Wow, so viele Kommentare - damit hatte ich wirklich nicht gerechnet. Zunächst einmal ganz herzlichen Dank dafür.
Ich finde es toll, wie mit ein wenig Abstraktion sich jede(r) eine eigene Geschichte oder Deutung zu ein paar schlichten Zeilen machen kann. Nicht zuletzt liebe ich dieses Forum für die Phantasie seiner Nutzer und dass die begegnung hier nur selten wertend sind. Es ist natürlich jedem selbst überlassen, wie der Text zu verstanden werden kann, aber wegen der mehrfachen Nachfrage möchte ich gerne meine eigenen Gedanken dazu teilen. Wer mich kennt, weiß, dass ich gerne in vergangenen/kindlichen Anteilen meines eigenen Geistes wühle und manches, was dabei hoch kommt, in Gedichten wie diesem verarbeite, ohne einen großen künstlerischen Anspruch daran zu haben.
Das Gedicht handelt auf verschiedenen Ebenen von (Ab)spaltung. Zunächst auf zeitlicher Ebene: Scham entsteht unter Anderem dadurch, dass man Verhalten, Geschmack oder Strategien aus der Vergangenheit mit dem Wissen/Verstand von heute bewertet. Aber wie jede Wertung, führt dies zu Abwertung, in diesem Fall gegen den eigenen Anteil. Anstatt zu sagen oder zu denken, "ja, das zu tun, war damals eine gute Lösung", neigen Menschen zu Sätzen wie "hätte ich damals gewusst, dann..." oder "wie konnte ich nur so blöd sein...". Der Inbegriff von Scham ist ja, im Gegensatz zu Schuld, nicht, dass man etwas falsches getan hat, sondern an sich falsch
ist.
Auf einer anderen Ebene geht es um die Spaltung von Körper und Geist. In unserer von abrahamischen Religionen geprägten Kultur (um es mal so neutral wie möglich auszudrücken) gilt häufig das Geistig-Verkopfte gegenüber dem körperlich Archaischem als das Wertvollere. Das Körperliche gilt als schmutzig, während das Gedankliche eine reine und unbefleckte Attitüde erhält. Auch dies kann zu einer Ablehnung der eigenen Ganzheit führen und damit zu Scham. Schon der Titel verrät es, bei uns ist als Schambereich etwas Geschlechtliches gemeint, etwas das nicht öffentlich gezeigt werden darf, nicht dazugehört obwohl man es nicht los wird. Im Gedicht geht es dann aber nur bedingt darum. Der Schambereich ist letztlich der ganze Körper und die meisten Gefühle.
Und wo wir gerade bei Selbstablehnung und Einheit sind, kommt noch die Illusion einer Ich-Ganzheit als Ebene hinzu, also einer Abspaltung von Gefühlswelten. Das lyrische ich (LI) und das lyrische du (LD) sind hier bewusst austauschbar, z.B. an der Stelle: [du!] schneide mit den Kopf nicht ab / [du!] löffel mein Gehirn nicht aus ... gegenüber: [ich] schneide mir den Kopf nicht ab / [ich] löffel mein Gehirn nicht aus. Nach meiner Überzeugung melden sich bei jedem von uns immer wieder Anteile, die durch irgendwas ausgelöst werden und übernehmen für eine gewisse Zeit mehr oder weniger die Kontrolle. Dann kommt es zu Projektionen, Ängsten, Wut, Aufregung, Erstarrung, Freude, Hass, Verliebtheit, Traurigkeit und was es so alles an Verrücktheiten gibt. Es kann sogar sein, dass es gar kein zentrales übergeordnetes "ich" gibt, aber das ist, denke ich, Ansichtssache.
Zum Schluss noch etwas zum Motiv des Bestecks/Löffels. Es symbolisiert die mentale Selbstverletzung, die Nährung durch die eigenen Anteile und das sprichwörtliche Löffeln von falscher Weisheit. Daher auch den eigenen Kopfpudding.
Ich hoffe, dass mein Standpunkt mit dieser Erklärung etwas klarer ist.
Vielen Dank nochmal an
@Lina,
@Lima,
@Letreo71,
@J.W.Waldeck,
@Joshua Coan,
@Sternwanderer und alle Anderen für's Lesen, Mögen und kommentieren.
VLG Euer Peter