Moni
Autorin
Schicksalhafte Begegnung – Teil 5
„Hallo, Robert hier“ hörte Beate Susis Vater mit der bekanntlich energischen Stimme. Beate war enttäuscht und ließ ihm das auch spüren. „Was willst du?“ fragte sie schnippisch.
„Ich wollte Susi übers Wochenende zu uns holen.“ „Da muss ich Susi erstmal fragen, ob sie das möchte. Susi schläft jetzt schon. Du kannst morgen noch mal anrufen.“ waren ihre knappen Worte.
Als Beate den Hörer auflegte, dachte sie sofort daran, dass Susi übers Wochenende also versorgt wäre. Beate wusste ganz genau, dass sie Susi eigentlich nicht erst fragen musste, ob sie Lust hat das Wochenende mit ihrem Papa und seiner neuen Familie zu verbringen. Susi würde sich freuen, das wusste Beate ganz genau, vor allem, weil sie ihren Papa schon eine Weile nicht mehr gesehen hat.
Ob Ina wohl noch einmal am Wochenende bereit wäre, mit ihr in die Disko zu gehen? Vielleicht würde ein Wunder geschehen. Vielleicht hätte sie die Möglichkeit, Christian noch einmal zu begegnen. „Morgen werde ich Ina anrufen und sie fragen“, dachte sie. „Hoffentlich hat sie nicht schon etwas Anderes vor.“
So unlogisch wie es in den letzten Tagen auch schien, verspürte sie jetzt wieder Hoffnung, Christian wiederzusehen. Wenigstens noch einmal, um herauszufinden, wie er auf sie reagieren wird. Sie würde ja merken, wenn sie ihm egal wäre und er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Dann wüsste sie wenigstens, woran sie ist und könnte wieder zur Ruhe kommen. Sie wäre zwar enttäuscht, aber vernünftig genug, darüber hinweg zu kommen. Bis jetzt war alles noch offen. Es könnte einen plausiblen Grund dafür geben, warum er sich nicht gemeldet hat, zum Beispiel, weil er sich ihre Telefonnummer nicht merken konnte. An diese Theorie klammerte sie sich. Aber wo könnte sie Christian treffen? Die Jungs erwähnten schließlich, dass sie eigentlich keine Diskogänger sind. Also werden sie bestimmt nicht wieder im Birkenhof sein. Beate erinnerte sich daran, wie Einer aus der Clique am Sonnabend erwähnte, dass sie am kommenden Wochenende mal wieder nach Spandau ins Ballhaus fahren könnten, wo sie lange nicht waren. Sie fanden die Musik gut, die dort gespielt wurde, weil sie viel abwechslungsreicher und auch rockiger war, als in einer herkömmlichen Disko. Ihr könnt ja mitkommen, sagte er noch. Genau, das war es. Beate musste versuchen Ina zu überreden, dass sie zusammen dort hinfahren. Eigentlich mochten die beiden keine Rockmusik. Es dürfte also etwas schwierig werden, Ina zu überreden.
Robert rief am Freitag noch mal an, ob alles klargeht. Beate hatte bereits mit Susi gesprochen und sie freute sich natürlich, wie Beate schon vermutete. Sonnabendvormittag wollte Robert Susi abholen und sie am Sonntagabend wieder nach Hause bringen.
Nach dem Telefonat mit Robert rief Beate bei Ina an. Ein Glück, Ina war zu Hause. „Hallo Ina, ich wollte Dich fragen, ob du für morgen Abend schon etwas geplant hast“ fiel Beate gleich mit der Tür ins Haus. „Nein, eigentlich nichts Konkretes. Was hast du denn vor?“ fragte Ina. „Hättest du Lust darauf, wenn wir morgen Abend noch mal etwas zusammen unternehmen? Robert rief an und möchte Susi übers Wochenende zu sich holen.“ „Na das ist doch Klasse.“ sagte Ina. „Und wo wollen wir hin? Hat sich überhaupt dieser Christian bei dir gemeldet?“ “Nein“ sagte Beate etwas kurz angebunden. „Können wir morgen darüber reden? Wenn Du möchtest, kannst du morgen gerne schon gegen Mittag zu mir kommen. Ich koche uns etwas Schönes, dann machen wir uns einen netten Nachmittag und können alles in Ruhe besprechen, was wir abends unternehmen wollen. Ich hätte da schon einen Vorschlag.“ „Hört sich so weit ganz gut an. Dann komme ich morgen mit dem Bus zu dir und du musst dann aber fahren, okay?“ „Kein Problem, also dann bis morgen.“
Alles klappte wie geplant. Susi wurde am Sonnabendvormittag abgeholt und Ina traf gegen 13.00 Uhr bei Beate ein. Lisa war bei ihrem Freund. So konnten sich die Beiden ungestört unterhalten. Sie aßen gemeinsam und plauderten über die aktuellen Ereignisse. Mittlerweile war es 19.00 Uhr. Es war Zeit zu beschließen, wo sie hinfahren. Beate erzählte von ihrem Plan, aber Ina war nicht begeistert davon. „Du willst also dorthin fahren, in der Hoffnung, dass du Christian triffst?“ fragte sie etwas gereizt. „Vergiss nicht, dass Du schließlich fahren musst. Weißt du überhaupt, dass wir in Spandau auf einen riesigen Kreisverkehr kommen? Wenn wir uns verfahren, sehen wir alt aus. In der Dunkelheit verlieren wir vielleicht die Orientierung und du weißt doch gar nicht, ob der Typ es überhaupt ernst gemeint hat, der sagte, dass sie mal wieder ins Ballhaus nach Spandau fahren könnten.“ Beates Freude verwandelte sich schlagartig in Frustration. „Das war wohl eine Schnapsidee, Ina. Du hast recht. Ich glaube, dass ich mir die Fahrt in der Dunkelheit auf fremden Wegen wirklich nicht zutraue. Und dann noch dieser große Kreisverkehr.“
„Und nun?“ fragte Ina. „Weiß ich doch auch nicht“ antwortete Beate entmutigt. Sie war enttäuscht und für einen Moment hoffnungslos, Christian jemals wiederzusehen.
Alle Bilder, die sie seit einigen Stunden im Kopf hatte, wurden immer schwächer, die Wiedersehensfreude, die Begrüßung, die Umarmung ...
Plötzlich kam ihr ein ganz anderer Gedanke in den Sinn. Sie dachte an den Moment zurück, als letzten Sonnabend Einer aus der Gruppe vom Ballhaus Spandau sprach. Und richtig, Christian und die anderen reagierten gar nicht darauf. Es war nur der Eine, der diesen Vorschlag machte, am nächsten Wochenende dorthin zu fahren.
Vielleicht hoffte Christian auch, Beate im Birkenhof wieder zu treffen und würde deshalb auch noch mal dorthin kommen. Bei dieser Vorstellung wurde ihr ganz warm ums Herz. „Wollen wir noch mal in den Birkenhof gehen? Dort war es doch letzte Woche noch ganz nett geworden. Vielleicht ist Christian auch dort und nicht im Ballhaus.“ sagte Beate. Ina hielt sie für total verrückt. „Sag mal, spinnst du?“ war ihre Reaktion. „Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich mich von dir noch mal dorthin schleppen lasse. Komm endlich zur Besinnung und vergiss ihn.“ „Bitte Ina, nur noch dieses eine Mal. Danach gehen wir nie wieder dorthin, versprochen.“ „Du weißt ja überhaupt nicht, was du willst und fällst von einem Extrem ins nächste. Gerade wolltest du noch ins Ballhaus nach Spandau und nur, weil du dir die Fahrt nicht zutraust, vermutest du deinen Christian nun doch im Birkenhof?“ „Dieser Gedanke kam mir gerade erst jetzt, und er erscheint mir auf einem mal so logisch, vorausgesetzt er möchte mich auch wiedersehen.“ „Okay, wir fahren dorthin, aber du wirst sehen, dass er nicht da ist.“ „Danke für dein Verständnis“ sagte Beate erleichtert und umarmte ihre Freundin.
Beide Frauen machten sich auf den Weg. Zuerst fuhren sie mit Beates Auto zu Ina nach Hause und ließen es dort stehen. Von Oranienburg fuhren sie, wie auch am letzten Sonnabend, mit der S-Bahn nach Birkenwerder.
Dort angekommen, nahmen sie wieder an der Bar Platz. Von dort aus hatte man eine gute Sicht zur Eingangstür. Beate schaute sich um, ob sie Christian irgendwo sah. Er war nicht da und seine Kumpels waren auch nicht zu sehen. Ständig blickte sie zur Tür in der Hoffnung, er würde kommen. „Ich habe dir doch gleich gesagt, dass er nicht da sein wird. Mensch, nun mach dich doch nicht so verrückt“ sagte Ina. „Er wird sich heute bestimmt schon wieder woanders amüsieren und denkt gar nicht mehr an dich. So sind sie doch alle.“ Das hat gesessen und tat weh. Ina konnte manchmal ziemlich direkt sein. „Du hast ja recht Ina, Ich muss ihn endlich vergessen, das bringt ja nichts.“ Eine Weile blieben sie noch an der Bar sitzen. Obwohl Beate keine Hoffnung mehr hatte, musste sie immer wieder zur Tür blicken, wenn Leute reinkamen. Männer, die sie zum Tanzen aufforderten, bekamen einen Korb. Ina hatte schon ein paar Runden getanzt und amüsierte sich.
Es war gegen 24.00 Uhr, als die Stimmung auf dem Höhepunkt war. „Komm, jetzt setzen wir uns da vorne an den Tisch, da ist gerade was freigeworden“ sagte Ina. Beate saß mit dem Rücken zur Eingangstür. Sie folgte dem ausgelassenen Trubel auf der Tanzfläche und hing ihren Erinnerungen nach. Mit Christian rechnete sie nun endgültig nicht mehr.
Nach einer Weile sagte Ina mit einem Schmunzeln im Gesicht: „Guck doch mal, wer da vorne steht, dreh dich mal um.“ Beate fand es nicht lustig, drehte sich aber automatisch trotzdem um und guckte in die Richtung, in die Ina schaute. Sie traute ihren Augen kaum. Da stand Christian und guckte sich überall im Saal um, als ob er jemanden suchte. Beates Puls fing an zu rasen. Sie merkte, wie sie errötete. „Was soll ich denn jetzt tun, Ina?“ stammelte sie. „Hoffentlich läuft er nicht wieder weg. Mir ist ganz schlecht. Hoffentlich läuft er nicht wieder weg“ wiederholte sie sich. Sie wollte nicht aufdringlich sein und sich mit irgendwelchen Gesten bemerkbar machen. Wer weiß, wen er suchte. „Bleib mal ganz ruhig“ meinte Ina. „Er guckt sich ja ganz genau um. Da wird er uns auch nicht übersehen und wenn doch, dann kannst du dir wohl denken warum.“ Christians Blick landete am Tisch von Ina und Beate. Nun hatte er sie gesehen. Sein angestrengter Gesichtsausdruck veränderte sich sofort in ein Lächeln. Mit großen Schritten kam er auf ihren Tisch zu. Da war er wieder dieser Blick, den Beate nicht vergessen konnte.
Ende Teil 5
© Monika Benedix
(Namen sind alle frei erfunden)