ich mich persönlich immer auf 'Knopflochchirurgie' beschränke; mich allenfalls, sehr vorsichtig und behutsam, mit Kleinigkeiten befasse oder oft auch nur die Rechtschreibungs- / Interpunktionskorrektur anbiete; damit ich nicht 'mich und meinen Schreibstil' in das Gedicht eines/einer Anderen '(ein)mische'. 'Mikrochirurgie', gewissermaßen. Denn ich glaube wirklich daran, dass nur zu leicht 'zu viele Köche den Brei verderben'. Nicht in formaler Hinsicht, nein. Aber in inhaltlicher kann das nur zu leicht leider die Folge sein. Und ein Gedicht, das in 'mehreren Stilen' gehalten ist - du verstehst sicher, was ich damit sagen möchte.)
Und wenn du meine beiden letzten Beiträge in ferdis Faden
'Die Antiken-Werkstatt' liest, dann wirst du bemerken, dass ich nicht selten 'Zwischentöne' wahrnehme - und ich verwende sie auch ganz bewusst. So wie hier im Fall des von dir erwähnten 'viel'. Ich wollte etwas mehr 'Gewicht' auf 'viel'. Denn es besteht ein großer Unterschied zwischen 'viel zu wild' und 'ein bisschen zu wild'.
Ich möchte noch etwas hinzufügen. Generell bin ich immer sehr auf klangliche Aspekte aus. Sie sind ein wichtiger - und für mich auch unverzichtbarer - Bestandteil meiner 'Schreibe'. Wenn ich also deinem Vorschlag nachkäme, dann fiele Folgendes weg, das ich dir hier einmal aufzeigen möchte, indem ich farbig markiere:
Wind! Du wehst viel zu wild! Bedenke: Zart ist die Knospe.
Knicke sie nicht vor der Zeit. Streichle sie, schau! Sie erblüht!
Alliterationen. Und die Reihenfolge von Z und K erfolgt im Pentameter 'andersherum'. Es freut mich, wenn es dir nicht auffiel - denn dann 'funktioniert' es. Wären sie dir (oder den anderen Kommentatoren) nämlich aufgefallen, wäre das für mich ein Zeichen dafür gewesen, dass ich eventuell 'des Guten zuviel' getan haben könnte.
Wind! Du wehst viel zu wild! Bedenke: Zart ist die Knospe.
Knicke sie nicht vor der Zeit. Streichle sie, schau! Sie erblüht!
Ich zeige in Sachen Konsonanten nur langes und kurzes 'i' sowie'ei' auf. 'a' - zu 'au'; u - zu 'ü'; 'o' - 'o'. Wenig dunkle Vokale, sparsam, aber reichlich helle Vokale - siehe auch den Vokal 'e'. Auch die Konsonanten 't' beispielsweise, treten sowohl im Hexameter 2x und im Pentameter 3x auf - 'wehst' - 'zart'; 'nicht' - 'Zeit' - 'erblüht'. Und auch 'Wind' endet mit einem weichen 'd', genau wie 'wild' - gehört ja auch zusammen; ebenso wie 'Bedenke-Knospe-knicke', die mit 'e' enden. ('ei' und 'au' sind Diphtonge; 'ü' ein Umlaut; 'ü' und 'ei' sind ebenfalls hell.) Das wurde übrigens auch angenommen - denn ich wollte einen 'positiven, hellen Grundton' haben - wie Ostseemoewe es ausdrückte, in ihrem Kommentar: Kein 'Verteufeln', sondern ein 'Aufzeigen'.)
Da stecken sehr viel Herzblut, Liebe, Zeit und Arbeit drin, liebe Miserabelle, um es genau so hinzubekommen, wie es ist.
Ein weiteres Problem sehe ich in der Interpretation jungerMann/ junge Frau. Warum sollte der Wind nur anfangs aufmerksam sein und später erst die Blume brechen dürfen?
Es geht ja auch nicht darum, die Knospe der Blume zu 'brechen' - im Epigramm steht 'knicken'. Das steht in erster Linie da, weil 'Knicken' der richtige Begriff ist und nur in zweiter Linie für die Alliteration.
Im Gedicht geht es um den Frühling. Und es geht um das 'erste Mal'. Ein junger Mann - der ist oft noch sehr 'wild', ihm fehlt noch die Erfahrung und damit die Kontrolle, ganz besonders in sexueller Hinsicht. Die Knospe steht für die junge Frau - noch nicht erblüht, also noch Jungfrau, eine 'ungeöffnete Knospe'.
Das 'erste Mal' kann leider für manche junge Frau alles andere als ein schönes Erlebnis sein - wenn er so unerfahren ist wie sie und viel zu 'stürmisch zur Sache geht'. Das kann sogar zu Verletzungen führen, sogar zu Dammrissen, zu Blutungen. Und wenn eine junge Frau bei ihrem ersten Mal so eine Erfahrung macht, dann ist sie 'geknickt' - dann erblüht ihre Sexualität vielleicht, mit Glück, später doch noch, aber unter Umständen vielleicht auch nie. Je nachdem, wie schlimm oder sogar traumatisch das Erlebnis für sie war.
Deshalb auch die Aufforderung, die Zartheit der Knospe zu bedenken. So manche Frau kann in ihrem Leben irgendwann eine unschöne Erfahrung machen - schließlich kann man einem Mann ja seine 'Befähigung' nicht ansehen. Sicher nicht alle Frauen, glücklicherweise, aber es bleibt nicht aus, denn es sind nun mal auch Männer 'da draußen', die von Sex und dem weiblichen Körper so viel Ahnung haben wie von Quantenphysik - und zwar unabhängig vom Alter. Wenn aber eine Frau ein wirklich schönes, erstes Mal erlebte und auch danach gute Erfahrungen gemacht hat, wird sie auch ein 'Debakel' ggf. ganz anders 'wegstecken können' als eine Jungfrau beim ersten Mal. (Wichtig: Vergewaltigung ist ein anderes Thema! Darum geht es hier nicht.)
Ich denke, es gab da ein kleines Missverständnis, das ich jetzt hoffentlich mit meinen Erläuterungen ausräumen konnte. :smile:
Auf jeden Fall möchte ich dir noch einmal danke sagen - für das Mitteilen deiner Gedanken, für deine Zeit und für deinen konstruktiven Kommentar!
LG,
Anonyma