Ich kann mitten in der Nacht aufstehen, wenn die Albträume mich wieder nicht schlafen lassen. Ich kann durch die Wohnung gehen, MEINE Wohnung und die Räume vergegenwärtigen mir, dass ich kein Kind mehr bin und DU mir nichts mehr tun kannst.
Die Gegenstände erinnern an das Leben, das ich lebe trotz allem.
Ich kann mir einen Tee kochen, mich ans Klavier setzen oder spazieren gehen. Nachts um drei. Niemand hält mich auf oder kontrolliert meine Schritte.
Ich kann frei atmen und meine Lunge mit kühler Nachtluft füllen, keine Hand auf meinem Mund oder um meinen Hals erstickt meine gierigen Atemzüge. Ich atme das Leben.
Später kann ich raus fahren, mich mit Menschen treffen, die ich zögernd lerne "Freunde" zu nennen. Ich muss nicht um Erlaubnis bitten. Ich kann mir aussuchen welche Klamotten ich anziehe, und wenn ich drei Hosen übereinander trage, weil ich mich dann wohler fühle, ist das auch ok.
Ich muss nicht funktionieren. Ich lerne sogar langsam, dass ich Grenzen haben darf, dass ein "Nein" mehr als in Ordnung ist und ich nicht bestraft werde.
Ich kann reden. Schreiben ist immer noch leichter und meine Stimme vermag keinen Raum zu füllen. Aber wenn ich mal wieder zum Seelenklempner gehe, kann ich reden über das, was du getan hast, obwohl du es mir einst verboten hast.
Ich habe eine Stimme, vielleicht leise, aber du kannst sie nicht zum Verstummen bringen.
Ich kann meine Angst spüren und manchmal sogar weinen. In letzter Zeit immer öfter. Ich kann noch nicht gut mit dem Schmerz umgehen, aber ich beginne es zu lernen.
All das ist ein Teil von mir.
Heute kann ich selbst über mein Leben entscheiden, aber ich vergesse nicht, dass es nicht immer so war.
Ich bin dankbar für das, was ich habe. Und vergesse nicht, dass ich hart dafür kämpfen musste. Ich lebe noch. Ich weiß und du weißt, das ist keine Selbstverständlichkeit.
Jeden Schritt gehe ich im Wissen, dass ich ihn einst nicht gehen konnte. Ich kämpfe noch immer jeden Tag und manchmal ist es verdammt hart. Doch der Kampf beweist mir einmal mehr, wie wichtig diese Dinge mir sind, und dass diese Dinge in der Theorie vielleicht selbstverständlich sein sollten, in der Praxis aber harte Arbeit bedeuten.
Ich gehe bewusster. Und wenn ich wieder einmal nachts aufstehe, weil die Vergangenheit mich nicht zur Ruhe kommen lässt.. dann will ich dem Leben entgegen lachen, denn am härtesten war es, mein Lachen zu retten.
Mein Lachen ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Geschenk. Aber keines für dich.
Schau genau hin - auf meinen Lippen steht: An mich.