Sternenherz
Autorin
Zweierlei Maß
Manchmal da ist es wie ein Berg, das Leben. Und zwar wie einer der größeren, die steil vor einem aufragen, so steil wie Vater vor einem aufragte, als man grade drei Jahre alt war und einen schönen Traum gehabt hatte.
Papa hatte ihn zerrissen morgens und die glühenden Händchen beim Erzählen Lügen gestraft.
Manchmal ist es wie eine Blumenwiese das Leben. Über diese Tage brauchen wir nicht sprechen, denn Blumenwiesen mögen die meisten von uns gerne.
Manchmal ist es wie ein Labyrinth: Kaum um die eine Ecke gebogen und mit Hoffnung auf freie Sicht, kommt schon die nächste daher und spielt Verstecken mit einem.
Manchmal ....
Jedenfalls, das Leben ist doch so vielfältig wie es nun mal ist. So vielfältig wie das Gesicht einer neunzigjährigen Frau, voller Lebendigkeit, voller Lebenserfahrung, voller Freude, Weisheit, Bitterniß und Ratlosigkeit.
Als er, der mit dem Titel, mich fragt "Haben Sie Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung?",
da weiß ich das alles auch noch,
aber irgendwie weiß ich, ich darf ihm das jetzt nicht sagen. Etwas läßt mich aufhorchen und vorsichtig werden. Etwas läßt mich mein Täuschungsprogramm aktivieren; meine Peinlichkeiten sprießen wie Pickel in der Pubertät.
Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung? Na klar, würde ich ihm am Liebsten antworten! Jeden Tag und immer wieder und stets erneut! Haben Sie denn keine ? Sind Sie kein Mensch?
Aber da sitzt er und da liegt sein Bogen auf seinen Knien und da hat er den Rückhalt von der Gemeinschaftspraxis und wohlmöglich von allen Ärzten Deutschlands .... und : er .hat die Definitionsgewalt.
Kann nun aus mir eine Depressive machen. Und Depressive, sind das nicht die, kurz vor der Verwesung. Die zu faul für ordentliche deutsche Disziplin sind. Sich nicht mehr waschen, die Pflicht verweigern und nicht strammstehen? Sind das nicht die, die in das Becken voller Hartz-Vier-Empfänger gefallen sind ?
Es gilt also irgendwie zu täuschen und fröhlich darüber hinwegzupalavern, daß man Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung hat. Um bloß nicht irgendwo zu landen.
Was ich ihm letztendlich geantwortet habe, das weiß ich vor lauter Täuschungsmanövern gar nicht mehr!
Unmittelbar, nachdem ich das Sprechzimmer verlassen hatte, saß ich wieder im Wartezimmer. Es stank entsetzlich nach mindestens 20 Milliliter zuviel an einem Parfüm, das alle Sinnesausgänge in Schock verfallen läßt.
Im Schock erstarrt saß ich also in meinem Patientinnenstuhl und starrte das parfümstinkende Wesen an, das mir in seiner Dreistigkeit die nächsten Stunden vermiesen würde. Denn um diese chemische Jauche aus meinen Lungen wieder rauszukriegen, würde es dauern!
Starrte also dieses Stinkwesen an und ließ die Frage Revue passieren, mit der ich gerade überprüft worden war auf Lebenstauglichkeit: Hatte diese, die die Welt beleidigte und ihren ekelerregenden Abgasen aussetzte, hatte diese Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung?
Wer würde ihr diese attestieren? Sie war ja nur eine Frau, die lecker riechen wollte!
Nachdem ich die Praxis verlassen hatte, fuhr ich mit dem Bus in die Arbeit. Kaum eingestiegen fand ich die nächste Attacke vor: Ein Mittvierziger, äußerst elegant und kein typischer Busfahrender, telefonierte mit seinem handy.
Besonders war in dem Fall, wie er es tat: In einer Lautstärke, die dazu geeignet war, eine Achtermannschaft im Ruderboot anzutreiben, befahl er einem - anscheinend Untergebenen - was dieser in den nächsten Stunden auszuführen hatte in nomine patris et filii ...
Mit der Souveränität eines Mannes, der gewohnt ist, dass Türen sich öffnen wenn er erscheint, beschallte er den ganzen Bus und machte aus ihm eine Büroetage.
Meine Busfahrt entlang der Flüsse, die ich oftmals nutzen kann, um nochmal aufzutanken bevor ich mitten in meinen Arbeitsalltag stürze, gedieh so zum Akustiküberfall. Ungefragt wurde ich ans Büroleben einer hiesigen Firma angedockt; machte quasi unbezahlte Überstunden!
Hatte dieser denn, der mit den Modellklamotten, hatte dieser Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung? Das fragte ich mich gleich anschließend.
Mein Überprüfer von morgens würde in ihm sicherlich einen vitalen, gesunden und mitten im Leben stehenden Halbmanager sehen.
Meine malträtierten Ohren und mein empörtes Innenleben sahen das anders.
(2015)
Manchmal da ist es wie ein Berg, das Leben. Und zwar wie einer der größeren, die steil vor einem aufragen, so steil wie Vater vor einem aufragte, als man grade drei Jahre alt war und einen schönen Traum gehabt hatte.
Papa hatte ihn zerrissen morgens und die glühenden Händchen beim Erzählen Lügen gestraft.
Manchmal ist es wie eine Blumenwiese das Leben. Über diese Tage brauchen wir nicht sprechen, denn Blumenwiesen mögen die meisten von uns gerne.
Manchmal ist es wie ein Labyrinth: Kaum um die eine Ecke gebogen und mit Hoffnung auf freie Sicht, kommt schon die nächste daher und spielt Verstecken mit einem.
Manchmal ....
Jedenfalls, das Leben ist doch so vielfältig wie es nun mal ist. So vielfältig wie das Gesicht einer neunzigjährigen Frau, voller Lebendigkeit, voller Lebenserfahrung, voller Freude, Weisheit, Bitterniß und Ratlosigkeit.
Als er, der mit dem Titel, mich fragt "Haben Sie Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung?",
da weiß ich das alles auch noch,
aber irgendwie weiß ich, ich darf ihm das jetzt nicht sagen. Etwas läßt mich aufhorchen und vorsichtig werden. Etwas läßt mich mein Täuschungsprogramm aktivieren; meine Peinlichkeiten sprießen wie Pickel in der Pubertät.
Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung? Na klar, würde ich ihm am Liebsten antworten! Jeden Tag und immer wieder und stets erneut! Haben Sie denn keine ? Sind Sie kein Mensch?
Aber da sitzt er und da liegt sein Bogen auf seinen Knien und da hat er den Rückhalt von der Gemeinschaftspraxis und wohlmöglich von allen Ärzten Deutschlands .... und : er .hat die Definitionsgewalt.
Kann nun aus mir eine Depressive machen. Und Depressive, sind das nicht die, kurz vor der Verwesung. Die zu faul für ordentliche deutsche Disziplin sind. Sich nicht mehr waschen, die Pflicht verweigern und nicht strammstehen? Sind das nicht die, die in das Becken voller Hartz-Vier-Empfänger gefallen sind ?
Es gilt also irgendwie zu täuschen und fröhlich darüber hinwegzupalavern, daß man Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung hat. Um bloß nicht irgendwo zu landen.
Was ich ihm letztendlich geantwortet habe, das weiß ich vor lauter Täuschungsmanövern gar nicht mehr!
Unmittelbar, nachdem ich das Sprechzimmer verlassen hatte, saß ich wieder im Wartezimmer. Es stank entsetzlich nach mindestens 20 Milliliter zuviel an einem Parfüm, das alle Sinnesausgänge in Schock verfallen läßt.
Im Schock erstarrt saß ich also in meinem Patientinnenstuhl und starrte das parfümstinkende Wesen an, das mir in seiner Dreistigkeit die nächsten Stunden vermiesen würde. Denn um diese chemische Jauche aus meinen Lungen wieder rauszukriegen, würde es dauern!
Starrte also dieses Stinkwesen an und ließ die Frage Revue passieren, mit der ich gerade überprüft worden war auf Lebenstauglichkeit: Hatte diese, die die Welt beleidigte und ihren ekelerregenden Abgasen aussetzte, hatte diese Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung?
Wer würde ihr diese attestieren? Sie war ja nur eine Frau, die lecker riechen wollte!
Nachdem ich die Praxis verlassen hatte, fuhr ich mit dem Bus in die Arbeit. Kaum eingestiegen fand ich die nächste Attacke vor: Ein Mittvierziger, äußerst elegant und kein typischer Busfahrender, telefonierte mit seinem handy.
Besonders war in dem Fall, wie er es tat: In einer Lautstärke, die dazu geeignet war, eine Achtermannschaft im Ruderboot anzutreiben, befahl er einem - anscheinend Untergebenen - was dieser in den nächsten Stunden auszuführen hatte in nomine patris et filii ...
Mit der Souveränität eines Mannes, der gewohnt ist, dass Türen sich öffnen wenn er erscheint, beschallte er den ganzen Bus und machte aus ihm eine Büroetage.
Meine Busfahrt entlang der Flüsse, die ich oftmals nutzen kann, um nochmal aufzutanken bevor ich mitten in meinen Arbeitsalltag stürze, gedieh so zum Akustiküberfall. Ungefragt wurde ich ans Büroleben einer hiesigen Firma angedockt; machte quasi unbezahlte Überstunden!
Hatte dieser denn, der mit den Modellklamotten, hatte dieser Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung? Das fragte ich mich gleich anschließend.
Mein Überprüfer von morgens würde in ihm sicherlich einen vitalen, gesunden und mitten im Leben stehenden Halbmanager sehen.
Meine malträtierten Ohren und mein empörtes Innenleben sahen das anders.
(2015)