Aktuelles
Gedichte lesen und kostenlos veröffentlichen auf Poeten.de

Poeten.de ist ein kreatives Forum und ein Treffpunkt für alle, die gerne schreiben – ob Gedichte, Geschichten oder andere literarische Werke. Hier kannst du deine Texte mit anderen teilen, Feedback erhalten und dich inspirieren lassen. Um eigene Beiträge zu veröffentlichen und aktiv mitzudiskutieren, ist eine Registrierung erforderlich. Doch auch als Gast kannst du bereits viele Werke entdecken. Tauche ein in die Welt der Poesie und des Schreibens – wir freuen uns auf dich! 🚀

Feedback jeder Art Hunger

Hier gelten keine Vorgaben mit Ausnahme der allgemeinen Forenregeln.
  • Geschichtenerzählerknopf
    letzte Antwort
  • 2
    Antworten
  • 436
    Aufrufe
  • Teilnehmer
Hunger
(2019)
 
Ich kann mich heute kaum er-tragen.
Mit großen Schritten laufe ich,
Halte mich mit starken Armen,
Bin mir der Verantwortung
und beinah auch mir selbst bewusst
Keine klaren Ziele mehr
Kontrolle, Frust,
Kontrollverlust
 
Mein Spiegelbild verzerrt sich
Und schaut mich so zornig an
dass ich wieder
Kalorien und Kilogramm,
ganz heimlich alles zählen kann.
 
Wiegen ständig wiegen
und das Kotzen
Wird zum Zwang,
Ist ja Wahnsinn
Dass ich das
nach all den Jahren
Doch noch kann!
Und alle sagen
„jeder Gang macht schlank“
Aber jeder Gang macht mich ...
krank!
Und leicht,
Und vielleicht
noch viel leichter,
Aber woran gemessen?
Hast du schon gegessen?
Ein elender Kotzbrocken,
 
Völlig besessen
Vom Seelenhunger - Psychomacken,
Nahrungsmitteln - Essattacken!
Will die Leere in mir füllen,
Muss den großen Hunger stillen,
Hinterlasse leere Hüllen,
um selbst keine mehr zu sein
Kontrolle wieder abgegeben,
Körperwelt soll Wut erleben,
der Herzschlag bringt die Brust zum Beben
 
"Mensch, halt an!
Du bist auf dem Weg 
und gerade dabei,
Ganz du selbst zu sein
und du kämpfst um dich.
Du bist stark, endlich frei,
und selbstbestimmt hier
Fast schon angekommen.
Menschenkind,
wenn du mich brauchst,
bin ich hier."
 
Ich kenne die Runden,
Brennende Stunden
Halt mich fest, ist nur 'ne Phase
Höhenflug, Elektrolyt-Extase
Doch nach dem Hochmut kommt der Fall.
Kreislauf der Krankheit,
Schmerz im Gesicht.
Das Wissen ist da,
die Worte noch nicht.
 
Und dann ist alles im Fluss,
Weil ich dafür alles geben,
Wirklich alles aus mir rausholen muss,
Die unbändige Wut
von außen niemals sichtbar,
Denn in meinem Schmerz
Bin ich endlich nur für mich da,
Solang bis ich mit dem Wasser fließe,
Sauber meine Wunden schließe.
Und ins Kissen werden dann vernünftig
wieder alte gute Vorsätze geweint.
Morgen kommt ein neuer Tag,
ein neuer Anfang, der uns eint.
 
"Mensch, halt an!
Du bist auf dem Weg 
und gerade dabei,
Ganz du selbst zu sein
und du kämpfst um dich.
Du bist stark, endlich frei,
und selbstbestimmt hier
Fast schon angekommen.
Menschenkind,
wenn du mich brauchst,
bin ich hier."
 
 
Ich trage mich durch diese Welt
Die Ohrenpost als Wegbegleiter,
Es gibt wenig, was mich hält,
ich erde mich, werd Blitzableiter.
Mein Weg hier raus
heißt Selbstbestimmung,
Die Erinnerung ist bitter
und die Nerven zart besaitet,
Meine Stahlsaiten
manchmal echt total verstimmt
und mein Umfeld stumm verzweifelt
 
Das ist der Drahtseilakt
zwischen Innenwelt und Außen-Ich
So balancieren die Knochen beschämt
meinen wütenden Kotzbrocken
und den traurigen Taugenichts
durch die durstige Landschaft
meines Körpers und hinaus
in die stille Welt da draußen.
Es regnet, nasse Füße, weiter laufen
Zieh die Lunge hinterher,
Alles in Ordnung, wirklich,
Hier geht alles seinen Gang.
Man belächelt meinen Zwang,
Doch die Freiheit wiegt so schwer,
Dass ich sie kaum mehr tragen kann.
 
"Mensch, halt an!
Du bist in Ordnung 
und gerade dabei,
Ganz du selbst zu sein
und du kämpfst um dich, 
Du bist stark, endlich frei,
und selbstbestimmt hier,
fast schon angekommen.
Menschenkind,
wenn du mich brauchst,
bin ich hier."
 
Liebe Geschichtenerzählerknopf,
 
das sind sehr eindrückliche Zeilen. Und viele Gedanken scheinen mir allzu vertraut... diese verdreht beengte und aus-einander geratene Welt wurde mir annähernd fassbar, als ich schon auf einem guten Weg war die Essstörung zu besiegen. Aber sie nimmt einen so gefangen, dass man es gar nicht merkt und stattdessen tatsächlich Freiheit erlebt, oder glaubt zu erleben.
Der innere Kampf, den LI hier ausfechtet, spiegelt für mich drei Hauptanteile - die Essstörung, die Vernunftseite, und den Depressionsschatten.
Auch die Entfremdung gegenüber sich selbst, der Welt und anderen Menschen wird spürbar.
Es schmerzt, diese Worte zu lesen, denn dahinter verbergen sich gnadenlose Kämpfe ums Überleben, denen Außenstehende recht hilflos gegenüber stehen. Was vielleicht auch an mangelnder Gesellschaftlicher Aufklärung u.ä. liegt, aber vor allem an dem Gefängnis, in das die Essstörung Betroffene verfrachtet.
 
Zwischen Kontrolle und Kontrollversucht werden Betroffene selbst zu Marionetten und spüren dies auch, was das Verlangen nach Kontrolle nur mehrt. Natürlich ist es eine Scheinkontrolle, denn es ist die Essstörung, die regiert. Aber es ist etwas, das einem niemand wegnehmen kann. Wo einem kein fremder Wille aufgezwungen werden kann.
Mich wundert es auch nicht, dass Kinder/Jugendliche die Gewalt erleben später häufiger Essstörungen entwickeln, denn diese Kontrolle steht der erlebten Hilflosigkeit entgegen, sie gibt einem einen eigenen Willen zurück. Scheinbar frei. Und solange es keine geeigneten Mittel gibt der Ohnmacht etwas entgegen zu setzen, ist es fast unmöglich diese Art von Kontrolle aufzugeben. Sie wird vielleicht durch andere Ventile ersetzt, zeitweise kompensiert oder ähnlicher (etwa Selbstverletzung, Zwänge usw..). Aber hier tappt man nur von einer Falle in die nächste (ich tappe immer noch munter weiter in so manche Fallen..........)
Das gilt natürlich ähnlich auch in anderen Bereichen, Essstörungen haben viele Ursachen. Aber Kontrolle scheint mir stets ein wichtiger Aspekt zu sein.
 
Kreislauf der Krankheit,


Schmerz im Gesicht.


Das Wissen ist da,


die Worte noch nicht.
Kreislauf und Teufelskreis.. ja.
Wie häufig ist auch das Wissen und Verstehen darum längst vorhanden, aber es fehlt die Möglichkeit das Handeln zu ändern, die Gedanken und schließlich die Gefühle.. und schon beginnt der nächste Teufelskreis. Denn wenn das Wissen erst vorhanden ist, aber man es nicht schafft etwas zu ändern, erlebt man erneut wie die Kontrolle entgleitet. Und sucht verzweifelt danach wieder zu kontrollieren, selbst zu bestimmen. Und landet prompt wieder in der Essstörung.
 
Weil dieser Kreislauf geprägt ist von Enttäuschungen, wächst und wächst der Selbsthass. Die letzte Achtung vor sich selbst wird weggestoßen oder von der Depression geschluckt.
Dass Depressionen oft einhergehen mit Essstörungen, hat zwar auch somatische Ursachen, aber in Teilen bestehen sie oft schon zuvor und dann verstärken sich beide Krankheiten gegenseitig. Die eine nährt die andere.
 
Ich habe früher immer gesagt "Mein Kopf ist eine Irrenanstalt ohne Anfang und Ende, ohne Türen, ohne Wände...", wenn irgendwelche Therapeuten mir in den Kopf gucken wollten. Das wollte ich niemandem antun. Aber ich habe viel aufgeschrieben. Und wie gesagt, die Auszüge der Gedankenwelt, die du hier aufbaust, sind mir sehr vertraut.
ABER - es gibt einen Weg hinaus. Wenn man lernt der Ohnmacht auf anderem Wege entgegen zu treten (bzw. den jeweils individualen Ursachen der Symptomatik entgegen zu treten.)
Und leider ist es ein langer, schwerer Weg mit vielen Rückschlägen. Aber auch wenn sich jeder Rückschlag wie eine Niederlage anfühlt, ist man doch schon weiter gekommen, als beim letzten Rückschlag. Es gehört wohl leider dazu.
 
So, ich schätze, ich könnte noch lange schreiben. Aber genug.. im Grunde sprechen ja deine Verse schon für sich und alle weiteren Worte sind überflüssig. Aber es kam gerade über mich.
 
Liebe Grüße Lichtsammlerin
 
Vielen Dank für deine offenen und mitfühlenden Worte, liebe @Lichtsammlerin!
Es tut mir gut, zu wissen, dass es jemanden gibt, der sich mit meinem Weg und meinen Schwierigkeiten identifizieren kann und selbst auf dem Weg der Genesung ist.
Es macht mir Hoffnung in deinen Zeilen zu lesen und bedrückt mich zugleich.
Ja, es macht mich wütend und betroffen.
Warum ist es zu so einer großen Lebensaufgabe geworden, Vergangenes zu verarbeiten, oder vermeintlich "loszuwerden", dass wir darüber das eigene Leben aufgaben?
 
Ich schrieb dieses Gedicht zusammen mit Carolina (die hier die Rolle des LI annahm). Es war ihre und unsere Realität. 
Ich wollte es erst nach genauer Prüfung veröffentlichen und nur mit dem eingeflochtenen Stimmen meiner gesunden Anteile, weil LI mir und vielleicht anderen in ihrer Rohfassung zu viel Hoffnungslosigkeit vermittelt. Lässt man den Refrain weg, ist klar, wohin die gedankliche Reise geht - nämlich ins Destruktive.
Der Schlüssel der Heilung liegt bei mir darin, mehr als einer Stimme in mir Gehör zu schenken.
 
Liebe Lichtsammlerin, für dein Einlassen, deine Betrachtungen und deine Sichtweise, herzlichen Dank. 
Es bringt mich persönlich weiter, wenn ich auch die "hässlichen" Gedanken und Gedichte ins Gespräch bringe.
Gute 24 Stunden!
Geschichtenerzählerknopf
 
 
  • Geschichtenerzählerknopf
    letzte Antwort
  • 2
    Antworten
  • 436
    Aufrufe
  • Teilnehmer
Zurück
Oben