Hallo Carry,
was mir auffiel:
der mir von deiner Sehnsucht erzählt
Ich fand mit dem von mir hervorgehobenen Wort eine andere Perspektive. Hier steht nicht 'meiner' Sehnsucht, sondern - deiner.
Und auch hier steht 'eine' und nicht 'die' Zeit. 'Eine' Zeit legt fest, dass es sich um einen bestimmten und nicht um einen unbestimmten Zeitraum handelt. Einen begrenzten Zeitraum.
Daher lese ich hier das Ende einer Liebesbeziehung heraus. Für mich verstärkt durch meine Lieblingszeile hier:
im Haus der schönen Worte
Aufgrund meiner gefundenen Perspektive deute ich das 'Still geworden im Haus der schönen Worte' als - Schweigen im Haus der schönen Worte, das jetzt herrscht. Kein 'Ich liebe dich' mehr, keine Kosenamen. Keine langen, zärtlichen Gespräche mehr.
Und ich lese, interessanterweise, auch nichts von Streit. Ich kann nur vermuten, aber ich lege es als ein 'Auseinanderleben' aus. Irgendwann hatte man sich - einfach nichts mehr zu sagen.
Hier schließt sich für mich der Kreis im Gedicht, denn diese Interpretation führt mich wieder zum letzten Vers in Strophe eins: Der mir von deiner Sehnsucht erzählt. Der 'säuselnde Wind' im Vers davor - das LI erkennt, dass die Sehnsucht des Partners/der Partnerin unerfüllt blieb. Mich führen diese Überlegungen dazu, dass schöne Worte auch zu wenig Worte sein können. So schön sie vielleicht auch sind. Denn wenn jemand viele schöne Worte macht, bedeutet das noch lange nicht, dass dieser Mensch wirklich mit dem anderen - redet. Da ist für mich der 'Knackpunkt'. An dem viele Beziehungen letztendlich scheitern.
Nach diesen Überlegungen komme ich zu Strophe zwei und wieder zu der 'bestimmten Zeitspanne'. Für das LI ist absehbar, dass es zwar 'eine Zeitlang' brauchen wird, aber dass das LD es schaffen wird. Die Trennung überwinden und eine neue Liebe finden wird, wenn genug Zeit vergangen ist, wenn 'die Jahre sich wenden'. Eine Wende - eine Veränderung. Das lese ich hier heraus:
grauer Stein verblassen
und Efeu himmelwärts ranken
Grau zu grün. Stein - dann Efeu. Himmelwärts - Erneuerung. Neubeginn.
Zuletzt möchte ich aber unbedingt noch erwähnen, dass ich durchaus noch etwas anderes, eine 'andere Geschichte' hier herauslesen kann. Dafür ändere ich jetzt meinen Blickwinkel.
Dann kann es sich auch darum handeln, dass ein tragisches Ereignis stattfand, vielleicht der Verlust eines Kindes, durch irgendwelche Umstände. Dass LI und LD nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen und wie sie miteinander reden sollen. Manchmal kann Schweigen auch durch ein Gefühl der Hilflosigkeit entstehen - wenn jemand nicht weiß, was er/sie sagen soll. Unter Umständen auch fürchtet, etwas 'Falsches' zu sagen und damit alles nur noch schlimmer zu machen.
Dann könnte die Hoffnung auch darin liegen, es irgendwann, wenn es gelingt, den schlimmen Verlust zu überwinden, zu wagen, noch einmal ein Kind zu bekommen.
Ich fand hier im Gedicht gleich zwei Deutungsarten. Und ich schätze es immer wirklich sehr, wenn mir 'Vielfalt' geboten wird - es kommt nämlich überhaupt nicht auf die Zahl der Verse an. Manchmal stecken eben in acht (oder auch vier, gegebenenfalls) Zeilen zwei Geschichten, so wie manchmal in achtzig Zeilen nur eine halbe Geschichte sein kann. Natürlich hängt das nicht mit einer 'Anzahl' zusammen, achtzig Verse können auch ein Buch mit vielen Geschichten sein. Ich möchte damit nur verdeutlichen, dass es nicht auf die Menge ankommt - sondern auf den Inhalt.
Gerne gelesen und nach den Geschichten hier gesucht (und gefunden). :smile:
LG,
Anonyma