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Feedback jeder Art Für einen Tag

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  • S. Athmos Welakis
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21.06.2023
Für einen Tag
 
In Schwarz geht eine Gruppe stumm bezeugend,
vom dumpfen Schrecken einer Ewigkeit berührt,
auch ihre Endlichkeit – und die Gesichter beugend,
vom Tosen jener harten Wahrheit vorgeführt,
die daraus qualvoll strömend von den Wangen fällt.

Das Dunkel ist erbarmungslos vollkommen.
Stets finster pochend auf den ewigen Vertrag
hat es nun meines Freundes Seelenlicht genommen,
ergriff die Flamme sein so grausam es vermag
mit unverweigerbarem Recht: Es nahm sie sich.

Kein Licht, kein Wort, verzweifelt nur ein Fragen,
die Antwort fehlt. Unter die schwere Last gestellt
hilft meinem Freund auch Singen nicht das Leid zu tragen,
irrt Schein als Ahnung nur umher, verblasst, zerfällt,
bis in unendlich langer Nacht er sich verliert.

War ich gekommen meinen Freund zu halten?
Zwar wandle ich im stillen Hain, doch Du hältst mich
in einem kleinen Kosmos zweier Lichtgestalten,
erfreu in seinem Leid – mein Freund verzeih mir! – ich,
Gefährtin Lebens, Deiner mich: Für einen Tag.
 

S. Athmos Welakis
 
Grüß Dich Athmos, Dein Werk ist überaus beeindruckend. Ich habe es nun mehrfach gelesen und frage mich, was mit den zwei Lichtgestalten gemeint ist. 
 
Mein Freund verzeih! In seinem Leid erfreue ich
In wessen Leid?
 
Vielleicht meinst Du die Morgen- und Abendsonne und den endenden Tag, an dem sich das Lyrische Ich des Lebens erfreut? Das könnte ich mir neben dem Schmerz des Verlustes eines Freundes vorstellen. Das Lyrische Ich bittet um Verzeihung, dass es lebt und der Freund nicht mehr.
 
Liebe Grüße Darkjuls
 
Hallo Darkjuls,
 
herzlichen Dank für die positive Wahrnehmung.
 
Das Gedicht handelt - das tritt hoffentlich hervor - von einer Beerdigung. Die Frau des Freundes des LI ("das Seelenlicht"; "das Wort") wird zu Grabe getragen. Als Freund hat das LI nun die Absicht zu stützen und zu trösten. Die Frage ist allerdings, wie weit der Schmerz nachvollziehbar sein kann, da das LI nicht selbst betroffen ist. Die Freude am LD verhindert das volle Sich-Hineinversetzen. Der "kleine Kosmos zweier Lichtgestalten", die eigene Liebe und Lebensgemeinschaft, ist ja intakt und das LI erfreut sich daran. "Mein Freund verzeih!" spricht diesen deshalb nicht direkt an, sondern über ihn. Der hier ausgesprochene Wunsch erfolgt in der dritten Person, erkennbar am fehlenden Komma hinter "Freund". Mag das LI hier seinem Freund nicht unter die Augen treten? Eine solche Reaktion habe ich schon manchmal, auch an mir selbst, wie ich zugeben muss, erlebt. Der eigentliche Adressat ist das LD, die "Gefährtin Lebens", die Lebensgefährtin.
 
Die letzte Strophe ist insofern die Einsicht des LI letztlich doch nicht wirklich helfen zu können, bzw. nicht zu wissen, wie. - Obwohl klar ist, dass auch der eigene Tag zu Ende gehen wird, ein Rückbezug übrigens auf die erste Strophe, in der die "Gruppe" der Teilnehmer an der Beerdigung "auch ihre Endlichkeit" "bezeugt".
 
Meine grundsätzliche Absicht war es mit diesem Gedicht einerseits die tiefe Betroffenheit auszubreiten, die der Tod eines Menschen für einen Angehörigen bedeutet, um dann - in einer Art überraschenden Wendung - auf die begrenzte Teilnahmsfähigkeit eines Mitmenschen hinzuweisen, dem sein eigenes Glück am Ende doch näher steht, als das Leid des anderen.
 
Diese Beerdigung hat tatsächlich stattgefunden. Die Frau meines Freundes war im Herbst 2021 an CoVID19 verstorben - eine Woche vor ihrem Impftermin. Das war natürlich ein extrem heftiges Ereignis für ihre Familie, weil sie mitten aus dem Leben gerissen wurde. Ich hoffe, ich konnte meinen Freund besser unterstützen, als hier beschrieben. Aber das Bild auch von der eigenen Endlichkeit war mir damals schon sehr präsent.
 
Dieses Gedicht hat allerdings auch einen Vorläufer, eine erste Version, die eine etwas andere Richtung einschlägt. Bei Interesse suche ich es heraus und kann es hier gerne ergänzen.
 
Liebe Grüße,
Athmos
 
Vielen Dank Athmos, ja die Beerdigung habe ich herausgelesen. Ich würde gern die erste Version auch kennenlernen. Ich denke, der schmerzliche Verlust für den Freund löst bei uns Mitgefühl und Trauer aus. Dass wir uns in dieser Situation bewusst werden, welches Glück es für uns ist, eine Partnerin/einen Partner zu haben, ist nachvollziehbar. Ich glaube nicht, dass das eigene Glück uns daran hindert, mit dem Freund zu trauern und ihm Trost zu spenden. Im Gegenteil, man kann so doch sehr gut verstehen, wen und was der Freund verloren hat.
 
Ich danke Dir für die Erläuterungen und wünsche einen schönen Abend. 
 
Es grüßt Darkjuls
 
 
 
Also, liebe Juls, hier kommt die Ursprungsversion, aber die muss ich im Anschluss noch etwas kommentieren:
 
26.10.2021
Für einen Tag
meiner „Lebensgefährtin“ Birgit P.
 
Die Dunkelheit ist gnadenlos vollkommen.
Sie nimmt ein Licht, gerade so, wie sie es mag.
Auch meinem Freund hat sie das Seelenlicht genommen.
Sie pochte finster auf den ewigen Vertrag,
den er nie unterschrieben hat. Sie nahm es sich.

 
Ich war gekommen meinen Freund zu halten.
Nun wandle ich im stillen Hain, und Du hältst mich
in einem kleinen Kosmos zweier Lichtgestalten.
Mein Freund verzeih! In seinem Leid erfreue ich,
Gefährtin Lebens, Deiner mich für einen Tag.

 
      S. Athmos Welakis
 
Strophe 1 von Version 2 war damals nur als Idee vorhanden, als Rohbau, ohne zufriedenstellende Aufstellung des Textes, so dass ich sie nicht berücksichtigt habe. Sie ist mir erst letzthin wieder per Zufall in die Finger geraten, und ich habe mich neu daran gesetzt. So ist die zweite Version entstanden.
 
Die erste, die Ursprungsversion, entstand so:
Damals zur Beerdigung war ich als einziger Auswärtiger von Stuttgart aus in Berlin angereist - genauer: männlicher Auswärtiger - denn eine Bekannte meines Freundes aus Hamburg, Birgit, war ebenfalls von auswärts gekommen. Da wir sonst quasi niemanden der Gruppe kannten, hatten wir beide uns zusammengefunden und an der Bestattungszeremonie bei einander teilgenommen. Als ich der Mutter der Verstorbenen kondolierte, lud sie mich zum "Leichenschmaus" ein - zusammen mit meiner, wie sie vermutete, "Lebensgefährtin" Birgit. Wir schmunzelten innerlich. Vorher wollte ich mir aber noch ein Bild von dem weitläufigen Friedhof machen. Birgit begleitete mich. Wir waren beide in einer sehr ergriffenen Stimmung. Ich begann meine Gedichte zu rezitieren. Dieser Friedhofs-Spaziergang wurde für uns beide ein unvergessliches Erlebnis. Danach habe ich Birgit nie wiedergesehen ...
 
... statt dessen habe ich ihr das Gedicht gewidmet, das mir auf der Heimfahrt zuflog.
 
Ich vermute jetzt fast, Dir wird die Ursprungsversion besser gefallen 😉.
Mir gefallen beide. Vor allem finde ich, dass ich mit nur leichten Wortänderungen schon die Aussage beeinflussen konnte.
 
Liebe Grüße,
Athmos
 
Hallo Athmos, in der Tat gefällt mir die Ursprungsversion noch besser, weil sie das Wesentliche herausstellt. Dank Deiner Erläuterungen wird es nun klarer.
 
Jemanden unter diesen Umständen kennenzulernen, sich an seiner Seite gut aufgehoben zu fühlen, ist etwas Besonderes. Allein die Tatsache, dass Du Deiner Weggefährtin Deine Gedichte vorgetragen hast und sie ihnen interessiert folgte, zeigt ihre geistige und sicher auch gefühlsmäßige Verbundenheit. Jetzt verstehe ich auch die Befürchtung, dem Freund in seiner Trauer nicht gänzlich beigestanden zu haben. Aber so ist das Leben, Freud und Leid liegen oft dicht beieinander.
 
Dazu kommt mir folgendes in den Sinn: Wenn eine Frau stirbt und am selben Tag wird deren Enkelin geboren. Sollte man dann den Geburtstag der Enkelin aus Rücksicht auf den Todestag der Großmutter niemals gebührend begehen?
 
Ich danke Dir und möchte nochmals betonen, dass mir Deine Wortwahl in beiden Gedichten sehr gut gefällt.
 
Dass Du schreibst: "Auch meinem Freund hat sie das Seelenlicht genommen" führte mich zu der Annahme, der Freund sei verstorben und dessen Seelenlicht erloschen. Die Tatsache, dass ein anderer Mensch ein Seelenlicht sein kann, finde ich besonders schön.
 
Ich denke die zweite Version ist dem Umstand geschuldet, dass der Grund des Treffens eigentlich ein Trauriger, nämlich die Beerdigung war. Dieses arbeitest Du in der Version deutlich heraus, wogegen die Ursprungsversion direkt nach dem zufälligen Kennenlernen und noch unter den Eindrücken dieses Treffens entstand.
 
Liebe Grüße Juls
 
 
 
Hi Juls, Deinen Worten bleibt nichts hinzuzufügen. Sie haben mir Freude bereitet.
 
Zu Deinem "Dilemma" zwischen Großmutter und Enkelin: Ich glaube, ich würde die Enkelin vorziehen. Einen Geburtstag ausfallen zu lassen, um statt dessen einen Todestag zu begehen macht man m.E. nie für sich selbst, sondern nur, um einer (vermeintlichen) Erwartungshaltung der Gesellschaft zu genügen. Ich persönlich würde eines für mich wichtigen Menschen über das Jahr immer wieder gedenken, so dass die Notwendigkeit, gerade den Geburtstag der Enkelin dafür zu "opfern", ausgeschlossen wäre.
 
Danke Dir - und einen schönen Sonntag!
Athmos
 
  • S. Athmos Welakis
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