Liebe Sali, lieber Carlos,
vielen Dank für euren kritischen Blick auf das Gedicht bzw. für die Verständnisfragen, die damit verbunden sind. :smile:
Zunächst zu den Armen, die im letzten Vers angesprochen werden: In der Urfassung, die ich vor neun Jahren schrieb, stand dort "Busen". Damals dachte ich, das wäre eine gute Metapher für Nähe, Wohlwollen und Verständnis. Als ich mir das Gedicht aber heute zur Brust nahm, erschien mir der sexuelle Bezug zu stark und da habe ich es kurzerhand zu "Armen" geändert, nicht bedenkend, dass diese Tautologie (Arme - umarmen) nicht so prickelnd ist. Da werde ich noch nach einem anderen Bild suchen, das besser passt. Sollte nicht zu schwer sein, denn im Grunde würde die Nähe, um die es hier ja gehen soll, durch jede körperliche Berührung ausgedrückt werden.
Was den inhaltlichen Zusammenhang betrifft, kann ich zumindest meine eigene Deutung beisteuern: Die Gründe für das Leid des LI liegen (zumindest auch) im Trost des LD. Das ist zunächst seltsam, da Trost doch eindeutig etwas Positives ist, macht aber Sinn, wenn man bedenkt, dass Trost mit Nähe verbunden ist und Nähe, obgleich wie schön sie ist, kann eben auch zu viel des Guten sein, nämlich dann, wenn man jemanden liebt, der diese Gefühle nicht teilt.
Von der Widersprüchlichkeit der Situation zerrissen, sich nach der Nähe zu sehnen, an der das LI doch so leidet, begibt es sich in einen Teufelskreislauf, der immer tiefer sowohl zur gesuchten Nähe, als auch zum seelischen Schmerz führt: Mehr Trost bedeutet mehr Nähe, bedeutet mehr Leid, bedeutet mehr Trost, bedeutet mehr Nähe, bedeutet mehr Leid... Interessanterweise lässt sich das LI freiwillig (und bei vollem Bewusstsein der Zirkularität) auf diesen Teufelskreis ein, vermutlich weil es der Meinung ist, der größtmögliche Schmerz sei ein hinzunehmender Preis für das größtmögliche Glück, der Geliebten nahe zu sein.
Damit ist er wohl schlecht beraten, aber irgendwie kann ich ihn trotz der wirren Logik verstehen. Liebe denkt nicht logisch; sie denkt zuweilen in Widersprüchen. Und damit zu einem Punkt, der vielleicht die Lektüre des Gedichts schwierig macht:
Worte wie "drum" und "denn" behaupten einen Begründungszusammenhang, der zunächst unplausibel erscheint und dann versucht man vielleicht das Gedicht schlüssig aufzudröseln, gerät dabei aber zunehmend in Verwirrung und das ist gut. Denn es ist die Verwirrung, die das LI auch erfährt und ohne es wahrzuhaben, befindet man sich bereits mit einem Bein in seinem Kopf.
Im ersten Vers z.B. wird ganz klar gesagt, dass das LI unter dem Trost des LD leidet. Im zweiten Vers heißt es dann: "Drum tröste mich ob allem, was geschah!" Das Wörtchen "drum" (darum) scheint überhaupt nicht zu passen - weil das LI unter dem Trost leidet, will es mehr Trost?! Das kann kein vernünftiger Mensch nachvollziehen, aber Verliebte können es vielleicht schon. Denn wenn das LI in Folge des Trostes mehr leidet, kann es auf umso mehr Trost und damit Nähe hoffen. Nur so, schätze ich, kann es logisch nachvollziehbar gelesen werden. Dann wird auch das "denn" im dritten Vers deutlich und auch, weswegen der dritte und vierte Vers sein müssen. Hier wird die gesamte Philosophie des LI erst wirklich schlüssig.
Ich hoffe, dass das Gedicht mit diesen Gedanken im Hinterkopf nun etwas ergiebiger oder zumindest sinnhafter ist und bedanke mich noch einmal, dass ihr mir Anlass gegeben habt, diese Gedanken zu verbalisieren. :smile:
Über die "Arme"/den "Busen" mache ich mir später mal noch einen Kopf. Jetzt habe ich erstmal noch zu tun...
LG