Wolkenstille

[Miserabelle]

     Version 1
 
   
     Wolkenstille 
     am Fluß die Bäume
     voller singender Vögel
 
 
    Version 2
 
 
    Wolken im Fluss
    und die Bäume
    voller singender Vögel.

 

[Onegin]

Das halte ich für ein gut kalkuliertes Haiku: Die Wolkenstille und demgegenüber der Fluss der singenden, also lautgebenden  Vögel.
Aber "Wolkenstille" hm? Die Stille sagt nichts besonderes über die Wolken aus, denn die Wolken sind ja immer still. es entsteht dadurch also nicht die Anmutung eines besonderen Moments. Bei "Abendstille" beispielsweise ist das anders. Nicht jeder Abend ist still. Abende auf Rummelplätzen oder in der Großstadt sind das nicht. Wer Abendstille sagt, beschwört einen dörflichen Abend herauf. Eine Anzahl Häuser, niemand mehr auf der Straße und der Wald jenseits der Straße. Eine solche Assoziationskette stellt sich bei "Wolkenstille" bei mir nicht ein. .
 

am Fluß die Bäume


     voller singender Vögel

 
Fkuß, Bäume, singende Vögel. Das halte ich für eine Spur zu üppig. Die Aufmerksamkeit des Lesers kann sich nicht recht fokussieren,, Wo liegt da das poetische Schwergewicht? Jedes der genannten Topoi könnte ein Haiku für sich allein ausmachen.
 
Damit will ich nicht sagen, dass das ein schlechtes Haiku ist. Aber ich glaube, fundierte (?) Kritik bringt mehr als oberflächliches Lob.:
 
Gruß Onegin
 
 

 

[Miserabelle]

Hallo Onegin,
 
es freut mich, dass du vorbeischaust und (d)einen Blick auf das Haiku da lässt.
 
Eine Überlegung von mir war, ob ich die "Wolkenstille im Fluß" nehme, also:
 
Wolkenstille im Fluss
und die Bäume
voller singender Vögel.
 
Das ginge vielleicht auch nur mit nur "Wolken".
 
Ich hatte mich dann für die eingestellte Version entschieden, weil es den Raum weitet und sich das Bild der Wolken und ihre Spiegelung  im Fluss vielleicht von alleine einstellen? Nach deiner Rückmeldung wirkt das aber zu unfokusiert.
 
Die Wolkenstille kommt dir nun doppegemoppelt vor? Hm. Ob "nur" Wolken genügen würde, lässt sich für mich im Nachhinein schlecht sagen.
 
Die " Wolkenstille" wollte, nachdem ich eine Woche am  Fluss verbracht hatte und häufig die Wolken betrachtete, die sich in dem ruhigen Wasser gespiegelt, als Erinnerung in das Haiku einfließen. 
 
 
Danke für deine Gedanken!
 
LG,
Mi
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

[Onegin]

Ich würde sehr für die zweitgenannte Version plädieren, Mirabella Dass die Wolken sich im Fluss spiegeln, darauf bin ich nicht gekommen. Das liegt an meinem Mangel an Phantasie  aber  auch ein weniig, halten zu Gnaden, an der Struktur , die du deinem Heiku in der Version 1 gegeben hast.
 
Haikus haben ja sehr häufig die Struktur a/b/b also mit zwei Themenkompleen. In Zeile 1 wird ein Horizont aufgespannt, der dann in den Zeilen 2 und 3 (thematischer Neuansatz) ausgefüllt oder modifiziert wird. Zwischen a und b bleibt die Beziehung mehr oder weniger unausgesprochen und gehemnisvoll:
 
Herbstregen
die Wege zum Weinberg
ausgetreten
 
Alter Tempel
in Glockenstuhl 
nisten die Fledermäuse.
 
usw,,
 
Genau so habe ich die eingestellte Version gelesen:  Über allem die Wolkenstille, darunter die singenden Vögelbestände. 
 
Dich aber haben wohl nicht die Wolken an sich, sondern deren Spiegelungen im Wasser beeindruckt. Es geht dir wohl um ein einziges Bild a/a/a.  Darum sollten Wolken und Fluss auch sprachlich miteinander verzahnt werden  Also diese Variante wäre meeiner Meinung nach vorzuziehen.

Wolken im Fluss


    und die Bäume


    voller singender Vögel.

 
 

 

[Miserabelle]

Hallo Onegin,
 
danke für deine Ausführungen, mit denen ich einiges anfangen kann. Es sollte tatsächlich ein Bild werden und das entfaltet sich in Version 2  klarer.
 
Vielleicht sollte die Wolkenstille einfach ein eigenes Haiku bekommen:
 
 
Die Bäume 
voller singender Vögel
Und die Wolken?
 
 
 
Merci,
Mi