Hallo Freiform,
ich würde dir in der Theorie voll und ganz zustimmen - eine sprachliche Zurückhaltung vor den Gewalten der Realität wirkt nur verstellt und falsch. Die Botschaft kommt nur geschwächt an..
In der Praxis aber.. nun, manche Dinge sind verdammt hart beim Namen zu nennen. Und ein überdeutliches Benennen entfernt sich auch wieder von der Realität. Manchmal ist dann die Andeutung eines Geschehens o.ä. aussagekräftiger und gibt Umrisse, die ein deutlicheres Bild aufzeigen, als durch direkte Schilderung.
Ohne die Wucht der Bilder zu mindern können etwa Metaphern Reales wiedergeben.
Wenn die Bilder des Lebens zum Kotzen sind, dann sollte man es auch genauso darstellen.
Ja, das denke ich auch. Obwohl auch ich - in diesem Gedicht - Bilder "abgemildert" habe, was auf groteske Art das ganze noch deutlicher macht.
Gestern fiel einer hinunter
man klagte über die gesperrte Straße.
Hier zum Beispiel. Ich hätte auch schreiben können, dass ein Mensch von der Brücke in den Tod gestoßen wurde. Dass andere Menschen desinteressiert nur an ihr eigenes Leben denken und sich ärgern, weil die Straße - der "Tatort" - gesperrt war und sie in ihrem Tun aufgehalten wurden. Weil der Tote im Leben wie im Tod für sie nur Dreck vom Straßenrand war.. das wäre die Darstellung in direkter Form.
Ich habe mich anders entschieden, weil mir hier das andeuten der Bilder einen größeren Raum zu schaffen schien. Freiraum lässt. Und die Leser zwingt die grausame Lücke selbst zu schließen.
Ich habe lange überlegt, ob ich ein Gedicht zu diesem Thema schreibe. Und in welcher Deutlichkeit oder An-deutung. Das ist denke ich ein Zwischenweg, von beidem ein wenig. Genau wie auf der Straße. Man gibt gerade genug, um zu bekommen was man braucht, aber zu viel würde bedeuten sich entweder bloßzustellen oder unglaubwürdig zu sein. Denn der Zweifel ist dein ständiger Begleiter dort..
Es freut mich aber sehr, dass dir die sprachliche Umsetzung gefällt. dann scheint mir die Gratwanderung einigermaßen gelungen zu sein!
Danke dir!
Liebe Grüße, Lichtsammlerin
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Hallo callme-ismael,
schön, dass ich weiter offen fragen darf!
Ich wusste gar nicht, dass es "falsche" Wurzeln gibt. Nun, es steht in Anführungszeichen, ich denke, das ist wieder ein gesellschaftskritischer Punkt, denn die Gesellschaft urteilt. Urteilt über ihresgleichen..
Meine Anmerkung zu den Kompromissen und dem Maskieren bezog sich gar nicht auf deine Aussage, sondern auf die von Schopenhauer. Für mich ist dies die Schlussfolgerung aus seinem Zitat. Die Koexistenz allein ist eine gegenseitige Anpassung - eine Art Kompromiss. Die Höflichkeit ist eine anerlernte Fertigkeit in unserem sozialen Gefüge, wenn wir ihr nachgehen nehmen wir eine bestimmte Rolle / Erwartungshaltung ein - eine Art Maske. Wir haben viele Masken.
Ich frage mich nur manchmal, was dann der Kern eines Menschens ist, wenn wir weder ohne soziale Beziehungen leben können, aber in jenen nie ganz "wir selbst" sein können. Weil wir, um ein soziales Umfeld zu erhalten, gewisse Rollen einnehmen müssen.. sie wachsen uns ins Blut, könnte man sagen.
Dieser Gedanke bezog sich aber ausschließlich auf Schopenhauers These!
Mit den Kompromissen hast du sicher Recht. Beinahe alles (mit bekannte) hat ein Gleichgewicht. Ebenso, wie es Kompromisse geben muss, muss es auch die Einigkeit geben. Und Einigkeit begleitet und sicher häufiger unbewusst, wir stoßen uns nicht daran und sind daher geneigt es als selbstverständlich zu nehmen. Während wir bei Kompromissen an einer Stelle einen Schritt zurück treten müssen, wir reiben uns daran, nehmen es wahr.
ABER auch ich denke, dass Einigkeit ein genauso wichtiger Bestandteil ist.
Liebe Grüße, Lichtsammlerin