Hallo Perry,
mein Vater war Jahrgang 1913. Bereits vor der Machterschleichung bei der Reichswehr. Später Kriegsteilnehmer bis zuletzt, schrieb noch Durchhaltebriefe aus Jugoslawien als daheim in Bamberg schon die Amis standen. Geriet dort (Jugoslawien) in Gefangenschaft, floh, wanderte durch halb Europa zurück. Blieb auch bis zuletzt ein wenig Nazi, obwohl er als Beamter sicher denselben Eid auf die Bundesrepublik geleistet hatte, wie ich auch. Muss dann sein dritter Eid gewesen sein: der erste auf die Weimarer Republik, der zweite auf den Führer, der dritte auf die Bundesrepublik.
Ich wurde ungeplant und sehr spät 1964 geboren, kurz vor seinem 52 Geburtstag. Meine Mutter dachte mit 44 (damals medizinisch betrachtet viel zu alt) über eine Abtreibung nach. Mein Vater rettete mir eventuell das Leben, indem er für diesen Fall mit Scheidung drohte.
Ich habe Erinnerungen an meinen Vater, aber ich würde nicht behaupten ihn zu kennen. Ich weiß von seinem Pflichtbewusstsein und seinen rigiden und hohen moralischen Ansprüchen. Aber ich weiß z.B. nicht, ob er gerne Musik hörte und falls ja, welche. Ich weiß nur, dass er auf Rock'n'Roll verständnislos herabsah. Ich weiß, wie er es verabscheute als Diabetiker chronisch krank zu sein (kein vollwertiger Volksgenosse mehr, sondern schwach?) und von der verbissenen Sorgfalt, mit der er die Krankheit über die notwendige Diät wenigstens kontrollieren wollte. Er konnte wohl nicht anders.
Ein einziges Mal hatte ich für Sekunden den Eindruck, er lässt mal die Hosen runter. Ich hatte ihn auf eine harte verbale Reaktion gegenüber meiner Mutter angesprochen. Er sagte "Wenn Du besonders weich bist, macht das Leben dich halt besonders hart." Hat mir damals sofort eingeleuchtet, obwohl ich nur ein Teenie war. Ging mir wohl schon manchmal ähnlich.
ich glaube "das Leben" - insbesondere im Krieg - hat meinen anfangs wohl sensiblen und idealistischen Vater ziemlich verbogen. Dass er seinen Idealismus ausgerechnet den Nazis verschrieben hat ist natürlich besonders bedauerlich. Ich bin froh, dass wir (die Jahrgänge ca. 1950 - 1970) dieses europäische Unglück nur indirekt über die Nachwirkungen auf unsere Eltern abbekommen haben. Kein Wunder, dass die Kriegsgeneration uns alle für Weicheier und lebensuntüchtig hielt, weil wir eben nicht so hart werden mussten und uns instinktiv dagegen wehrten, so hart gemacht zu werden.
Meine ältere Schwester hat erzählt, sie hatte einen sehr liebevollen wenn auch manchmal strengen Vater, mit dem sie viel Spaß hatte. Das änderte sich für sie erst, als sie anfing, sich für Jungens zu interessieren (muss wohl Anfang der 60er gewesen sein). Wir müssen wohl selbst erst älter und vielleicht sogar Eltern werden, um herauszufinden, dass unsere Eltern auch "nur Menschen" waren bzw. sind. Und nicht die Halbgötter unserer Kleinkindheit.
LG
Ruedi