Moin
@Dionysos von Enno,
ein starker Text!
Mir gefällt diese konsequent durchgezogene Farbenthematik, die Bilder sind sehr intensiv und hier muss erstmal gerätselt werden, was dahinter steht.
Maler meines Landes du kennst der Heimat dunkle Farben
Du hast sie selber doch dort an mein Seufzen hingemalt!
Warum malst du dann nicht meine Wunden, meine Narben
Wofür hast du all das Schwarz denn aufgespart ..
Ich betrachte den "Maler meines Landes" als "kulturelles Gedächtnis" oder als kulturelle Gruppe - das lyrische Ich klagt über seine Geschichte, die Geschichte seines Landes. Im eigenen Kopf liegen die Fakten ganz klar (selbst an mein Seufzen hingemalt), aber was wirklich erzählt, überliefert wird, scheint nicht dieser Realität des lyrischen Ichs zu entsprechend, die Wunden und Narben fehlen.
In seiner Symbolik kann das Schwarz für vieles stehen, hier soll es offenbar ein großes Unheil oder Unrecht ausdrücken - was der Maler meines Landers aber eben nicht getan hat.
Maler meines Landes ich weiß das Weiß ging in das Grinsen unserer Toten
Das Weiß ist alles in den schwarzen Mond gefallen-
-,der nicht mehr scheint und unsere Lieder kennen nur noch dunkle Noten
die rot und blutend in den Mündern hallen
"das Grinsen unserer Toten", da sehe ich Totenschädel vor mir, deren weiße Zähne uns "angrinsen".
Weiß im Kontrast zum Schwarz soll hier wohl eine befreiende Wirkung haben, vielleicht Hoffnung? Allerdings gibt es kein Weiß, denn die Toten haben es mit sich genommen, genauso wie der Neumond. Ergo gibt es keine Hoffnung bzw. [hier anderes positiv konnotiertes Attribut einfügen].
Die "Lieder mit dunklen Noten" erinnern an Klagegesänge. Die, die singen könnten, sind aber offenbar alle tot (rot und blutend in den Mündern)?.
Du erwähnst hier insgesamt 3 Farben: schwarz, weiß und rot. Ich habe damit zuerst das dritte Reich assoziiert, will das angesprochene Unheil aber gar nicht nur darauf beschränken. Die Gräueltaten dort finden sich aber ganz gut hier in deinem Text wieder, wenn man es danach lesen will.
Warum sparst du dann an unseren Wunden unseren Narben
all das Schwarze das uns auf diesem Pinsel blank verhöhnt
Mit all dem Schwarz kannst du uns übermalen
und alle Farben wären dann in deinem Schwarz
versöhnt ,—-
Das lyrische Ich wiederholt sein Unverständnis über das offensichtliche Verschweigen der schrecklichen Vergangenheit.
Tatsächlich scheint für das lyrische Ich so vieles ausgelassen zu sein, würde all das nun auf einmal gesagt, freigelassen werden, würde es das lyrische Ich (und andere) wahrscheinlich verschlingen. Möglicherweise steckt da auch das Wiedergutmachen mit drin, ausgedrückt durch das versöhnliche Ende. Es wirkt durch die Verschiebung des Wortes in eine eigene Zeile aber fast ironisch und ein vollkommenes Übermalen mit Schwarz hat eher etwas von einem "Ausradierenwollen der Schuld" als von einem echten, guten, hellen Akt des Umarmens^^
Leicht ratlos bin ich daher ob dieses Abschlusses aber ganz heruntergebrochen gesagt, könnte ich mir bei deinem Text inhaltlich die individuellen Gedanken über Kriegserfahrungen vorstellen, wie das lyrische Ich daran zurückdenkt, wie das kulturelle Gedächtnis seines Landes daran zurückdenkt, und wie in der Zukunft vielleicht vom kriegstreibenden Land mit diesem Andenken an das Unheil umgeht.
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Wenn es dich interessiert, hier auch noch ein paar formale Gedanken:
Ein kleines Rätsel ist für mich auch die formale Gestaltung sowie die Formatierung.
Ich will daher erstmal sagen, dass ich die Schrift recht schwierig zu lesen finde. Sie ist recht klein und die Buchstaben sind sehr dünn.
Formal scheinst du ja gebunden arbeiten zu wollen. Du nutzt Reime und oft ist auch ein regelmäßiges Metrum erkennbar.
Teilweise bricht das Metrum dann aber aus und ich weiß nicht, ob sich das jedes Mal inhaltlich begründen lässt.
Schauen wir einfach mal genauer:
Metrum:
XxXxXxxXxXxXxAa
xXxXxxXxxXxXxB
xxXxXxXxXxXxAa
xXxxXxXxXxC
XxXxXxxXxXxXxXxXxxDd
xXxXxXxXxXxEe
xXxXxXxxXxXxXxXxDd
xXxXxXxXxEe
xxXxXxXxxXxXxxAa
XxXxxXxXxXxXxF
xXxXxXxXxGg
xXxXxXxXxXxH
xF
Ja, auffällig ist hier, dass kein Vers dem anderen gleicht!
Alle haben eine unterschiedliche Zahl an Silben und Versfüßen und ein sehr vielfältiges, teilweise gebrochenes Metrum.
Ich werde da jetzt nicht weiter auseinanderziselieren, warum wo wie das Metrum abweicht oder nicht und ich werd dazu auch keine Änderungsvorschläge machen, da mir hier nicht eindeutig klar ist, ob du in gebundener Form schreiben wolltest, das bewusst so gemacht hast oder "es eben nicht besser ging".
Strophenform:
Diskutabel finde ich aber formal noch ein paar andere Punkte.
Schauen wir beispielsweise auf die "Strophen" bzw. an die Grenze, an die du sie hier bringst.
Zweizeilige Strophen sind ja durchaus nicht unüblich, das Couplet im englischsprachigen Sonett etwa.
Ansonsten stehen viele Verse hier aber auch ganz für sich - was ihnen natürlich eine Sonderstellung und viel Aufmerksamkeit einbringt. Mir fehlt hier aber ein Anhaltspunkt, warum nun gerade diese einzelnen Verse einzeln stehen. Nicht alle sind direkte Fragen an den "Maler meines Landes", nicht alle zeigen eine Farbsymbolik, nicht alle sind Reimwaisen.
Klanglich gäbe es auch keinen Unterschied, würden sie "standardmäßig" zu vierzeiligen Strophen zusammengefügt werden:
Maler meines Landes du kennst der Heimat dunkle Farben
Du hast sie selber doch dort an mein Seufzen hingemalt!
Warum malst du dann nicht meine Wunden, meine Narben
Wofür hast du all das Schwarz denn aufgespart ..
Maler meines Landes ich weiß das Weiß ging in das Grinsen unserer Toten
Das Weiß ist alles in den schwarzen Mond gefallen-
-,der nicht mehr scheint und unsere Lieder kennen nur noch dunkle Noten
die rot und blutend in den Mündern hallen
Warum sparst du dann an unseren Wunden unseren Narben
all das Schwarze das uns auf diesem Pinsel blank verhöhnt
Mit all dem Schwarz kannst du uns übermalen
und alle Farben wären dann in deinem Schwarz versöhnt ,—-
Satzzeichen:
Bezüglich Formatierung würde mich auch der Gebrauch deiner Satzzeichen interessieren.
Während du nämlich am Versende durchaus produktiv damit bist (Ausrufezeichen, zwei Punkte, Bindestrich, Komma mit Spiegelstrich und Bindestrich) und sogar am Versanfang einmal (Bindestrich und Komma), verzichtest du innerhalb des Verses konsequent auf Zeichensetzung.
Demnach erhalten die Satzzeichen am Anfang und Ende aber eine starke Bedeutung, die wir interpretieren können.
Hier:
Du hast sie selber doch dort an mein Seufzen hingemalt!
Hier verleiht das Ausrufezeichen möglicherweise einen etwas anklagenderen Ton.
Wofür hast du all das Schwarz denn aufgespart ..
Hier dienen die zwei Punkte möglicherweise als Ausdruck der Enttäuschung, wobei klassischerweise die drei Punkte dafür sicher auch gut oder besser geeignet sind. Auch als künstliche Pause und Verlängerung nach diesem Vers kann das gedacht sein, wobei der Vers ohnehin isoliert einzeln dasteht, mehr Pause geht nicht.
Das Weiß ist alles in den schwarzen Mond gefallen-
-,der nicht mehr scheint und unsere Lieder kennen nur noch dunkle Noten
Die Zeichen zwischen diesen Versen verstehe ich als "Dazwischenschieben", eine Randnotiz, die noch dahintergesetzt wurde.
Kann man machen, aber ich persönlich stelle dabei nun keinen besonderen zusätzlichen Effekt fest. Eher noch stören die Zeichen mich^^
Fraglich ist dann auch, ob diese Randnotiz erst hier wieder endet:
denn hier ist es quasi fast von oben gespiegelt mit dem einen Bindestrich am Ende und dem Bindestrich samt Komma am Anfang des nächsten Verses. Damit werden nun die Ausführungen über das Weiß an die über das Schwarz am Ende gefügt.
Oder sollte Weiß ausgeklammert werden? Dann ist aber nicht der gesamte Weiß-Teil mit den Zeichen ausgeklammert^^
Ich fürchte, ich mache mir hier formal zu viele Gedanken?
Gab es da bei dir eine Intention, es so zu gestalten und formatieren, wie du es getan hast?
LG Dali Lama