Der alte Fischer wollte die letzten warmen Sonnenstrahlen nutzen, um die Maschen seines Netzes mit Nadel und Garn zu flicken, als ein Paar schicker, an Reptilien erinnernder Stiefel seine Arbeit unterbrach. Als er aufblickte, um den Besitzer, der ihm – wie es schien – die Sonne stehlen wollte, in Augenschein nahm, sagte er in leicht verärgertem, nüchternem Ton:
„Entschuldigen Sie, mein Herr, aber Sie stehen auf meinen Netzen!“
Die fremde Gestalt wich einen Schritt zurück.
„Sorry“, murmelte der Unbekannte und fügte mit einem Hauch von Überheblichkeit hinzu:
„Du weißt wohl nicht, wer ich bin?“
„Nein, ich habe Sie noch nie gesehen. Machen Sie hier Urlaub?“ erwiderte der Fischer gelassen.
„Ich habe keine Zeit für Urlaub. Ich suche meinen Koch, der sich hier irgendwo herumtreiben muss. Ich hatte ihn beauftragt, für heute Abend frischen Fisch zu besorgen“, erklärte der Fremde bestimmt. Dabei beklagte er die Unzuverlässigkeit des heutigen Personals – insbesondere den wilden, ungepflegten Haarwuchs seines Kochs. Sein Blick fiel dabei auf einen großen, schwarzen Eimer, der im Boot des Fischers lag.
Neugierig trat der Mann mit den extravaganten Stiefeln einen Schritt näher, um den Inhalt des Eimers zu begutachten.
„Ach, was für ein Glück – ich bin hier ja goldrichtig! Der Fisch in dem Eimer - ist der frisch?“ rief er, während er sich über den Eimer beugte.
„Natürlich ist er frisch – ich habe nur frischen Fisch“, entgegnete der Fischer.
„Und was kostet er bei dir, alter Mann?“ erkundigte sich der Fremde.
„Der ist reserviert“, erwiderte der Fischer knapp.
Der Fremde zeigte einen kurzen Moment sichtbaren Unmut, atmete dann aber tief durch und meinte schnippisch:
„Reserviert oder nicht, ich zahle das Doppelte!“
„50 Euro – und Ihre Stiefel“, entgegnete der Fischer.
Daraufhin lachte der Fremde lauthals und ergriff das Geländer des Piers, um nicht ins Wasser zu stürzen. Merklich amüsiert entgegnete er:
„50 Euro sind ja schon eine Frechheit – und dann auch noch meine edlen Krokodillederstiefel für einen Eimer Fisch?“
Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, fügte er mit einer Spur Arroganz hinzu:
„Meine Stiefel sind doch eine Nummer zu groß für dein winziges Boot!“
Dann verkündete er stolz:
„Ich bin Nikos Petrakis, Großunternehmer im Immobiliengeschäft und Besitzer einer Luxusyacht mit Pool und Gourmetküche.“
„Ich bin Elias Papadimitriou, Kleinunternehmer im Fischereigeschäft und Inhaber eines Fischkutters mit Eimer und Gourmet-Fisch“, erwiderte der Fischer sachlich.
„Was willst du mit Stiefeln, die bald halb so teuer sind wie dein Boot?“ fragte der Unternehmer ungläubig.
„Ich habe noch eine Schuld zu begleichen“, antwortete der Fischer geheimnisvoll.
„Frischen Fisch kann ich mir auch am nächsten Kutter besorgen“, entgegnete Petrakis.
„Das bezweifle ich. Dieses Wochenende findet bei uns ein großes Dorffest statt, und für die aufwändige Vorbereitung wird jede helfende Hand im Hafen gebraucht“, erklärte der Fischer.
Nach kurzem Innehalten sagte Petrakis zögernd:
„Ich habe heute ein wichtiges Bankett, aber ich kann einen Mitarbeiter schicken, der den Fisch abholt – und dir, sozusagen im Tausch, auch meine Stiefel überbringt.“
„Ich reserviere meinen Fisch nicht zweimal“, stellte der Fischer unmissverständlich klar.
Sichtlich gekränkt ließ der Besitzer der Luxusyacht seine Enttäuschung spürbar werden. Er warf dem Fischer die 50 Euro zu und zog wütend seine Stiefel aus.
Noch nie hatte er sich derart gedemütigt gefühlt. Mit löchrigen roten Socken, aus denen ein großer Zeh hervorlugte, trottete er schließlich in Richtung Yachthafen davon.
Es dauerte nicht lange, bis ein kleiner, etwas untersetzter Mann, der sich am späten Nachmittag dem Fischer als Dimitris – Koch der Luxusyacht Poseidon – vorgestellt hatte, den Kutter erreichte.
„Hallo Elias, ich komme, um die Fische abzuholen, die ich zurücklegen ließ“, rief er.
„Die hat dein Chef bereits abgeholt“, antwortete der Fischer.
„Mein Chef…? Woher kennst du meinen Chef?“ fragte Dimitris erstaunt.
„Nun, er erwähnte, dass sein Koch dringend einen Friseur bräuchte“, erklärte der Fischer und fügte schmunzelnd hinzu:
„Wie ich sehe, kommst du eben frisch vom Friseur.“
„Ich hoffe, er hat auch gleich bezahlt?“ erkundigte sich Dimitris.
„Ja – 50 Euro und seine Stiefel“, bestätigte der Fischer.
„50 Euro? Du hattest von mir nur 25 verlangt“, bemerkte der Koch.
„Er bestand darauf, den doppelten Preis zu zahlen“, sagte der Fischer mit einem leichten Grinsen. „Und ich kann Thanos, den Besitzer des kleinen Fischladens am Ende des Dorfes, bezahlen – der mir an Sonn- und Feiertagen mit Fisch aus der Stadt aushilft, damit ich nicht so oft aufs Meer hinaus muss.“
„Aber was willst du mit so kostbaren Stiefeln auf einem Fischkutter, wie sie mein Chef trägt?“ fragte Dimitris.
„Für ein Fischerboot sind sie in der Tat nicht geeignet“, gab der Fischer wehmütig zu.
„Sie sind für meinen alten Freund und Geschäftspartner Alexius bestimmt. Ich habe ihm versprochen, dass wir eines Tages so viel Geld verdienen, dass er sich diese Krokodillederstiefel, von denen er immer träumte, endlich leisten kann.“
„Dimitris erinnerte sich, dass der Dorffriseur erzählt hatte, vor zwei Jahren habe ein gewaltiger Sturm die Küste heimgesucht und zahlreiche Boote zerschmettert – und dass noch heute ein Fischer vermisst werde, der damals auf See gewesen sei.“
Bevor es dunkel wurde, verabschiedete sich der Koch und machte sich auf den Rückweg zum Yachthafen. Als er sich ein letztes Mal umdrehte, um dem Fischer von Mourtos zuzuwinken, sah er, wie dieser in jeden Stiefel einen großen Stein steckte, die Stiefel mit Garn zusammenband und mit dem Boot hinaus aufs Meer aufbrach - zu seinem Freund.
(GK 2024)
„Entschuldigen Sie, mein Herr, aber Sie stehen auf meinen Netzen!“
Die fremde Gestalt wich einen Schritt zurück.
„Sorry“, murmelte der Unbekannte und fügte mit einem Hauch von Überheblichkeit hinzu:
„Du weißt wohl nicht, wer ich bin?“
„Nein, ich habe Sie noch nie gesehen. Machen Sie hier Urlaub?“ erwiderte der Fischer gelassen.
„Ich habe keine Zeit für Urlaub. Ich suche meinen Koch, der sich hier irgendwo herumtreiben muss. Ich hatte ihn beauftragt, für heute Abend frischen Fisch zu besorgen“, erklärte der Fremde bestimmt. Dabei beklagte er die Unzuverlässigkeit des heutigen Personals – insbesondere den wilden, ungepflegten Haarwuchs seines Kochs. Sein Blick fiel dabei auf einen großen, schwarzen Eimer, der im Boot des Fischers lag.
Neugierig trat der Mann mit den extravaganten Stiefeln einen Schritt näher, um den Inhalt des Eimers zu begutachten.
„Ach, was für ein Glück – ich bin hier ja goldrichtig! Der Fisch in dem Eimer - ist der frisch?“ rief er, während er sich über den Eimer beugte.
„Natürlich ist er frisch – ich habe nur frischen Fisch“, entgegnete der Fischer.
„Und was kostet er bei dir, alter Mann?“ erkundigte sich der Fremde.
„Der ist reserviert“, erwiderte der Fischer knapp.
Der Fremde zeigte einen kurzen Moment sichtbaren Unmut, atmete dann aber tief durch und meinte schnippisch:
„Reserviert oder nicht, ich zahle das Doppelte!“
„50 Euro – und Ihre Stiefel“, entgegnete der Fischer.
Daraufhin lachte der Fremde lauthals und ergriff das Geländer des Piers, um nicht ins Wasser zu stürzen. Merklich amüsiert entgegnete er:
„50 Euro sind ja schon eine Frechheit – und dann auch noch meine edlen Krokodillederstiefel für einen Eimer Fisch?“
Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, fügte er mit einer Spur Arroganz hinzu:
„Meine Stiefel sind doch eine Nummer zu groß für dein winziges Boot!“
Dann verkündete er stolz:
„Ich bin Nikos Petrakis, Großunternehmer im Immobiliengeschäft und Besitzer einer Luxusyacht mit Pool und Gourmetküche.“
„Ich bin Elias Papadimitriou, Kleinunternehmer im Fischereigeschäft und Inhaber eines Fischkutters mit Eimer und Gourmet-Fisch“, erwiderte der Fischer sachlich.
„Was willst du mit Stiefeln, die bald halb so teuer sind wie dein Boot?“ fragte der Unternehmer ungläubig.
„Ich habe noch eine Schuld zu begleichen“, antwortete der Fischer geheimnisvoll.
„Frischen Fisch kann ich mir auch am nächsten Kutter besorgen“, entgegnete Petrakis.
„Das bezweifle ich. Dieses Wochenende findet bei uns ein großes Dorffest statt, und für die aufwändige Vorbereitung wird jede helfende Hand im Hafen gebraucht“, erklärte der Fischer.
Nach kurzem Innehalten sagte Petrakis zögernd:
„Ich habe heute ein wichtiges Bankett, aber ich kann einen Mitarbeiter schicken, der den Fisch abholt – und dir, sozusagen im Tausch, auch meine Stiefel überbringt.“
„Ich reserviere meinen Fisch nicht zweimal“, stellte der Fischer unmissverständlich klar.
Sichtlich gekränkt ließ der Besitzer der Luxusyacht seine Enttäuschung spürbar werden. Er warf dem Fischer die 50 Euro zu und zog wütend seine Stiefel aus.
Noch nie hatte er sich derart gedemütigt gefühlt. Mit löchrigen roten Socken, aus denen ein großer Zeh hervorlugte, trottete er schließlich in Richtung Yachthafen davon.
Es dauerte nicht lange, bis ein kleiner, etwas untersetzter Mann, der sich am späten Nachmittag dem Fischer als Dimitris – Koch der Luxusyacht Poseidon – vorgestellt hatte, den Kutter erreichte.
„Hallo Elias, ich komme, um die Fische abzuholen, die ich zurücklegen ließ“, rief er.
„Die hat dein Chef bereits abgeholt“, antwortete der Fischer.
„Mein Chef…? Woher kennst du meinen Chef?“ fragte Dimitris erstaunt.
„Nun, er erwähnte, dass sein Koch dringend einen Friseur bräuchte“, erklärte der Fischer und fügte schmunzelnd hinzu:
„Wie ich sehe, kommst du eben frisch vom Friseur.“
„Ich hoffe, er hat auch gleich bezahlt?“ erkundigte sich Dimitris.
„Ja – 50 Euro und seine Stiefel“, bestätigte der Fischer.
„50 Euro? Du hattest von mir nur 25 verlangt“, bemerkte der Koch.
„Er bestand darauf, den doppelten Preis zu zahlen“, sagte der Fischer mit einem leichten Grinsen. „Und ich kann Thanos, den Besitzer des kleinen Fischladens am Ende des Dorfes, bezahlen – der mir an Sonn- und Feiertagen mit Fisch aus der Stadt aushilft, damit ich nicht so oft aufs Meer hinaus muss.“
„Aber was willst du mit so kostbaren Stiefeln auf einem Fischkutter, wie sie mein Chef trägt?“ fragte Dimitris.
„Für ein Fischerboot sind sie in der Tat nicht geeignet“, gab der Fischer wehmütig zu.
„Sie sind für meinen alten Freund und Geschäftspartner Alexius bestimmt. Ich habe ihm versprochen, dass wir eines Tages so viel Geld verdienen, dass er sich diese Krokodillederstiefel, von denen er immer träumte, endlich leisten kann.“
„Dimitris erinnerte sich, dass der Dorffriseur erzählt hatte, vor zwei Jahren habe ein gewaltiger Sturm die Küste heimgesucht und zahlreiche Boote zerschmettert – und dass noch heute ein Fischer vermisst werde, der damals auf See gewesen sei.“
Bevor es dunkel wurde, verabschiedete sich der Koch und machte sich auf den Rückweg zum Yachthafen. Als er sich ein letztes Mal umdrehte, um dem Fischer von Mourtos zuzuwinken, sah er, wie dieser in jeden Stiefel einen großen Stein steckte, die Stiefel mit Garn zusammenband und mit dem Boot hinaus aufs Meer aufbrach - zu seinem Freund.
(GK 2024)
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