Für danach habe ich dein Gedicht und einige andere Gedichte hier im Forum auf dem Radar.
Da bin ich auch schon. :wink:
Liebe sofakatze,
dein Gedicht lässt den Leser an der enormen Sehnsucht des LI teilhaben und ich fragte mich zunächst, wie du das angestellt hast. Ich glaube, dass es viel damit zu tun hat, dass du Deutungsräume schaffst und sie nur nach und nach einengst.
Zuerst lese ich nur einen kurzen Satz: "ich schlafe nicht." Die parataktische Struktur ist hier gut gewählt, denn sie lässt mich innehalten und den Satz in mir niedersinken. Da komme ich nicht umhin, darüber nachzudenken, warum das LI nicht schlafen kann. Dafür kann es viele Gründe geben, aber eben nur endlich viele Gründe. All diese Gründe haben aber wohl mit einem gewissen Mangel zu tun: Etwas fehlt, jemand fehlt, Ruhe fehlt, Geduld... Irgendwas fehlt zum Schlaf. Die Welt, wie sie ist, ist unzureichend. Woran auch immer das liegt - schon mit diesem ersten Satz ist ein ungefähres Gefühl umrissen, ohne dass die Ursache dafür klar wird. Das finde ich wirklich faszinierend, weil schon das Gefühl im Leser vorhanden ist, ehe man sich einen Reim darauf machen kann.
Dann wieder nur ein kurzer Satz: "ich warte auf das morgen" - die Parataxe bewirkt inzwischen eine gewisse Langsamkeit des Denkens und ein Gefühl der Resignation stellt sich ein. Sprachlich werden keine Bezüge der Gedanken verdeutlicht - was sonst durch Konjunktionen, Relativpronomen etc. der Fall wäre. Diese Erfahrung mangelnder Verbundenheit vermittelt Einsamkeit, Distanz, und melancholische Schicksalsergebenheit, noch ehe das Thema zur Sprache kommt. Inhaltlich wird das LI nämlich nur insofern etwas klarer, dass das Nichtschlafen mit Warten gefüllt wird. An sich ja auch naheliegend und insofern kein Gedanke, der unbedingt verbalisiert werden muss. Das LI tut es dennoch und gewährt damit Einblick in die Leere, die durch Gedanken gefüllt werden muss, auch wenn diese Gedanken nicht wirklich vorankommen. Das LI selbst kommt schließlich ja auch nicht voran, muss diese Situation erdulden, ohne sie beeinflussen zu können.
Insgesamt ermöglichen die ersten beiden Verse es dem Leser, Gefühle nachzuempfinden, für die er keine Erklärung hat. Durch die Langsamkeit, die auch durch den gleichförmigen Zweiertakt betont wird, hat der Leser Zeit, seine Gedanken auf ein Karussell zu schicken. Alle möglichen Szenarien werden aufgeworfen und verbinden sich mit konkreten Erfahrungen, die der Leser gemacht hat und die ihm zum Einen das vermittelte Gefühl plausibilisieren und zum anderen aufzeigen, dass dieses Gefühl nicht auf diese Plausibilität angewiesen ist. Empfindungen haben nämlich durchaus ihr Eigenleben.
im kissen neben mir, da ruht die zeit
So langsam wird es inhaltlich konkreter und durch die Andeutung, die "im Kissen neben mir" steckt, mag man schon ahnen, dass hier ein geliebter Mensch vermisst wird, der sonst seinen Kopf auf besagtem Kissen liegen hätte. Hier scheint also v.a. das wirkmächtig zu sein, das nicht ist. Meistens sehen wir die Welt ja als ein Positivbild in dem Sinne, dass wir in erster Linie das sehen, was da ist. Das leere Kissen ist aber ein Verweis auf das, was nicht da ist. Für das LI scheint die Welt in erster Linie aus dem zu bestehen, das nicht ist, das sein sollte und nicht sein kann.
Interessant auch, wie hier Raum und Zeit miteinander verbunden werden: Das leere Kissen ist ja, wie eben beschrieben, zunächst ein räumliches Phänomen. Aber durch die personifizierte Zeit, die in ihrer Schwerfälligkeit, den Raum füllt, wird auf das verweisen, das einem bei räumlicher Distanz trösten könnte - Zeit. Alles ist vergänglich und auch die räumliche Distanz mag vergehen. Allerdings bleibt selbst dieser Trost wohl aus, da die Zeit ruht, was wiederum ganz im Sinne der Langsamkeit ist, die du bisher sprachlich schon so gekonnt etabliert hast.
Überhaupt scheint dieses Gedicht ein Gedicht des "Stattdessen" zu sein. Da ist ein leerer Raum statt eines geliebten Menschen, da ruht die Zeit, statt zu vergehen, da ruht die Zeit, statt dass das LI ruhen würde. Diese Sichtweise des "Stattdessen", dieses Negativbild der eigenen Lebenswirklichkeit verstärkt das Gefühl des Mangels ungemein. Die ganze Welt ist dem LI ein einziger Mangel und mit zwei unscheinbaren, einfachen Versen ist die ganze Trauer erfahrbar, die ein Mensch in so einer Situation verspürt, die bisher nur angedeutet wurde.
ich weck sie nicht. ich bin im hier geborgen
und in dem wissen: du bist nicht mehr weit
Dennoch gelingt es dem LI diese unerträgliche Situation zu akzeptieren und man fragt sich zunächst bei dem Satz "ich weck sie nicht", wie diese Selbstbeherrschung möglich ist und ob dies dem Gedicht guttut, diese so sensibel aufgebaute Melancholie mit einem Zeilenumbruch in Hoffnung zu verwandeln. Die Antwort darauf kann freilich nur in dem geliebten Menschen liegen. Klasse, dass erst hier das LD angesprochen wird! Zum ersten Mal wird konkret der vermisste Mensch erwähnt (und zugleich das Vermissen selbst ganz konkret thematisiert) und mit dem Gedanken an ihn ändert sich die Stimmung schlagartig. In der Liebe selbst ist Hoffnung begründet, die über räumliche und zeitliche Grenzen erhaben ist. Schön dabei auch die Formulierung "nicht mehr weit", weil dabei die Auflösung sowohl der räumlichen, als auch der zeitlichen Begrenztheit angesprochen wird. In den Gedanken ist man dem anderen nah. Wenn weder Raum, noch Zeit Anlass zur Freude bieten, kann man wenigstens in seinen Gedanken Trost finden.
Da mag man schon fast jenen Physikern und Philosophen zustimmen, die mutmaßen, das Bewusstsein könne neben Raum und Zeit zu den fundamentalen Größen der Erfahrungswelt zählen. Aber davon verstehe ich zu wenig und vielleicht führt es auch zu weit vom Gedicht weg. Nur hat es mich daran unmittelbar erinnert.
schon morgen kann ich meine träume sehen
viel heller, als die nacht sie zeigen kann
Und da sich die Hoffnung Bahn bricht, ändert sich die gesamte Stimmung des LI und dies wird nicht zuletzt im Modus des Denkens deutlich, z.B. auch daran, dass in der zweiten Strophe zum ersten Mal hypotaktisch geschrieben wird, dass Konjunktionen zu sehen sind, Einschübe wie "viel heller" etc.. Die Sprache wirkt wie von der Leine gelassen, das Denken viel freier und weitschweifiger und das alles nur durch den Gedanken an morgen und an das Wiedersehen. Ach, das ist so süß, dass ich spontan Diabetes bekomme! :wink:
Interessant auch, dass hier das "Stattdessen" fortgesetzt wird, aber ins Positive umgedeutet wird: Statt heute in der Nacht zu träumen, werden morgen in der Wachheit Träume wahr. Hier wird der Traum also zu etwas Realem und dann mag man dem LI auch glauben, wenn es den Traum augenzwinkernd zur Realität erklärt, die Zeit durch Manipulation der Zeitmessung zu beeinflussen. :grin:
Was ich damit nur sagen will: Ich verstehe das Gedicht und bedauere, dass es zu Ende gehen musste. Wer hat da an der Uhr gedreht? :wink:
LG