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Ach armer Mond

  • Onegin
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Wundert mich irgendwie, weil da kann man im Kleinen das üben oder in der Textkritik anschaulich machen,  was bei den "größeren Formen", die du sehr magst, wie Hexa/Penta auch ganz wesentlich ist, nämlich das Gegenständliche und Konkrete (?)
 
Kurzgedichte liebe ich, keine Frage, und nutze sie nicht nur zum Üben! Was micht reizt, ist die zugespitzte, scharf pointierte Rhetorik. Das ist für den Leser aber Gedankenarbeit, auch dann, wenn der Inhalt gegenständlich und konkret ist. Nichts gegen typisch "westliche" Dreizeiler! Und auf der anderen Seite mag ich gut gebaute Verse, einfach der geilen Rhythmik wegen, von mir aus auch ohne nennenswerten Inhalt. Aber die Sprache muss funzen! Haiku-Sprache ist mir zu langweilig. Ich lese sie nicht gerne, aber ich lese gerne  Diskussionen über Haikus. Das ist ja auch wieder Gedankenarbeit, die m.E. im Haiku nichts zu suchen hat. 
 
Sorry, das geht aber jetzt OT. Bitte bei Onegins Haiku weitermachen!
 
LG Claudi
 
Haiku-Sprache ist mir zu langweilig. Ich lese sie nicht gerne, aber ich lese gerne  Diskussionen über Haikus. Das ist ja auch wieder Gedankenarbeit, die m.E. im Haiku nichts zu suchen hat.
Du meinst Haikus erschöpften sich im Gesagten, ohne "Gedankenarbeit"?  Dann wäre ja Onegins Haiku perfekt, das vorwegnimmt  ("armer Mond"),  was der Leser denken/mitfühlen soll? Aber es soll ja auch einen Nachhall geben und da setzt dann ja wieder Gedankenarbeit ein und das wiederum eine/n pointierte/n Ausdruck/Rhetorik voraus, oder? 
 

loop
 
Du meinst Haikus erschöpften sich im Gesagten, ohne "Gedankenarbeit"? 
 
Nein, ich meine, ein Haiku entwickelt sich idealerweise direkt aus den gezeigten Bildern, ohne dass ich 1. etwas vorgesagt bekomme (arm), das mir nicht unmittelbar aus dem Bild entgegenspringt und 2. Entschlüsselungsarbeit leisten muss. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, weil mir klar ist, dass das eine vage und recht persönliche Sicht ist, die möglicherweise einfach ein Spleen ist. "Unmittelbar" ist die beste Umschreibung, die mir zu meiner Wahrnehmung/Vorstellung (meinetwegen auch Einbildung) einfällt.
 
 Hallo Claudi, auch ich freue mich , dich hier wiederzulesen und freue mich, dass du unser Austausch hier gefällt... Ich will mich auch gleich ins Getümmel stürzen....  ..
 
Hi loop, klar  kannst du den Müllberg-Text bei Dir einstellen.
ach mond
in deinem licht
streunt nur ein hund
 
gefiele mir persönlich aber deutlich deutlich besser. Spannungsbogen, hier läuft er tatsäüchlich von Zeile bis zum letzten Wort von Zeile drei!
 
Du  meinst auf "nachthell" könne man so ohne weiters verzichten? Machen wir die Probe
 
Ach armer Mond
auf nachtheller Straße
nur ein streunender Hund
 
oder
 
Ach armer Mond
auf der Straße
nur ein streunender Hund
 
Die zweite Zeile erscheint mir in Version zwei etwas dürr. "Nachthell" verbindet Mond- und Hhndsphäre stärker als das ohne dieses Adjektiv geschehen wäre. Viel wichtiger ist mir aber "nachthell" als Stimmungsträger. Es ist doch ein Miniatur-Nocturne, ein Nachtstück, um das es hier geht. (Das "Ach" gibt dabei das Tongeschlecht vor: Moll). Es ist Claire-de-lune-Stimmung, die verbreitet werden soll. Ein bisschen habe ich beim Schreiben an die fetes galantes von Verlaines gedacht. (klingt hochgestochen, war aber tatsächlich so) . Dort wird eine nächtliche, tief einsame.und zugleich verzauberte Szenerie beschworen.  Auch die Verzauberung ist bei mir irgendwie angedeutet: "nachthell" ist eine antithetische Fügung.  Darf man als Haiku-Schreiber so arbeiten? Ich meine ja, meine westliche Prägung kann ich gar nicht verleugnen. Aber das Schönste ist: Die Japaner selbst haben es in der Mondnacht-Poesie ziemlich weit gebracht (und haben dabei nicht auf Einflüsse von Außen gewartet.) 
 
Also ja: Ein Haiku sollte so knapp gehalten werden, wie es ohne Qualitätsverlust geht. Aber das meint hier lyrische Qualität., nicht nur sachlich-informative. Es gibt übrigens wohl kaum ein Haiku, das dem Forderungskatalog von haiku.heute in allen Punkten voll entspricht. 
 
Zum Punkt Konkretion nur ein Hinweis. Bashos berühmters Sommergras-Haiku (in einer englischen Übersetzung): 
 
The summer grasses.
All that remains
Of warriors’ dreams
 
Was ist hier konkret: Nur die Sommergräser: Der Rest ist Gedanke, Raisonnement, also nicht greifbar und doch ist dieses Haiku ein Meisterwerk mit einem riesigen Nachhall und einer unglaublichen emotionalen Wirkung. (dagegen ist mein armer Mond doch verdammt konkret...)  
 
So dacht ich
 
Liebe Grüße an Euch
 
Onegin  
 
     
 
 
 
Zum Punkt Konkretion nur ein Hinweis. Bashos berühmters Sommergras-Haiku (in einer englischen Übersetzung): 


 


The summer grasses.


All that remains


Of warriors’ dreams


 


Was ist hier konkret: Nur die Sommergräser: Der Rest ist Gedanke, Raisonnement, also nicht greifbar und doch ist dieses Haiku ein Meisterwerk mit einem riesigen Nachhall und einer unglaublichen emotionalen Wirkung. (dagegen ist mein armer Mond doch verdammt konkret...)  


 
 
Ja, das gefällt mir eigentlich auch besser, als "reinrassig Konkretes". Das fände dann vielleicht auch @Claudi anziehender? 
 
Ich las zwischenzeitig auch weiter bei https://www.haiku-heute.de/das-haiku/aesthetische-momente-2/
 
und da steht dann unter der Überschrift "Ästhetische Momente" (Diese Zuordnung finde ich etwas eigenartig. Mit "Ästhetik" hat das mE nichts zu tun.): 
 
"Haiku sollen gegenwärtig sein und konkret. Abstraktion hineinzubringen, kann einen besonderen Reiz setzen.
 
Schneetreiben –
der alte Geiger berührt
die Einsamkeit

 
Der „alte Geiger“ von Gerd Romahn spielt einfach ein Lied und berührt womöglich eine Schneeflocke. Die Empfindung von Einsamkeit ist etwas, das eigentlich erst im Leser durch die gesetzten Worte entstehen sollte, aber nicht vom Autor ausgesprochen wird.
 
Warum wirkt das abstrakte Wort „Einsamkeit“ hier trotzdem gelungen? Vielleicht weil es mit einer Überraschung verbunden ist. Es gäbe auf die beiden ersten Zeilen näher liegende Assoziationen, die Vorübereilenden etwa oder eben eine Schneeflocke."
 
Der Unterschied zu deinem ist vielleicht der Spannungsbogen: Die "Einsamkeit" kommt überraschend am Ende; so wie bei Basho die Träume (allerdings ist mE letzteres sehr fein und ersteres eher grobgewebt.)
 
Und wenn man deins einfach "umdrehen" würde?:
 
Ein streunender Hund 
Auf nachtheller Straße nur -
Ach armer Mond 
 

loop
 
 
 
 
 
 
 
Hallo Loop, 
 
das Romahn-Heiku finde ich gar nicht so toll. Wahrscheinlich liegt es daran, dass sich für mich der Überraschungseffekt nicht einstellt. Der arme Geiger, der alte Spielmann usw  ist ein schon im 19. Jahrhundert ge- und verbrauchtes literarisches Motiv und immer läuft es dabei auf Einsamkeit und Unglück hinaus. (Beispielsweise hat Grillparzer eine schöne Erzählung dazu geschrieben) Aber Friebel zeigt in dem Kommentar, dass die Haiku-Regeln nur Faustregeln sind. Der Könner darf sie in bestimmtem Umfang durchbrechen. Das gilt natürlich nicht nur für Haikus, sondern auch für Gedichte, die aus der westlichen Tradition kommen. 
 
Deine Formel vom "Reinrassig Konkreten" möchte ich an dieser Stelle noch problematisieren. In einem frühen Vorlesungstext von Heiddegger heißt es  
 
"In den Hörsaaal tretend sehe ich einen  Katheder. Was sehe ich? Braune Flecken, die sich rechtwinklig schneiden? Nein, Ich sehe etwas anderes, Eine Kiste, und zwar eine größere, mit eimer kleineren draufgebaut? Keineswegs,  ich sehe den Katheder, an dem ich sprechen soll.  ... Ich sehe den Katheder gleichsam mit einem Schlag, Anders ist es schon, wenn wir einen Bauern aus dem hohen Schwarzwald in den Hörsaal führen. Sieht er den Katheder oder einen Bretterverschlag? Er sieht "den Platz für den Lehrer". Aber denken wir uns einen Senegalneger... Dss Wahrscheinlichste ist, er wüßte damit nichts anzufangen,  also er sähe bloß Farbenkomplexe und Flächen. (Bitte bedenke dabei, dass dieser Text rund 100 Jahre alt ist)
 
Was Heidegger uns damit sagen will ist (extrem verkürzt), dass jeder von uns eine gesellschaftliche, historisch gewachsene allerletzten Endes aber auch eigene Konkretheit hat abhängig von unserem Wissen, unseren Weltbezügen. Unser Wahrnehmungsfeld ist also immer schon subjektiv-objektiv. Wenn wir sagen, das Haiku müsse objektiv sein, dann müsen wir gleichzeitig dazusagen, dass die Objektivität Bashos eine andere ist, als unsere, die von naturwisssenschaftlichen Vorstellungen geprägt ist. Die Naturwissenschaft sagt, Objektiv ist,  was sich messen und zählen und im Experiment wiederholen lässt (bitte jetzt keine quantenmechanischen Einwände ). Das bestreiten die Phänomenologen, zu denen Heideggerr gehört. Ich störe mich deswegen auch nicht, wenn in meinen eigenen Haikus etwas "Subjektivität" mitschwingt. 
 
Deine Idee mein Haiku einfach umzudrehen, hat wirklich etwas für sich. Am Schluss stellt sich jedenfalls eine schöne Überraschung ein.  Ich werde wohl bei meiner Version  bleiben (?) aber vielen Dank! Vielleicht sollte ich die Umkehrprobe künftig immer machen. 
 
So dacht ich
 
Gruß Onegin
 
 
 
 
 
 
 
.
 
 
 
Der Straßenhund
jault den Mond an.
Der Mond jault nicht zurück.
(Welch ein Glück.)
 
" Am Entdecken vom Verhältnis Mond und Straßenhund ist vielleicht was dran -  hm - doch noch haikuverdächtig? "
 
 lieben Gruß
Carolus
 
Ei wie nun, Carolus wie gerade eben in der Signatur oder Carlolus? Sollten wir uns auch schon von gedichte.com kennen? 
 
Gruß
Onegin
 
  • Onegin
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