Memento Mori 1888
Alles ruft in diesem Leben,
Schöpfer, hilfreich dich hier an,
Noch kein Aug' hat es gesehen,
Wer es ist, der helfen kann.
Eitler Wahn ist hier der Glaube,
Das die Menschen Götter sind,
Wer kann hier dem Menschen rauben
Was ihm die Natur verliehn?
Sag dir Mensch, in deinem Stolze,
wie lange her ist deine Bahn?
Nach einer Stunde lieget im Holze -
verschließt die Erde deinen Wahn.
Er ist's, der die Blüten öffnet,
Der die Sterne hat gesäet,
Er ist's, der die Toten wecket
Eh das Fleisch zu Grabe gehet.
Gleich dem Reichen stirbt der Starke,
Eitel ist die Herrlichkeit,
Und im Sarge fault das Karge
Staub auf Staub, zur Ewigkeit.
Bis das Blut hier umgestaltet
Diese Erd zum Paradies,
Bis ein Geist auf Erden waltet
Der nicht den Mensch ins Tierreich stieß.
Ja, im Traume sieht der Weise,
Fern vom Körper schweift der Geist,
Und wohin geht diese Reise?
Dort, wo man vom Schlaf nichts weiß.
Wer beschreibt uns diese Gabe?
Dunkel ist uns dieser Streit;
Alles wandert zu dem Grabe
Irdischer Gerechtigkeit.
Alles Fleisch muss hier versiegen,
Stürmend steht der Geist nicht still,
Und am Grabstein kannst du lesen,
was eitler Hochmut da noch will.
Aufgetan der Wahrheit Schleier,
Das die goldene Zeit beginnt,
Sterben muss dies Ungeheuer
Bis die Menschen Menschen sind.
© J. Waldeck 1888
Mein Ur-Urgroßvater schrieb so oft vor sich hin. Leider waren seine zahlreichen Kinder nicht imstande, sein Erbe zu bewahren
und die Winter waren kalt und Papier in jenen Zeiten vor und nach den zwei Weltkriegen knapp.(
Vor allem in jenen vernachlässigten Gegenden.)
Also kritzelten sie ihre Zeichnungen und erste Wörter darauf oder es landete
als kaum leserlicher Fetzen mit seiner dünnen Bleistiftschrift im Ofen.
Zudem teilten sich die Verwandten die wenigen Exemplare und irgendwie verschwand alles
was sein Geist schuf.
Bis auf dieses eine Werk im traditionellen Versmaß.
Das Gedicht vermittelt womöglich ein falsches Bild von ihm, denn er war ein gewissenhafter Gegner
der Kirche und sprach ihr jedweden moralischen Anspruch ab.
Zwei kleine Verbesserungen waren nötig, da das Gedicht fehlerhaft abgeschrieben wurde.
Ich denke, sein Geist wird erst Ruhe finden, wenn mein Geist genug
auch für ihn mitgeschrieben hat.