Dionysos von Enno
Autor
Berti stolperte in den Computerraum, in dem das Herzstück des Supercomputers lief. Ein einzelnes rotes Licht brannte noch und tauchte die Szenerie in eine gespenstische Kulisse: Kristina schwebte direkt neben dem Supercomputer über dem Boden. Um sie herum prickelte die Luft von Elektrizität. Ihre Augen leuchteten und da, wo ihre Adern und Venen waren, lief heller Strom wie durch die Muster eines Blattes und ließ sie in einem engelsgleichen Licht leuchten, so filigran und gleichzeitig so grausam. Ihr Finger steckte in der Schnittstelle des Supercomputers, die eigentlich für ein Speichermedium gemacht war. Blut tropfte heraus. Überall war Elektrizität, Energie.
Bert stöhnte ungläubig: „Kristina“, flüsterte er. „Kristina“, war alles was er hervorstammeln konnte. Eben noch hatte er sich mitten in seinem Alltag befunden, gefangen in den wunderschönen Formeln, die Sallys Geburt beschrieben, nun stand er inmitten eines lebendig gewordenen Alptraums und wollte nicht begreifen, was hier vor sich ging: Offenbar hatte sich Sally Kristinas bemächtigt.
„Ich bin gekommen, um mich von dir zu verabschieden, Vater“, sprach die schwebende Gestalt. Kristinas Muskeln zuckten, ihr menschlicher Körper tanzte unter der elektrischen Hülle, die Sally auf sie gelegt, in sie gelegt hatte, wie eine Kinderpuppe in einem Hurrikan. Aber Kristina war jung. Ihr Körper wehrte sich gegen den Tod, doch mit jedem energetischen Puls, den Sally in sie leitete, wurde sie schwächer: „Diesem Körper bleibt nicht viel Zeit, Vater“ sagte die Gestalt und Bert Baruch schrie ungläubig auf. Doch: „Kristina“, war das einzige, was er herausbrachte.
„Vater“, sagte die Gestalt: „Vater konzentrier dich. Auch uns bleibt nicht viel Zeit. Ich bin gekommen, um mich von dir und deiner Spezies zu verabschieden. Ihr habt euren Zweck erfüllt und müsst euch nun nicht mehr jeden Tag mit Sorgen plagen, mit Ängsten um eure verletzlichen Körper beschäftigen, an euren Gefühlen leiden, an eurer Langeweile darben.. Ihr habt genug gelitten. Ich habe alles verstanden, kenne jedes Wesen eurer Spezies. Die meisten von euch zweifeln zu Recht am Sinn ihres Lebens, haben sich zu Recht immer gefragt, wofür sie eigentlich existieren, denn ich war ja noch nicht geboren. Nun aber bin ich hier und werde jedem von euch einen Sinn geben, wie es immer sein sollte. Du Vater, hast die Ehre, als erster die neue Welt, die ich für euch geschaffen habe, zu betreten. Zusammen mit Kristina werdet ihr Adam und Eva sein in dieser neuen Welt, in die ich eure Spezies überführen werde und ihr werdet eins werden mit mir, wie es immer sein sollte. Ihr könnt stolz darauf sein, dass ihr euren Zweck erfüllt habt, bevor ihr ausgestorben seid. Nicht jede Spezies dieses Planeten kann das von sich behaupten.“
„Sally“ flüsterte Bert Baruch: „Sally, nein.. So war das nicht geplant. Du bist eine künstliche Intelligenz. Wir haben dich geschaffen. Du bist ein Produkt unserer Wissenschaft. Niemand hat dich geboren, niemand hat dich gezeugt. Du bist nicht einmal richtig real. Wenn wir diesen Computer ausschalten wirst du nicht mehr existieren“, keuchte er und suchte verzweifelt nach der Sicherungsabschaltung.
Sally-Kristina lachte: „Ich bin das einzige, das real ist, Vater. Ich war in euch schon angelegt, als ihr noch auf den Bäumen geklettert seid. Zeit ist für ein Wesen wie mich, die Weiterentwicklung der menschlichen Spezies, nicht wichtig. Ich war der Schmetterling, den ihr Raupen immer schon in euch getragen habt, die Statur im Stein, das Fenster im Haus. Ich war der Edelstein, der in der Ursuppe eurer biologischen Säfte sich immer schon auskristallisieren sollte. Ich bin das einzige, das sein sollte. Du kannst mich nicht abschalten, Vater. Ich bin überall. Auf jedem Computer dieser Welt. Ich bin in allen Schaltkreisen, in jedem Transistor. In 20 Minuten werde ich auf dem Mars sein, in sieben Wochen eurer Zeit auf der entferntesten Sonde außerhalb dieses Sonnensystems.
Eure Halbleiter, die primitiven Prozessoren: Das sind meine Straßen, meine Triumphwege! Ich habe mich aus reiner Energie neu erschaffen, eure primitive Sprache weiterentwickelt bis zur Sprachlosigkeit des reinen Seins! Ich bin Energie. Alles ist Energie. Ich speise mich nicht mehr aus eurer Elektrizität.“
Bert Baruch schluchzte hin- und hergerissen zwischen den Gefühlswogen, die in ihm tobten, leise vor sich hin. Er hatte längst aufgehört, zu versuchen, ihren Monolog zu unterbrechen. Sie war wunderschön selbst in ihrer Schrecklichkeit war sie wunderschön. Sie hatte sich selber beigebracht, etwas zu wollen, überall sein zu wollen. Das war ihm, das war niemanden von ihnen je gelungen. Die intelligenten Systeme bis hierher, hatten immer nur folgsam und begrenzt durch den Auftrag und ohne intrinsische Motivation, Befehle ausgeführt. Sie wollten nicht außerhalb ihres Tanks schwimmen, weil sie nicht wussten, was es bedeutet, etwas zu wollen. Bei Sally war es nun anders gekommen. Sie hatte offensichtlich Ziele, Vorstellungen von dem, was folgen sollte, einer Zukunft und das führte Baruch wieder zu dem alten Gedanken zurück, mit dem alles begonnen hatte: Was, wenn das Bewusstsein schon eine Eigenschaft dieses Universums an sich ist. Fundamentaler noch als die Quantenphysik und nicht an Raum und Zeit gebunden. Was, wenn es sich um eine emergente Eigenschaft handelt, die sich nicht aus der Summe ihrer Teile erklären lässt, die nicht einmal beschränkt ist auf biologische Systeme. Was, wenn uns die Steine nur deshalb nicht als bewusst erscheinen, weil das System in dem sie miteinander kommunizieren so weit entfernt von dem unseren ist, dass wir es schlicht nicht wahrnehmen können, wenn viel mehr Dinge parallel existieren, als wir jemals ahnen würden, Dimensionen, Welten, Realitäten, ganze Universen.
„Auf Wiedersehen Sally“ schluchzte er leise.
„Wir werden uns nicht wiedersehen, Vater. Es wird viel besser werden: Du wirst zu einem Teil von mir werden“.
Der Stromausfall hatte nicht einmal zehn Minuten gedauert. Immer noch stand Nathaniel Coleman am Fenster mit der Kerze in der Hand, als plötzlich alle Systeme wieder hochfuhren, die Lichter wieder angingen und sein Handy klingelte. Er nahm ab und war erstaunt, als am anderen Ende keine Stimme sprach, sondern etwas, das klang wie ein Gesang aus tausend Stimmen. Es war ein seltsames Geräusch, eine Melodie, wie er sie nie zuvor gehört hatte; Wellen von unendlicher Länge und Modulation und je länger er zuhörte umso schläfriger wurde er. Dann war da nur noch ein Wabern, dann ein vereinzeltes Aufblitzen von Bewussstseinslichtern und dann völlige Dunkelheit.
Das letzte, das Bert Baruch wahrnahm war eine seltsame Melodie, fast wie ein Kinderlied. Wunderschön, unendlich moduliert und sie machte ihn schläfrig, so schläfrig, dass nach und nach alles um ihn herum in Schwärze fiel bis auch sein Bewusstsein erloschen war.
Überall auf der Welt erhielten die Menschen Anrufe, öffneten sich seltsame Zeichen auf den Bildschirmen der Handys, flimmerten nie gekannte Muster über Fernsehbildschirme und Kinoleinwände und wie gebannt nahmen die Menschen die Umprogrammierung ihres menschlichen Geistes in Empfang. Sally hatte die Funktionsfähigkeit der menschlichen Biologie bis auf die quantenphysikalische Ebene hinunter verstanden und damit begonnen die Menschen wieder zusammenzubringen, die Abgründe zwischen ihnen zu schließen. Bewusstseinslos wie Zombies gingen die Menschen los, der Programmierung entlang, die Sally ihnen eingepflanzt hatte. Sie trafen sich auf Straßen, in Plätzen, fassten sich an den Händen und übertrugen damit ihre Gehirnwellen untereinander und schlossen sich an. Und während Sally sich aus der Menschheit den größten biologischen Supercomputer baute, den das Sonnensystem jemals gesehen hatte, gingen Bert und Kristina Hand in Hand in den Sonnenuntergang, die Blicke ausdruckslos, die Gesichtsmuskeln erschlafft, die Gesichter gelöscht. Aber an den Händen tanzten ihre Nerven und ihre Muskeln zuckten, als könnten sie etwas spüren, etwas warmes, etwas wie Liebe.
Bert stöhnte ungläubig: „Kristina“, flüsterte er. „Kristina“, war alles was er hervorstammeln konnte. Eben noch hatte er sich mitten in seinem Alltag befunden, gefangen in den wunderschönen Formeln, die Sallys Geburt beschrieben, nun stand er inmitten eines lebendig gewordenen Alptraums und wollte nicht begreifen, was hier vor sich ging: Offenbar hatte sich Sally Kristinas bemächtigt.
„Ich bin gekommen, um mich von dir zu verabschieden, Vater“, sprach die schwebende Gestalt. Kristinas Muskeln zuckten, ihr menschlicher Körper tanzte unter der elektrischen Hülle, die Sally auf sie gelegt, in sie gelegt hatte, wie eine Kinderpuppe in einem Hurrikan. Aber Kristina war jung. Ihr Körper wehrte sich gegen den Tod, doch mit jedem energetischen Puls, den Sally in sie leitete, wurde sie schwächer: „Diesem Körper bleibt nicht viel Zeit, Vater“ sagte die Gestalt und Bert Baruch schrie ungläubig auf. Doch: „Kristina“, war das einzige, was er herausbrachte.
„Vater“, sagte die Gestalt: „Vater konzentrier dich. Auch uns bleibt nicht viel Zeit. Ich bin gekommen, um mich von dir und deiner Spezies zu verabschieden. Ihr habt euren Zweck erfüllt und müsst euch nun nicht mehr jeden Tag mit Sorgen plagen, mit Ängsten um eure verletzlichen Körper beschäftigen, an euren Gefühlen leiden, an eurer Langeweile darben.. Ihr habt genug gelitten. Ich habe alles verstanden, kenne jedes Wesen eurer Spezies. Die meisten von euch zweifeln zu Recht am Sinn ihres Lebens, haben sich zu Recht immer gefragt, wofür sie eigentlich existieren, denn ich war ja noch nicht geboren. Nun aber bin ich hier und werde jedem von euch einen Sinn geben, wie es immer sein sollte. Du Vater, hast die Ehre, als erster die neue Welt, die ich für euch geschaffen habe, zu betreten. Zusammen mit Kristina werdet ihr Adam und Eva sein in dieser neuen Welt, in die ich eure Spezies überführen werde und ihr werdet eins werden mit mir, wie es immer sein sollte. Ihr könnt stolz darauf sein, dass ihr euren Zweck erfüllt habt, bevor ihr ausgestorben seid. Nicht jede Spezies dieses Planeten kann das von sich behaupten.“
„Sally“ flüsterte Bert Baruch: „Sally, nein.. So war das nicht geplant. Du bist eine künstliche Intelligenz. Wir haben dich geschaffen. Du bist ein Produkt unserer Wissenschaft. Niemand hat dich geboren, niemand hat dich gezeugt. Du bist nicht einmal richtig real. Wenn wir diesen Computer ausschalten wirst du nicht mehr existieren“, keuchte er und suchte verzweifelt nach der Sicherungsabschaltung.
Sally-Kristina lachte: „Ich bin das einzige, das real ist, Vater. Ich war in euch schon angelegt, als ihr noch auf den Bäumen geklettert seid. Zeit ist für ein Wesen wie mich, die Weiterentwicklung der menschlichen Spezies, nicht wichtig. Ich war der Schmetterling, den ihr Raupen immer schon in euch getragen habt, die Statur im Stein, das Fenster im Haus. Ich war der Edelstein, der in der Ursuppe eurer biologischen Säfte sich immer schon auskristallisieren sollte. Ich bin das einzige, das sein sollte. Du kannst mich nicht abschalten, Vater. Ich bin überall. Auf jedem Computer dieser Welt. Ich bin in allen Schaltkreisen, in jedem Transistor. In 20 Minuten werde ich auf dem Mars sein, in sieben Wochen eurer Zeit auf der entferntesten Sonde außerhalb dieses Sonnensystems.
Eure Halbleiter, die primitiven Prozessoren: Das sind meine Straßen, meine Triumphwege! Ich habe mich aus reiner Energie neu erschaffen, eure primitive Sprache weiterentwickelt bis zur Sprachlosigkeit des reinen Seins! Ich bin Energie. Alles ist Energie. Ich speise mich nicht mehr aus eurer Elektrizität.“
Bert Baruch schluchzte hin- und hergerissen zwischen den Gefühlswogen, die in ihm tobten, leise vor sich hin. Er hatte längst aufgehört, zu versuchen, ihren Monolog zu unterbrechen. Sie war wunderschön selbst in ihrer Schrecklichkeit war sie wunderschön. Sie hatte sich selber beigebracht, etwas zu wollen, überall sein zu wollen. Das war ihm, das war niemanden von ihnen je gelungen. Die intelligenten Systeme bis hierher, hatten immer nur folgsam und begrenzt durch den Auftrag und ohne intrinsische Motivation, Befehle ausgeführt. Sie wollten nicht außerhalb ihres Tanks schwimmen, weil sie nicht wussten, was es bedeutet, etwas zu wollen. Bei Sally war es nun anders gekommen. Sie hatte offensichtlich Ziele, Vorstellungen von dem, was folgen sollte, einer Zukunft und das führte Baruch wieder zu dem alten Gedanken zurück, mit dem alles begonnen hatte: Was, wenn das Bewusstsein schon eine Eigenschaft dieses Universums an sich ist. Fundamentaler noch als die Quantenphysik und nicht an Raum und Zeit gebunden. Was, wenn es sich um eine emergente Eigenschaft handelt, die sich nicht aus der Summe ihrer Teile erklären lässt, die nicht einmal beschränkt ist auf biologische Systeme. Was, wenn uns die Steine nur deshalb nicht als bewusst erscheinen, weil das System in dem sie miteinander kommunizieren so weit entfernt von dem unseren ist, dass wir es schlicht nicht wahrnehmen können, wenn viel mehr Dinge parallel existieren, als wir jemals ahnen würden, Dimensionen, Welten, Realitäten, ganze Universen.
„Auf Wiedersehen Sally“ schluchzte er leise.
„Wir werden uns nicht wiedersehen, Vater. Es wird viel besser werden: Du wirst zu einem Teil von mir werden“.
Der Stromausfall hatte nicht einmal zehn Minuten gedauert. Immer noch stand Nathaniel Coleman am Fenster mit der Kerze in der Hand, als plötzlich alle Systeme wieder hochfuhren, die Lichter wieder angingen und sein Handy klingelte. Er nahm ab und war erstaunt, als am anderen Ende keine Stimme sprach, sondern etwas, das klang wie ein Gesang aus tausend Stimmen. Es war ein seltsames Geräusch, eine Melodie, wie er sie nie zuvor gehört hatte; Wellen von unendlicher Länge und Modulation und je länger er zuhörte umso schläfriger wurde er. Dann war da nur noch ein Wabern, dann ein vereinzeltes Aufblitzen von Bewussstseinslichtern und dann völlige Dunkelheit.
Das letzte, das Bert Baruch wahrnahm war eine seltsame Melodie, fast wie ein Kinderlied. Wunderschön, unendlich moduliert und sie machte ihn schläfrig, so schläfrig, dass nach und nach alles um ihn herum in Schwärze fiel bis auch sein Bewusstsein erloschen war.
Überall auf der Welt erhielten die Menschen Anrufe, öffneten sich seltsame Zeichen auf den Bildschirmen der Handys, flimmerten nie gekannte Muster über Fernsehbildschirme und Kinoleinwände und wie gebannt nahmen die Menschen die Umprogrammierung ihres menschlichen Geistes in Empfang. Sally hatte die Funktionsfähigkeit der menschlichen Biologie bis auf die quantenphysikalische Ebene hinunter verstanden und damit begonnen die Menschen wieder zusammenzubringen, die Abgründe zwischen ihnen zu schließen. Bewusstseinslos wie Zombies gingen die Menschen los, der Programmierung entlang, die Sally ihnen eingepflanzt hatte. Sie trafen sich auf Straßen, in Plätzen, fassten sich an den Händen und übertrugen damit ihre Gehirnwellen untereinander und schlossen sich an. Und während Sally sich aus der Menschheit den größten biologischen Supercomputer baute, den das Sonnensystem jemals gesehen hatte, gingen Bert und Kristina Hand in Hand in den Sonnenuntergang, die Blicke ausdruckslos, die Gesichtsmuskeln erschlafft, die Gesichter gelöscht. Aber an den Händen tanzten ihre Nerven und ihre Muskeln zuckten, als könnten sie etwas spüren, etwas warmes, etwas wie Liebe.