I
An des Toten Meeres Strand
liegt ein ödes, heißes Land.
Hier in diesem Tal des Todes
herrscht seit Jahren Fürst Herodes,
welchen jeder, der ihn kennt,
einfach den Tetrarchen nennt.
Er regiert mit schwacher Hand
hier in seinem Niemandsland.
Für Herodias, sein Weib,
ist das Herrschen Zeitvertreib,
und Johannes, dem Baptisten,
Urbild eines frommen Christen -
was auch immer dieses sei,
ist ihr herzlich einerlei -,
hofft sie, hinter feuchten Ziegeln
bald die Lippen zu versiegeln.
Jener wagt seit vielen Tagen,
sie vermessen anzuklagen,
weil sie mit dem eignen Schwager
sich vergnügt im Ehelager.
Mag man ihn auch heilig nennen:
Fastend durch die Wüste rennen,
Leute in den Jordan tauchen -
so was kann sie nicht gebrauchen.
Auf dem Grunde der Zisterne,
abgeschirmt vom Licht der Sterne
und von allem abgeschlossen,
predigt er noch unverdrossen.
Jeden Abend um halb Acht
tönt es aus dem Brunnenschacht:
"Gottes Wort will ich verkünden:
Volk, bereue deine Sünden!
Doch ihr Menschen wollt nicht hören,
lasst euch eure Ruh nicht stören.
Seht, nach mir wird Einer kommen,
gegen den wird euch nichts frommen.
Würdig darf ich mich nicht finden,
die Sandalen ihm zu binden.
Kommt erst jener Menschensohn,
dann empfangt ihr euren Lohn
für das Gute, für das Schlechte,
ob Verworfne, ob Gerechte!"
Darauf schweigt er wieder still,
dem kein Ohr sich neigen will.
Nur Herodes lauscht beklommen
und er ahnt es ganz verschwommen:
Jener, den man nicht versteht,
ist womöglich ein Prophet...
II
Wenn des Mondes Sichel schimmert
und der Kauz im Wadi wimmert,
hört man meistens den Tetrarchen
schon in seinem Bette schnarchen.
Heute freilich wird die Nacht
bis zum Morgen durchgewacht,
denn in seinem Wüstennest
feiert er sein Wiegenfest.
Die illustre Gästeschar
amüsiert sich wunderbar.
Alle Speisen sind genossen,
Wein ist reichlich schon geflossen.
Zu des Festes Ausgestaltung
fehlt noch leichte Unterhaltung.
Schon erscheint vor ihren Blicken
auf des Herrschers stummes Nicken
seine Tochter, tief verhüllt,
einer Göttin Ebenbild,
und zum sanften Klang der Leier
lüftet sie den ersten Schleier.
Durch die Reihen geht ein Raunen.
Auch Herodes kann nur staunen,
wie sein Stiefkind fein und zierlich
und dazu noch ganz manierlich
taktfest beide Hüften schwingt,
während süß die Leier klingt.
Als das zweite Tuch sich hebt,
fühlt er, wie sein Schoß erbebt.
Fort fliegt Schleier Nummer Drei,
und mit unterdrücktem Schrei
sinkt Herodes in den Pfühl.
Wie ist diese Nacht so schwül!
Aus dem feinsten Stoff gewoben,
wird der vierte angehoben.
Auch der fünfte gleitet sacht
von des schlanken Leibes Pracht.
Seine Hand vor Augen hält,
als der sechste Schleier fällt,
der Tetrarch in süßem Bangen.
Heiß erglühen seine Wangen.
Wird am Ende hier vor allen
auch der letzte Schleier fallen?
Als sie just denselben lupft,
wird der letzte Ton gezupft.
Da erstarrt die Tänzerin
von der Ferse bis zum Kinn,
gleicht in ihrer stummen Pose
einer zarten Wüstenrose.
Und Herodes, der Tyrann,
steht bezaubert wie im Bann.
Seine Sinne sind benebelt,
sein Verstand ist ausgehebelt:
"Liebstes Kind, für dies Entzücken
will ich fürstlich dich beglücken!
Sage mir geschwind nun an,
was dich wohl erfreuen kann!"
Ihre Mutter sieht man lüstern
in das Ohr des Kindes flüstern.
Darauf wird die Bitte kund
durch der Tochter Rosenmund:
"Stiefpapa, es wäre nett,
wenn auf silbernem Tablett,
blank poliert und abgestaubt,
läge: des Johannes Haupt.
Dieses und ein Gläschen Punsch -
das ist deiner Tochter Wunsch."
Der Tetrarch greift sich ans Herz:
"Lass den unbedachten Scherz!
Fordre jeden Fisch im Teich,
ja, mein halbes Königreich!
Fordre meiner Augen Licht,
aber dieses fordre nicht!"
"Doch, versprochen ist versprochen!
Ist dein Wort so leicht gebrochen?"
Schmerzlich muss er jetzt empfinden,
wie ihn seine Worte binden.
Also spricht er resigniert,
während er zum Monde stiert:
"Meiner Tochter soll man geben,
was sie forderte soeben."
Kaum ist dieser Wink erteilt,
als der Henker schon enteilt.
Kurz darauf wird mit Bedacht
die Bestellung überbracht.
Doch den Gästen dünkt das Spiel
nun an diesem Punkt zu viel.
Selbst der Mond hüllt Wolkenfetzen
um sich, die am Himmel hetzen,
weigert sich, den mordverseuchten
Schauplatz länger zu beleuchten.
Nur das junge Königskind
wandelt still im Abendwind,
senkt verzückt die Augenlider,
kniet vor jenem Antlitz nieder,
um von seinen blassen Lippen
scheu den ersten Kuss zu nippen.
"Grauen häuft sich hier auf Grauen!"
Der Tetrarch mag nicht mehr schauen,
lässt die Wachen mit den Schilden
zügig einen Halbkreis bilden
und sein Töchterlein zermalmen.
Nur der Wind rauscht in den Palmen.
Grillen und Zikaden geigen
ihren Chor. Der Rest ist Schweigen.
An des Toten Meeres Strand
liegt ein ödes, heißes Land.
Hier in diesem Tal des Todes
herrscht seit Jahren Fürst Herodes,
welchen jeder, der ihn kennt,
einfach den Tetrarchen nennt.
Er regiert mit schwacher Hand
hier in seinem Niemandsland.
Für Herodias, sein Weib,
ist das Herrschen Zeitvertreib,
und Johannes, dem Baptisten,
Urbild eines frommen Christen -
was auch immer dieses sei,
ist ihr herzlich einerlei -,
hofft sie, hinter feuchten Ziegeln
bald die Lippen zu versiegeln.
Jener wagt seit vielen Tagen,
sie vermessen anzuklagen,
weil sie mit dem eignen Schwager
sich vergnügt im Ehelager.
Mag man ihn auch heilig nennen:
Fastend durch die Wüste rennen,
Leute in den Jordan tauchen -
so was kann sie nicht gebrauchen.
Auf dem Grunde der Zisterne,
abgeschirmt vom Licht der Sterne
und von allem abgeschlossen,
predigt er noch unverdrossen.
Jeden Abend um halb Acht
tönt es aus dem Brunnenschacht:
"Gottes Wort will ich verkünden:
Volk, bereue deine Sünden!
Doch ihr Menschen wollt nicht hören,
lasst euch eure Ruh nicht stören.
Seht, nach mir wird Einer kommen,
gegen den wird euch nichts frommen.
Würdig darf ich mich nicht finden,
die Sandalen ihm zu binden.
Kommt erst jener Menschensohn,
dann empfangt ihr euren Lohn
für das Gute, für das Schlechte,
ob Verworfne, ob Gerechte!"
Darauf schweigt er wieder still,
dem kein Ohr sich neigen will.
Nur Herodes lauscht beklommen
und er ahnt es ganz verschwommen:
Jener, den man nicht versteht,
ist womöglich ein Prophet...
II
Wenn des Mondes Sichel schimmert
und der Kauz im Wadi wimmert,
hört man meistens den Tetrarchen
schon in seinem Bette schnarchen.
Heute freilich wird die Nacht
bis zum Morgen durchgewacht,
denn in seinem Wüstennest
feiert er sein Wiegenfest.
Die illustre Gästeschar
amüsiert sich wunderbar.
Alle Speisen sind genossen,
Wein ist reichlich schon geflossen.
Zu des Festes Ausgestaltung
fehlt noch leichte Unterhaltung.
Schon erscheint vor ihren Blicken
auf des Herrschers stummes Nicken
seine Tochter, tief verhüllt,
einer Göttin Ebenbild,
und zum sanften Klang der Leier
lüftet sie den ersten Schleier.
Durch die Reihen geht ein Raunen.
Auch Herodes kann nur staunen,
wie sein Stiefkind fein und zierlich
und dazu noch ganz manierlich
taktfest beide Hüften schwingt,
während süß die Leier klingt.
Als das zweite Tuch sich hebt,
fühlt er, wie sein Schoß erbebt.
Fort fliegt Schleier Nummer Drei,
und mit unterdrücktem Schrei
sinkt Herodes in den Pfühl.
Wie ist diese Nacht so schwül!
Aus dem feinsten Stoff gewoben,
wird der vierte angehoben.
Auch der fünfte gleitet sacht
von des schlanken Leibes Pracht.
Seine Hand vor Augen hält,
als der sechste Schleier fällt,
der Tetrarch in süßem Bangen.
Heiß erglühen seine Wangen.
Wird am Ende hier vor allen
auch der letzte Schleier fallen?
Als sie just denselben lupft,
wird der letzte Ton gezupft.
Da erstarrt die Tänzerin
von der Ferse bis zum Kinn,
gleicht in ihrer stummen Pose
einer zarten Wüstenrose.
Und Herodes, der Tyrann,
steht bezaubert wie im Bann.
Seine Sinne sind benebelt,
sein Verstand ist ausgehebelt:
"Liebstes Kind, für dies Entzücken
will ich fürstlich dich beglücken!
Sage mir geschwind nun an,
was dich wohl erfreuen kann!"
Ihre Mutter sieht man lüstern
in das Ohr des Kindes flüstern.
Darauf wird die Bitte kund
durch der Tochter Rosenmund:
"Stiefpapa, es wäre nett,
wenn auf silbernem Tablett,
blank poliert und abgestaubt,
läge: des Johannes Haupt.
Dieses und ein Gläschen Punsch -
das ist deiner Tochter Wunsch."
Der Tetrarch greift sich ans Herz:
"Lass den unbedachten Scherz!
Fordre jeden Fisch im Teich,
ja, mein halbes Königreich!
Fordre meiner Augen Licht,
aber dieses fordre nicht!"
"Doch, versprochen ist versprochen!
Ist dein Wort so leicht gebrochen?"
Schmerzlich muss er jetzt empfinden,
wie ihn seine Worte binden.
Also spricht er resigniert,
während er zum Monde stiert:
"Meiner Tochter soll man geben,
was sie forderte soeben."
Kaum ist dieser Wink erteilt,
als der Henker schon enteilt.
Kurz darauf wird mit Bedacht
die Bestellung überbracht.
Doch den Gästen dünkt das Spiel
nun an diesem Punkt zu viel.
Selbst der Mond hüllt Wolkenfetzen
um sich, die am Himmel hetzen,
weigert sich, den mordverseuchten
Schauplatz länger zu beleuchten.
Nur das junge Königskind
wandelt still im Abendwind,
senkt verzückt die Augenlider,
kniet vor jenem Antlitz nieder,
um von seinen blassen Lippen
scheu den ersten Kuss zu nippen.
"Grauen häuft sich hier auf Grauen!"
Der Tetrarch mag nicht mehr schauen,
lässt die Wachen mit den Schilden
zügig einen Halbkreis bilden
und sein Töchterlein zermalmen.
Nur der Wind rauscht in den Palmen.
Grillen und Zikaden geigen
ihren Chor. Der Rest ist Schweigen.