Moin Evitucexe,
ich finde deinen Text leider gar nicht gelungen, weil er sprachlich große Makel aufweist.
Lyrische Sprache hat ihre Eigenheiten und diverse sprachliche Stilmittel, die eingreifen in den Standardsprachgebrauch.
Aber einen einzelnen Satz mehrfach zu verdrehen, wie du das hier allein mit dem ersten Satz tust, ist alles andere als kunstfertig.
Ich will dich nicht in Grund und Boden kritisieren, daher zunächst ein paar Punkte, die ich schätze:
- Offenbar bemühst du dich darum, gebunden zu schreiben. Ich sehe einen halben Kreuzreim und Ansätze eines metrischen Schemas (also ein regelmäßiger Wechsel von betonten und unbetonten Silben).
Die Reime Schatten/hatten und Wort/fort sind sauber und mit etwas Übung wird auch das Metrum runder.
- du bemühst dich um eine bildliche Sprache, hier in Form der Schatten, offenbar als Personifikation von Menschen und der Sonne bzw. den Sonnenstunden als Zeitraum der Möglichkeiten, des Aufeinandertreffens, des Verbindens.
In sich passen die Bilder gut zusammen.
Das alles kann seine Wirkung aber nicht entfalten, weil der Text wie gesagt sprachlich so ungünstig konstruiert ist.
Dein erster Satz:
Die Blicke sich trafen
Als sich sahen, zwei Schatten
Absehen davon, dass das Komma falsch gesetzt ist (es gehört hinter "trafen", nicht hinter "sahen"),
Ist die Satzreihenfolge derart deformiert, betrachten wir die standardmäßige Satzstellung:
"Die Blicke trafen sich, als zwei Schatten sich sahen."
Zweimal verschiebst du hier nämlich das Reflexivpronomen "sich" - ja, das ist ein sprachliches Stilmittel (Inversion), aber in dieser Form sehe ich nicht, welchen Mehrwert es dem Text bringen soll?
Der einzige Grund für diese Verschiebung ist, "Schatten" ganz hinten stehen zu haben, für den Reim.
Weil die Sonne schien
Sie sich gefunden hatten
Und noch eine Inversion, diesmal ist das "hatten", auch wieder für den Reim, ganz nach hinten gewandert.
Es kommt außerdem ein Komma hinter "schien".
Leider keiner von ihnen
Sagte ein Wort
Und NOCH eine Inversion, das "sagte" wandert von zweiter Stelle weiter nach hinten.
Als sie sich doch trauten
War die Sonne wieder fort
Und damit ist das der einzige Satz in deinem kurzen Text, der grammatikalisch nicht verdreht ist XD
Allerdings kommt ein Komma hinter "trauten".
Das soll kein Verbot sein, nicht mit der Sprache zu spielen, sie zu biegen, und in ein lyrisches Kleid zu hüllen.
Aber dieser fast schon exzessive Einsatz von Satzverdrehungen hört sich einfach gar nicht mehr schön an.
Ich würde dir dabei empfehlen, nicht unbedingt immer dem allerersten Gedanken zu folgen, der vielleicht einen spannenden Reim produziert, und dann den Satz auf Biegen und Brechen in diese Reimstruktur zu pressen.
Nimm dir Zeit, auch andere Formulierungen auszutesten, in denen du auf Inversionen vielleicht sogar verzichten kannst - wenn sie keinen weiteren Nutzen außer Reimerzeugung haben.
Ein Beispiel für den ersten Satz:
Sie wechselten Blicke
von Schatten zu Schatten.
Ja, um es zusammenzufassen:
Ich bin generell Fan davon, einen Text vielleicht kurz ruhen zu lassen und dann später nochmal mit frischem Blick darauf zu schauen.
Man muss es nicht zerdenken, was ich auch gern tue.
Aber ein kurzes Innehalten darüber, ob das wirklich alles war, was wir für unseren Einfall tun konnten, dürfen wir unseren Texten angedeihen lassen!
Ich wünsch dir gute Weiterarbeit, lass dich nicht unterkriegen 😉
LG Chris