Hallo Yeti,
ah, jetzt verstehe ich. Ich glaube, ich sollte das metrisch mal 'aufschlüsseln'.
Ich aber werde alles seh`n und nichts mehr haben -
Ihr habt mein Lächeln noch, per Sonnenstrahl von Beteigeuze.
Warum liegt das 'Ich' in einer Senkung? Ich stelle jetzt mal das Metrum dar, das Betonungsmuster:
Ihr tut mir leid, ihr die ihr bleiben müsst,
mein Rücken hört für immer auf zu schmerzen.
Ich kann jetzt, ohne Folgen, über alles scherzen
und werde musenseits von Angesicht zu Angesicht geküsst.
Ihr habt jetzt ein Paar Schultern weniger für Kreuze
und müsst nun ohne meine Hände weitergraben.
Ich aber werde alles seh`n und nichts mehr haben -
ihr habt mein Lächeln noch, per Sonnenstrahl von Beteigeuze.
Der Rhythmus funktioniert für mich, auch wenn die Zahl der Hebungen unterschiedlich ist. Alle Verse sind durchgehend iambisch, deshalb klappt das gut und auch, weil du tatsächlich, bis auf eine einzige Ausnahme, im Metrum bleibst.
Vers 1 + 2 = iambisch, 5 Hebungen
Vers 3 = iambisch, 6 Hebungen
Vers 4 = iambisch, 8 Hebungen
Vers 5 = iambisch, 6 Hebungen
Vers 6 = iambisch, 6 Hebungen
Vers 7 = iambisch, 6 Hebungen
Vers 8 = iambisch, 7 Hebungen
Die einzige Ausnahme in Sachen Betonung ist das Wort 'Beteigeuze'. Es fällt mir aber leicht, das Wort 'typisch deutsch zu betonen', also auf die erste Silbe 'Be-' eine Betonung zu legen und dabei klingt es auch nicht falsch. Ursprünglich kommt es aus dem Arabischen und wird eigentlich korrekt Betei
geuze betont.
Das ist so ein kleiner 'Betonungstrick', der, wenn bewusst und ab und zu mal in einem Einzelfall angewendet, durchaus hilfreich sein kann. Worte aus anderen Sprachen widersprechen tatsächlich öfter mal unserem 'deutschen Sprachgefühl'. Das liegt an der Charakteristik unserer Sprache - Deutsch ist eine alternierende Sprache. Wir heben und senken unsere Stimme und dehnen nur Vokale. Es gibt auch Sprachen, in denen das anders ist, wie z. B. quantitierende Sprachen. Dort werden Silben gedehnt und verkürzt. Und vieles anders betont, als wir es gewohnt sind.
Zum Beispiel der Begriff Hexameter. Ein antikes Versmaß, altgriechisch. Im Deutschen gibt es die 'Hexe' und den 'Meter'. Unser Sprachgefühl sagt uns also:
Hexa
meter. Diese Betonung hört und fühlt sich richtig an. Ist aber falsch. Denn richtig betont wird es so: Hex
ameter. In unseren Ohren klingt also richtig falsch und falsch richtig. Ich lernte, dass ich bei Fremdwörtern und bei Wörtern aus anderen Sprachen vorsichtig sein muss und prüfe, wenn ich das Wort nicht bereits kenne und mir sicher bin, auf jeden Fall nach, um Betonungsfehler zu vermeiden.
So viel zum Metrum. Jetzt kommt die Prosodie ins Spiel. Das Metrum ist ein 'künstliches, vereinfachtes' Betonungsmuster, es gibt nur Hebung und Senkung. Das sieht bei der Prosodie ganz anders aus. Da geht es eben um das laute Sprechen. Variierende Tonhöhen (ergo mehr als nur zwei), Wortakzente, Sprechrhythmus, verschiedene Längen von Pausen etc. pp., kurz: Es geht um die 'Sprachmelodie'.
Das ist verführerisch, denn damit kann man bei Gedichten eben 'betonungsbiegen', und zwar ordentlich. Man kann da alles so betonen, bis es passt. Nur - dein Gedicht
ist metrisch. Wie bei einem Metronom: Tick-Tack. Wenn du also reimen möchtest, gebundene Formen (oft in Foren auch 'feste Formen' genannt) verwenden möchtest, dann braucht es das Metrum. Das Metrum ist so etwas, möchte ich sagen, wie ein 'Taktgeber'. Du hast ein durchgehend einheitliches Metrum in deinem Gedicht. Und dieses 'taktet' iambisch. Und in diesem liegt das 'Ich' in einer Senkung.
Prosodisch würde ich auch anders betonen, auf jeden Fall. Da sähe bei mir, als ein Beispiel mal einen einzelnen Vers, gerade den ersten, das Betonen so aus (obwohl sich die Prosodie schriftlich nur sehr schlecht darstellen lässt, denn es gibt da keine wirklich gute Möglichkeit, 'Zwischentöne' optisch darzustellen, ich versuche es mal mit Farben):
Ihr tut mir leid, ihr die ihr bleiben müsst,
Rot: Sehr stark betont
Orange: Stark betont
Grün: Etwas schwächer betont
Blau: Schwächer betont
Schwarz: Schwach betont
Metrisch betont wird dieser Vers auf zwei mögliche Arten:
Ihr tut mir leid, ihr die ihr bleiben müsst,
Ihr tut mir leid, ihr die ihr bleiben müsst
Da ich aber in Sachen Metrum mittlerweile viel Übung habe, war mir schon klar, das es hier iambisch zugeht und so hatte ich auch keine Probleme, es durchgehend so zu betonen - also die Möglichkeit 1 zu wählen. Ja, es gibt natürlich auch noch Silbengewichte, mehr oder weniger Bedeutung, die auf einem Wort oder einer Silbe liegt, Stammsilbenbetonungen usw. Aber das ist unmöglich hier alles ausführlich zu behandeln - sonst wird's kein Kommentar, sondern ein Buch. :classic_laugh: Da braucht es Zeit, Lernen und Übung. Und es ist immer die eigene Entscheidung, ob man das 'auf sich nehmen möchte'. Also bei mir hat es jetzt fast 12 Jahre gedauert, um auf den 'Stand' zu kommen, auf dem ich jetzt bin. Man muss wirklich wissen, worauf man sich da einlässt und entscheiden, ob man das überhaupt möchte. Die 'Preisfrage' dabei: Ist es nur ein Hobby oder ist es viel mehr?
Bei diesen Selbstversuchen und versuchend Deine Anregungen umzusetzen ist mir aufgefallen, daß es mit einer Umstellung im letzten Vers noch etwas runder klänge:
Ich aber werde alles seh`n und nichts mehr haben -
Ihr habt mein Lächeln noch, per Sonnenstrahl von Beteigeuze.
Vielleicht magst Du mir ja Deinen Eindruck mitteilen.
Mein Eindruck: Es kommt darauf an, was du möchtest. Was dir gefällt, denn beides ist richtig. Ich möchte nur generell noch einen Hinweis in Sachen Versanfänge geben. Dein Gedicht ist mit 8 Versen und 2 Strophen recht kurz, da fällt das nicht so sehr ins Gewicht. Bei längeren Gedichten aber empfiehlt es sich, da etwas mehr zu variieren. Durch deine Umstellung hast du hier insgesamt 3 x 'Ihr' am Anfang eines Verses stehen. Mit 'Mein' am Anfang ist es 2 x 'Mein'. Auch hast du noch 2 x 'und' am Anfang stehen. Wie gesagt, bei einem kurzen Gedicht hat das keine großen Auswirkungen. Aber bei einem längeren Gedicht können durchgehend nur einsilbige Versanfänge leicht 'monoton' wirken und dem Gedicht auch eine Art 'Aufzählungscharakter' verleihen, ganz besonders, wenn sich Versanfänge auch noch mehrmals wiederholen. Immer mal wieder zwischendurch ein zwei- oder mehrsilbiges Wort am Beginn verhindert das.
LG,
Anonyma