Liebe Lena,
es ist ja auch völlig zulässig und, was zumindest mich anbelangt, auch stark erwünscht, dass sich die Leser Gedanken machen, sich in das LI einfinden, herumphilosophieren etc.. Man darf nur eben nicht den Protagonisten einer Geschichte oder das LI eines Gedichts mit dem Autor verwechseln. Selbst wenn ein Text nicht fiktiv sein sollte, muss man ihn aus meiner Sicht als fiktiv betrachten und zwar aus zwei Gründen:
1. Es ist völlig egal, ob der Text frei erfunden ist, autobiographische Züge hat oder eine komplett autobiographische Perspektive einnimmt, denn es ändert nichts an der Qualität des Textes. Es geht ja darum, wie es geschrieben ist, wie man Stimmungen vermittelt hat etc.. Was der Autor in seiner Freizeit tut und ob dies in irgendeiner Weise in seinen Texten zu erkennen ist, ist da völlig belanglos und langweilig. Mich kennt ja niemand, also kann es keinen Grund geben, mein Leben in meine Texte hineinzulesen. Ich könnte auch behaupten: Das LI meiner Gedichte basiert stets auf dem mir bekannten Karl-Heinz Müller. Warum sollte sich jemand für Karl-Heinz Müller interessieren, wenn ich ihn genauso gut erfunden haben könnte (was ich ja gerade getan habe)?
2. Konzepte wie das LI dienen ja auch dem Schutz des Autors. Ich meine, wir schreiben hier ja sehr, sehr intime Gedanken auf, schreiben aus der Sichtweise eines Liebenden, eines Psychopathen, eines Stalkers, eines Betrogenen, eines Mörders etc.. Wenn man als Autor jedes Mal in Verdacht gerät, selbst so zu sein wie seine Figuren, wäre das freie Schreiben gar nicht mehr möglich - jedenfalls mir nicht. Ich würde doch keinem Fremden all die Dinge sagen, die ich in meinen Texten schreibe. Umso unangenehmer ist es ja, wenn man dann Spekulationen über mein Leben anstellt bei keinerlei Kenntnis über meine Persona, einfach nur weil der Leser beschließt: So wie der Protagonist aus Querfeldein - so ist der Schmuddi bestimmt privat.
Daher ist es wichtig, diese Gepflogenheiten zu respektieren und zwischen Autor und LI zu unterscheiden. Dass man dann in dem Text als Leser etwas von sich selbst wiederfindet, dass man gerührt ist, dass man Sympathien oder Antipathien für die Protagonisten oder den Erzähler entwickelt, dass man ins Grübeln gerät - auch über sich selbst, dass man Inspiration für sein eigenes Leben findet - all das ist nicht nur in Ordnung, sondern geradezu der tiefere Sinn dieser Veranstaltung, meine ich.
LG