Moin
@maerC,
also in all dem Humorigen ist dein Text doch durchaus auch ein Fröhlicher bist Düsterer!
Mir gefällt, dass es so unbeschwert anfängt, könnt ein Kinderreim sein und dann bringst du immer weiter diese fast schlafparalytische Idee eines Alptraums mit ein.
Lass uns einmal genau schauen:
Schön^^ Hier haben wir zwar den Konflikt schon angedeutet, aber als Wortwitz ist das...witzig^^
Ich zähle täglich meine Schafe
Wenn ich noch wach lieg und nicht schlafe
Einhundertzwanzig an der Zahl
Und wenn 's nicht reicht, zähl ich nochmal
Metrum und Reim:
xXxXxXxAa
xXxXxXxAa (XxxXxxXXx genaugenommen)
xXxXxXxB (XXxXxXxX genaugenommen)
xXxXxXxB (xXxXXxxX genaugenommen)
Mann kann es wohlwollend durchgehend als 4-hebigen Jambus lesen, aber abgesehen vom ersten Vers gibts da schon sehr variable Betonungsweisen, einige Wörter sind eigentlich zu stark um unbetont zu sein.
Der Reim ist ein beschwingter Paarreim, die verleihen der ersten Strophe hier eben diesen Kinderreim-Charme.
Sprache und Inhalt:
Ich hatte überlegt, ob es kausal sinnvoller wäre, Vers 1 und 2 zu tauschen.
Vorschlag:
Wenn ich noch wach lieg und nicht schlafe
Dann zähl ich täglich meine Schafe.
Eigentlich ganz gut so.
Ansonsten passt hier aber alles, ein fröhlicher Einstieg mit typischer Schäfchenzählbildlichkeit.
Spannend fände ich die Frage, ob die 120 eine tiefere Bedeutung hat. Wie 120 Sekunden, ein Zehnfaches von 12, die Zahl auf der Uhr oder die Anzahl der Monate in einem Jahr, hmhm^^
Doch gestern fehlte mir ein Hammel
Ich war hellwach und hatte Bammel
Dass ihn ein Wolf gefressen hatte
Verzweifelt stand ich auf der Matte
Und konnte stundenlang nicht schlafen
Aus Sorge um den alten Braven
Metrum und Reim:
xXxXxXxCc
xXxXxXxCc
xXxXxXxDd
xXxXxXxDd
xXxXxXxEe
xXxXxXx
Ee
Die Strophe hat 2 weitere Verse mit Paarreim angehängt, sie unterscheidet sich damit dynamisch auch zur ersten, erscheint hektischer, was ja inhaltlich auch sehr gut passt. Das lyrische ich ist aus seinem strukturierten Zähltraum herausgebrochen und befindet sich plötzlich in einem unbekannten Setting.
Man könnte argumentieren, dass in diesem Sinne auch der unreine Reim (bzw, die Assonanz?) schlafen-Braven durchaus Sinn macht, dazu aber gleich mehr.
Sprache und Inhalt:
"gefressen" ist nicht zu beanstanden, gewohnter ist in dem Kontext aber vielleicht "gerissen"?
Den unreinem Reim hatte ich eben schon angesprochen, den mag ich insbesondere nicht, weil der "alte Brave" irgendwie nach einer recht gewollten, umständlichen Beschreibung für den Hammel klingt.
Meine erste Idee wäre folgende, um die beiden zusätzlichen Verse auch nochmals abzuheben, einen Abschluss mit betonter Silbe.
Vorschlag:
Ich konnt nicht schlafen, stundenlang
war ich um ihn ganz schrecklich bang
Am nächsten Abend zähl ich wieder
Und werde überhaupt nicht müder
Welch Freude: alle sind zur Stelle
Ergebnis: Hundertzwanzig Felle
Metrum und Reim:
xXxXxXxFf
xXxXxXx
Ff
xXxXxXxGg
xXxXxXxGg
Hier passt metrisch alles, reimlich ist aber wieder-müder wieder unrein. An dieser Stelle mag ich den unreinen Reim allerdings, da er inhaltlich den gestörten Schlaf unterstreicht.
Ich hätte es tatsächlich, da sich anschließend die Schlaf-Traum-Situation so zuspitzt, ganz cool gefunden, hier eine weitere strophische Steigerung zu haben. Eigentlich könnte die Folgestrophe mit dieser hier zusammengelegt werden, sodass du ganze 8 Verse in der Strophe hast, nochmal 2 mehr als vorher, doppelt so viel Dynamik als in der ersten fröhlich-harmonischen Strophe.
Sprache und Inhalt:
Die hunderzwanzig Felle sind geschickt. Der aufmerksame Schaf-Fabeln-und-Geschichten-Kenner wird schon ahnen, dass der Schafspelz hier möglicherweise eine Überraschung bereithält.
Die Energie aus der vorigen 6-Zeilen-Strophe ebbt hier durch die 4 Verse nun aber tatsächlich etwas ab, der künstliche Abbruch nimmt die Spannung für mich.
Bei einem passen nicht die Zähne
Zur harmlos weißen Lockenmähne
Zwei Augen blitzen mir entgegen
Ihr Lauern könnte mich erregen
Metrum und Reim:
xXxXxXxHh
xXxXxXxHh
xXxXxXxIi
xXxXxXxIi
Metrisch hier auch wieder sicher, saubere Reime auch. Konsequenterweise könnten wir sagen, dass hier sicher auch ein unreiner Reim gerechtfertigt sein würde.
Sprache und Inhalt:
Da haben wir nun nämlich den Wolf im Schafspelz. Die Anspielungen auf die Zähne und die Augen referieren direkt auf Rotkäppchen, wo sich der Wolf ja desselben Verkleidungstricks bedient.
Ich finde es aber ganz gut, dass du diese Verkleidung gar nicht aufdeckst, es bleibt ein unbekanntes Lauern, das das lyrische Ich und und die Leserschaft im Nacken kitzelt. Manchmal ist das Unausgesprochene ja das Bedrohlichere.
Ich mag allerdings "erregen" nicht, das Lauern könnte das lyrische Ich verunsichern, verängstigen, "erregen" aber ist offenbar dem Reim geschuldet.
Vorschlag:
Zwei Augen blitzen hastig auf
Und in mir ruft es leise: Lauf
Ich denk noch, das ist sehr verdächtig
Doch Hypnos - gähn - wird übermächtig
Es muss - gähn - nur die Zahl - gähn - stimmen
Gut' Nacht, ich werd das Licht jetzt dimmen
Metrum und Reim:
xXxXxXxJj
xXxXxXxJj
xXxXxXxKk
xXxXxXxKk
Metrisch und reimlich soweit in Ordnung, eeeetwas unglücklich finde ich nur, dass die Interjektion "gähn" in Vers 1 betont sein soll und in Vers 3 darauf unbetont, da fällt es auch etwas schwer, "gähn" ist schon sehr stark.
Diese letzte Strophe ist nun wieder bei 4 Versen. Auch das finde ich konsequent, die Rückkehr zum Anfang, zum ruhigen Schafezählen, die Zahl stimmt, alles ist in Ordnung.
Sprache und Inhalt:
Für die Leserschaft bleibt hintergründig dieses ungute Gefühl, dass da etwas lauert!
Aber das lyrische Ich ist, endlich, zu müde, darüber noch weiter nachzudenken.
Das Abdriften ins Reich der Träume hast du hier visuell durch Kursivschrift auch nochmal schön verdeutlicht.
Alles in allem hat mir dein Text gut gefallen, besonders diese bloße Idee der Bedrohung, die aber nie ganz konkret benannt wird, hast du sehr schön umgesetzt.
Gern gelesen!
LG Dali Lama