WF Heiko Thiele
Autor
Ein einzig Haar, das stand mal stumm
und einsam um sich selbst herum.
Die andern Haare, schon seit Jahren,
sind still aus ihrer Haut gefahren.
Und ob nun Regen fiel, ob Sonne,
dem einen Haar war’s keine Wonne.
Es konnt’ sich biegen, konnt' sich strecken;
auf kahler Haut gibt’s kein Verstecken.
Wie hätte es sich gern in Wogen
mit all den andern sanft gebogen.
Es dacht’ zurück an alte Zeiten;
sich dichter Haarschopf tat verbreiten.
Als Zierde für den Herrn von Welt
es schön gepflegt für wenig Geld.
Und selbst zu wilden Knabentagen
hat es der Bursche gern getragen.
Mal war es kurz, mal fiel es munter
bis auf die breiten Schultern runter.
Doch diese Tage sind dahin.
Nun wallt kein Zopf mehr bis zum Kinn.
Und unser Haar muß eingestehen,
auch es muß eines Tages gehen.
Da hilft kein Jammern und kein Flennen.
Man muß es halt beim Namen nennen.
Die Dinge nehmen ihren Lauf.
Drum nutz die Zeit, geht sie bergauf.
Denn bist du oben angekommen,
geht’s nur bergab, wird abgenommen.
[2003]