Moin
@MonoTon,
ich stimme Patrick zu, dein Text "lebt" durch seine Adjektive.
Ich spüre da die alten Wurzeln zu deinen früheren Texten, die immer so voll von Beschreibung und (sprachlichem) Schmuck waren.
Ich weiß nun nicht, wie aktuell dieser Text ist, aber gefühlt sind wir von den Wurzeln durchaus ein weites Stück den Stamm nach oben geklettert und dein Text schaut sich von einem hohen Ast gerade um, wohin der lyrische Ausflug geht.
Genug aber der stumpfen Baum-Metaphern anlässlich dieses Textes, ich habe Lust, mich damit ein bisschen zu beschäftigen^^
Dieses große, aschfahlgraue,
kalte und auch zugebaute
Mauerwerk, der alten Zeiten,
dass das Licht nicht in sich lässt,
hält in seinem kargen Hof ein
Bäumchen, das zum einsam sein, die
Wurzeln durch den Schotter presst, den
Kopf durch Schutt und Tod erhob.
Wuchs in Stille, unter Regen
der wie Tränen ihm gegeben,
weil der Himmel ihn erbracht, ein
toter Vogel, der ihn nährt.
Jetzt, in seiner schönen Krone
weilt das Leben, mit und ohne
Flügeln, die nur Hoffnung tragen.
Leben, das der Tod ihm schuf.
Metrum:
XxXxXx
Aa
XxXxXx
Bb
XxXxXxCc
XxXxXxD
XxXxXxX
e
XxXx
Ex
Ex
XxXxXxDx
XxXxXxF
XxXxXx
Gg
XxXxXx
Hh
XxXxXxX
e
XxXxXxI
XxXxXxJj
XxXxXxJj
XxXxXxKk
XxXxXxL
Wir haben hier konsequent einen 4-hebigen Trochäus, teils mit fehlender weiblicher Kadenz.
Auffällig ist hierbei, WIE du den Trochäus hältst.
Dafür greifst du nämlich gehäuft auf den Hakenstil zurück, deine Sätze und Sinneinheiten werden also am Zeilenende abgebrochen und über mehrere Verse weitergetragen - ganz besonders eindrücklich sehen wir das zum Beispiel in S2.
Dem Trochäus ist das recht egal, aber unsere Lesegeschwindigkeit beeinflusst der Hakenstil ja doch.
Würden wir nämlich bei identischem Satz-Sinn-Vers-Ende die natürliche Pause am Ende mitnehmen, sind wir hier durch die "zu" frühen oder "zu" späten Abbrüche gezwungen, zu stocken, um dann wieder abrupt voranzudrängen.
Ganz im Gegenteil zum vom Titel vorgegebenen Zyklischen, Geordneten, wird es damit hier allein schon beim Lesefluss sehr unvorhersehbar, ja, antizyklisch.
Inwieweit das inhaltlich vielleicht Sinn macht, werden wir uns noch anschauen.
Aber auf jeden Fall ein schöner Beweis dafür, dass man ein konsistentes Metrum durchsetzen kann und trotzdem Unruhe in den Lesefluss bringen kann.
Reim:
Die Reime habe ich oben beim Metrum aufgeschlüsselt.
Auch hier gibt es nun keine Verlässlichkeit.
Zunächst mag der Eindruck aufkommen, dass du hier mit Paarreimen gefolgt von Reimwaisen arbeitest, aber das stimmt nur bedingt.
Oben in
orange und
grün hervorgehoben habe ich Assonanzen.
Erwähnenswert sind auch die
blau hervorgehobenen
unebenen Reime aus
ein-sein-ein in S2 und S3, bei denen also zwischen betonten und unbetonten Silben gereimt wird, teilweise auch gar nicht als Endreim sondern aufgrund des Hakenstils innerhalb des Verses.
Diese Nutzung der Assonanzen, selbst des unebenen Reimes braucht es aber finde ich auch, eben weil mit dem Hakenstil Unruhe in das Gefüge gebracht wurde und wir uns da klanglich nun entlanghangeln können.
Fan bin ich vom unebenen Reim aber trotzdem nicht unbedingt.
Sprachliches:
Die angesprochene Flut an Adjektiven findet sich insbesondere in Strophe 1, dann gibt es einen Ausläufer in S2 V1, dann lange nichts, um dann in S3 V4 und S4 V1 ein letztes mal aufzuschlagen.
Was das nun mit den jeweiligen Strophen macht, auch mit denen, die nicht mit dieser Adjektivflut gesegnet sind, werde ich gleich beim Inhaltlichen kommentieren.
Ein paar Fehler oder Befindlichkeiten will ich hier vorher aber noch anzeigen:
Ich verstehe hier "zugebaute" in Verbindung mit dem Mauerwerk nicht, zumal du das Mauerwerk ja auch so beschreibst, dass es das Licht nicht halten kann, also entsprechend sehr durchlässig sein muss.
"zugebaut" erweckt nun einen sehr stabilen, undurchdringlichen Eindruck, wobei ich den gar nicht haben will.
Denn dieses "das das Licht nicht in sich lässt" finde ich sehr stark, gerade diese Durchlässigkeit, Verletzlichkeit, bringt mir genau diese Atmosphäre in den Text, die da glaub ich sein soll.
"zugebaut" steht da sprachlich voll im Kontrast für mich.
Und wo ich an der Stelle schon bin: "das
s das Licht nicht in sich lässt" ist falsch, das erste "das" bezieht sich ja auf das Nomen "Mauerwerk" und ist keine Konjunktion, die einen Nebensatz einleiten soll.
Mauerwerk, der alten Zeiten,
hier ist das erste Komma zu viel.
Bäumchen, das zum einsam sein, die
hier gleich Zweierlei:
- "zum" verlangt ein Nomen: das "Einsamsein" müsste hier nominalisiert sein, groß und zusammen.
- hinter "sein" kein Komma.
Kopf durch Schutt und Tod erhob.
hier nur eine Kleinigkeit, hinter Schutt ist eine Leerstelle zu viel.
Wenn ich spitzfindig sein wollte, würde ich den Wechsel der Zeitform hier anmerken, der impliziert, dass das Kopferheben abgeschlossen ist, das Wurzelausbreiten aber noch weiter voranschreitet offenbar?
Wuchs in Stille, unter Regen
hinter Regen muss ein Komma.
Ich mag übrigens Ellipsen grundsätzlich nicht.
Ich verstehe den Sinn dieses sprachlichen Stilmittels nicht, außer, Inhalt in eine bestimmte Form pressen zu können, zum Beispiel in ein Metrum^^ Das passiert hier mit dem weggelassenen "Er" (für den Trochäus),
das passiert hier
der wie Tränen ihm gegeben,
mit dem "wurde" - mag ich sprachlich gar nicht!
Und das passiert hier
weil der Himmel ihn erbracht, ein
mit dem "hat", oder als Elision von "erbrachte", was ich aber ähnlich unschön finde.
Da böte es sich hier schon fast an, das "erbracht" einfach zu einem "erbrach" zu machen.
Hat dann zwar nicht mehr den majestätischen Charakter einer himmlischen Dreingabe, aber inhaltlich finde ich es ehrlich gesagt auch sehr passend.
Inhaltlich spannend ist der Vers aber so oder so, da er sich sowohl auf den vorigen als auch den folgenden Vers beziehen kann - tolles Apokoinu (den Namen musste ich nachschlagen!) DAS ist die Form von Auslassungen, die dann doch Spaß machen^^
Man könnte argumentieren, dass die Ellipsen sinnvoll sind, dass sie die inhaltliche Ebene unterstützen, die Fragilität des Mauerwerkes versinnbildlichen. Ich mag sie trotzdem nicht^^
Inhaltliches und Bildliches:
Patrick hat die inhaltliche und bildliche Gegensätzlichkeit von Leben und Tod schon angesprochen, ebendieser zyklische Wandel, der alles in Gang hält.
Es scheint, dass Leben und Tod hier gleichberechtigt nebeneinanderstehen, sich eben gegenseitig bedingen und so dieser Kreislauf erhalten bleibt. In deinem Text ist aber eine Seite für mich deutlich dominanter und das ist mitnichten das Leben, auch wenn es so ausgebrochen, flügelschlagend und hoffnungsvoll seinen Kopf durch das Mauerwerk nach oben, der Sonne entgegenreckt.
Durch das Zusammenspiel aller zuvor aufgezählten Faktoren ist der "Star" dieses Textes für mich ganz klar: es ist der Tod.
Ganz besonders deutlich wird das eben durch die Gewichtung der Adjektive.
Die meisten finden sich wie gesagt in Strophe 1. Das ist die Strophe, die das Mauerwerk beschreibt, diese löchrige, einsturzgefährdete Hülle ihres alten Selbst.
Die übrigen Strophen, die allesamt das Leben, sein Wachstum aus dem Tod heraus thematisieren sind nur bruchteilhaft so ausführlich ausgeschmückt worden wie Strophe 1 und damit für mich wortwörtlich tot.
Das muss auch Absicht gewesen sein, der Fokus muss hier ganz klar auf dem Mauerwerk liegen.
Dieses "Mauerwerk" ist damit für mich eine sehr tragische Figur.
Diese Figur hat sich aufgeopfert, hat alles von sich hergegeben.
Besonders eindrücklich wird das beim schon angesprochenen
dass das Licht nicht in sich lässt,
Denn: Es geht hier nicht um Licht, das von außen in das Innere des Mauerwerks einfällt.
Nein, so wie es hier steht, strahlt(e) ja Licht von innen heraus.
Nur mittlerweile kann das Mauerwerk dieses Licht nicht mehr halten, es ist wie gesagt löchrig, brüchig und verliert sein inneres Licht.
So hoffnungsvoll also die letzte Strophe auch sein mag, diese Hoffnung ist für mich aus diesem tragischen Opfer heraus erwachsen.
Auf den tieferen interpretatorischen Ebenen wird es nun sicher nicht um ein Mauerwerk gehen, da könnte man nun vielleicht in Richtung einer aufopferungsvollen Mutter gehen, die alles für ihre Kinder hergibt, oder wir sind bei einem Dichter, dessen Vermächtnis wie so oft erst nach seinem Tod Früchte getragen hat.
In diese sehr spezifischen inhaltlichen Wirrungen will ich mich nun aber gar nicht begeben, vielmehr zählt für mich da die Stimmung, die für mich im Gesamtspiel zusammenkommt.
Abträglich sind für diese Stimmung nur 2 Dinge, eines nannte ich bereits: "zugebaut" unterstützt für mich nicht das, was ich da beim Lesen gesehen habe, dieses löchrige Mauerwerk, dem das Licht entweicht, das halbnackt dasteht, dessen Überreste den Blick auf den wachsenden Baum ermöglichen.
Zweitens: Der Titel.
Schön und gut, hier wird ein Zyklus beschrieben, aber wie gesagt: wir haben hier ja gar kein gleichberechtigtes Zusammenspiel von Tod und Leben, der Star ist der Tod, Verfall, die tragische Aufopferung.
"Zyklus" klingt außerdem so wissenschaftlich kühl und leer. Der Tod/Verfall/etc. ist, so wie er hier beschrieben ist, aber mitnicht kühl und leer^^.
Gesamteindruck:
Ansonsten finde ich deinen Text durchaus gelungen.
Ich mag, wie dein bekanntes Spiel der Adjektive Bilder erschafft - oder fehlende Adjektive eben nicht.
Diese Verteilung der Bildgewalt zusammen mit der klanglichen Verteilung durch den Hakenstil und Assonanzen sowie unebene Reime kann in diesem Zusammenspiel eigentlich gar nicht ungewollt passiert sein und von daher finde ich das Ganze durchaus spannend zusammengestellt.
Sprachlich sind da wie gesagt ein paar Unsauberkeiten, gegen die allermeisten kann man etwas tun, die metrisch bedingten Ellipsen bekommen wir hier aber wohl nicht weg.
Das ist schade, aber auch dafür gab es dann ja sicher gute Gründe 😉
Gern gelesen und auch ein paar mehr, hoffentlich nicht ganz sinnentleerte Worte verloren^^
LG Chris