Der November hat ein monochromes Schiefergrau gewählt, in das er den anbrechenden Morgen taucht.
Die Stadt wirkt wie eine Bleistiftskizze, nur unterbrochen vom fahlen Neon der Reklameschilder.
Kleine Windböen treiben Nieselregen schräg vor sich her, der alle Konturen verwischt und winterliches Frösteln in die Gesichter der Passanten sprüht.
Jeder der bei diesem Sauwetter schon unterwegs ist weiß mit ziemlicher Sicherheit das die Sonne sich heute versteckt halten wird.
Trotzdem streben die Menschen die tristen Straßen entlang, auf dem Weg zu langweiligen Jobs, der ersten Flasche entgegen oder um den Dealer aus dem Bett zu klingeln und ein paar zerknitterte Geldscheine gegen ein bisschen Wärme und Vergessen einzutauschen.
Mittendrin steht eine junge Frau, ihr Name ist Rahel. Bald wird ihn jeder kennen, aber das kommt erst später.
Der rote Umhang mit der großen Kapuze, den sie über ihr weißes Leinenkleid geworfen hat, dass ihre Reinheit symbolisiert, wirkt wie ein wohl gesetzter Kontrapunkt, zu diesem Tag.
Die schläfrige Menge brandet träge um sie herum, während sie noch dabei ist sich in der Fremde zu orientieren.
Wo wir nur grau sehen, prasseln die Eindrücke zahlreicher auf sie ein als der feine Regen.
Der Vater hat sie gut vorbereitet, aber dieses laute schmutzige Sündenbabel selbst und mit allen Sinnen zu erleben ist etwas ganz anderes.
Lärm und Gestank gehen von der Blechlawine aus, die sich auf der Straße langsam vorwärts schiebt.
Die Fahrer sind hinter den Autoscheiben kaum zu erkennen, aber sie begreift das Drängeln, den Zweck der Hupen und der aggressiven Gesten, die allgegenwärtig scheinen.
Laute Musik dröhnt aus den Fahrzeugen, wahrscheinlich gotteslästerlich und derbe Flüche, bei denen sich diese Frage gar nicht erst stellt.
Rahel erschaudert und wendet sich den Leuten auf dem Gehweg zu.
Ein jeder scheint damit beschäftigt, den anderen zu ignorieren.
Die Köpfe halten sie gesenkt, denn viele von ihnen stehen im Bann kleiner technischen Geräte, über die ihre Hände fliegen und die zum Dank ihre freudlosen Gesichter erhellen.
Manche haben unförmige Apparate auf dem Kopf, aus denen dumpfe klopfende Rhythmen dröhnen.
Niemand lächelt oder interessiert sich für den anderen, vom Geschenk des anbrechenden Tages ganz zu Schweigen.
Kein Wunder, taub und geblendet wie diese Menschen sind.
Am schlimmsten aber sind die Frauen.
Sie tragen ihre Haare offen, den Kopf stolz erhoben, ohne eine einzige Spur von Demut.
Im Gegenteil, sie suchen ihre Verderbtheit mit Schmuck und hinter geradezu obszöner Maskerade zu verbergen.
Aber Rahel können sie nicht täuschen, diese bemalten Huren, mit den knallroten Lippen.
Ein neuerlicher Schauer durchläuft sie, Empörung steigt in ihr auf, denn nirgends ist ein Zeichen von Gott zu erkennen.
Plötzlich steht ein Mann neben ihr.
„Alles in Ordnung, Schwester?“
Er wirkt freundlich und sie braucht einen Moment, um zu begreifen was er damit meint.
Dann fällt es ihr wieder ein.
Um ihren Hals baumelt ein Kreuz, das Symbol der Ketzer.
Schon bleiben andere neugierig stehen, um sie anzustarren, tippen ihren Nebenmann an und deuten in ihre Richtung.
Der Mann wiederholt seine Frage, er wirkt ehrlich besorgt.
Das ist nicht gut, Aufmerksamkeit ist das Letzte was sie gebrauchen kann.
Sie zwingt sich ein Lächeln ins Gesicht, und ihre Augen dazu ihn direkt anzusehen.
„Der Herr möge dich segnen“ presst sie hervor und krönt ihre Vorstellung indem sie ein flüchtiges Kreuzzeichen über ihn schlägt.
Ohne eine Antwort abzuwarten zieht sie sich die große Kapuze tiefer ins Gesicht, verschränkt die Hände vor der Brust, als wolle sie beten und setzt sich in Bewegung.
Gott hat ihr einen kleinen Schubs gegeben.
Rahel hält den Kopf gerade so weit oben, dass sie die Hausnummern im Auge behalten kann und blendet den Rest aus.
Sie denkt an ihre Schwester Lea die jetzt ebenfalls unterwegs ist, um Gottes Werk zu tun.
Und an Samuel, der tot ist.
Vor wenigen Stunden waren sie zu dritt in die große Maschine gestiegen und nachdem sie das Gift getrunken hatte, waren ihnen Namen verliehen worden.
Ein Sklave und zwei Mägde aufgenommen in den Kreis des Höchsten, wiedergeboren im Licht.
Die beiden Schwestern waren heute angekommen, Samuel viele Jahre vor ihnen.
Nun ist er bereits bei Gott und Rahel ist froh darüber das Samuel so mutig gewesen ist.
Andernfalls hätte sie ihn selbst töten müssen.
Sie hatte die Kleidung vom Beifahrersitz genommen und das Schwert, welches nun unter ihrem Mantel verborgen ist.
Kalt und schwer hängt es an ihrem Körper, aufgeladen, mit dem gerechten Zorn des Allmächtigen.
Samuel war noch nicht lange tot, sein Körper war noch warm gewesen.
Einen Moment war sie versucht ihm den Segen zu erteilen, hatte es aber dann doch nicht gewagt.
Schließlich war sie am Ende nur ein törichtes Weib, unrein und mit ewiger Schuld behaftet.
Und doch hat es Jesus gefallen mich zu einem Soldaten zu machen, denkt sie.
Als Rahel vom Licht wandele ich nun durch die Straßen von Gomorra. Bereit das Schwert zu erheben, gegen die Ketzer und Apostaten.
Stolz lodert kurz in ihrem Inneren auf.
Doch gleich darauf spürt sie die zackige Narbe, die ihr Gesicht vom linken Wangenknochen bis zum Kinn teilt und die sie an ihren Platz erinnert.
Hochmut hat immer seinen Preis und Schönheit birgt das Übel der Sünde in sich.
Sie hat ihre Lektion gelernt.
Bismarckstraße Nummer 43 ist nicht mehr weit und liegt gegenüber, auf der anderen Straßenseite.
Das Haus aus schmutzig rotem Ziegelstein wirkt wie eine Trutzburg.
Es liegt direkt an der Straße, scheint sich aber ein wenig verschämt in den Hintergrund zu ducken, ganz so als weiß es um die Sündhaftigkeit der Ketzerei, die es unter seinem Dach beherbergen muss.
Rahel überquert zielstrebig die Straße.
Die Stadt wirkt wie eine Bleistiftskizze, nur unterbrochen vom fahlen Neon der Reklameschilder.
Kleine Windböen treiben Nieselregen schräg vor sich her, der alle Konturen verwischt und winterliches Frösteln in die Gesichter der Passanten sprüht.
Jeder der bei diesem Sauwetter schon unterwegs ist weiß mit ziemlicher Sicherheit das die Sonne sich heute versteckt halten wird.
Trotzdem streben die Menschen die tristen Straßen entlang, auf dem Weg zu langweiligen Jobs, der ersten Flasche entgegen oder um den Dealer aus dem Bett zu klingeln und ein paar zerknitterte Geldscheine gegen ein bisschen Wärme und Vergessen einzutauschen.
Mittendrin steht eine junge Frau, ihr Name ist Rahel. Bald wird ihn jeder kennen, aber das kommt erst später.
Der rote Umhang mit der großen Kapuze, den sie über ihr weißes Leinenkleid geworfen hat, dass ihre Reinheit symbolisiert, wirkt wie ein wohl gesetzter Kontrapunkt, zu diesem Tag.
Die schläfrige Menge brandet träge um sie herum, während sie noch dabei ist sich in der Fremde zu orientieren.
Wo wir nur grau sehen, prasseln die Eindrücke zahlreicher auf sie ein als der feine Regen.
Der Vater hat sie gut vorbereitet, aber dieses laute schmutzige Sündenbabel selbst und mit allen Sinnen zu erleben ist etwas ganz anderes.
Lärm und Gestank gehen von der Blechlawine aus, die sich auf der Straße langsam vorwärts schiebt.
Die Fahrer sind hinter den Autoscheiben kaum zu erkennen, aber sie begreift das Drängeln, den Zweck der Hupen und der aggressiven Gesten, die allgegenwärtig scheinen.
Laute Musik dröhnt aus den Fahrzeugen, wahrscheinlich gotteslästerlich und derbe Flüche, bei denen sich diese Frage gar nicht erst stellt.
Rahel erschaudert und wendet sich den Leuten auf dem Gehweg zu.
Ein jeder scheint damit beschäftigt, den anderen zu ignorieren.
Die Köpfe halten sie gesenkt, denn viele von ihnen stehen im Bann kleiner technischen Geräte, über die ihre Hände fliegen und die zum Dank ihre freudlosen Gesichter erhellen.
Manche haben unförmige Apparate auf dem Kopf, aus denen dumpfe klopfende Rhythmen dröhnen.
Niemand lächelt oder interessiert sich für den anderen, vom Geschenk des anbrechenden Tages ganz zu Schweigen.
Kein Wunder, taub und geblendet wie diese Menschen sind.
Am schlimmsten aber sind die Frauen.
Sie tragen ihre Haare offen, den Kopf stolz erhoben, ohne eine einzige Spur von Demut.
Im Gegenteil, sie suchen ihre Verderbtheit mit Schmuck und hinter geradezu obszöner Maskerade zu verbergen.
Aber Rahel können sie nicht täuschen, diese bemalten Huren, mit den knallroten Lippen.
Ein neuerlicher Schauer durchläuft sie, Empörung steigt in ihr auf, denn nirgends ist ein Zeichen von Gott zu erkennen.
Plötzlich steht ein Mann neben ihr.
„Alles in Ordnung, Schwester?“
Er wirkt freundlich und sie braucht einen Moment, um zu begreifen was er damit meint.
Dann fällt es ihr wieder ein.
Um ihren Hals baumelt ein Kreuz, das Symbol der Ketzer.
Schon bleiben andere neugierig stehen, um sie anzustarren, tippen ihren Nebenmann an und deuten in ihre Richtung.
Der Mann wiederholt seine Frage, er wirkt ehrlich besorgt.
Das ist nicht gut, Aufmerksamkeit ist das Letzte was sie gebrauchen kann.
Sie zwingt sich ein Lächeln ins Gesicht, und ihre Augen dazu ihn direkt anzusehen.
„Der Herr möge dich segnen“ presst sie hervor und krönt ihre Vorstellung indem sie ein flüchtiges Kreuzzeichen über ihn schlägt.
Ohne eine Antwort abzuwarten zieht sie sich die große Kapuze tiefer ins Gesicht, verschränkt die Hände vor der Brust, als wolle sie beten und setzt sich in Bewegung.
Gott hat ihr einen kleinen Schubs gegeben.
Rahel hält den Kopf gerade so weit oben, dass sie die Hausnummern im Auge behalten kann und blendet den Rest aus.
Sie denkt an ihre Schwester Lea die jetzt ebenfalls unterwegs ist, um Gottes Werk zu tun.
Und an Samuel, der tot ist.
Vor wenigen Stunden waren sie zu dritt in die große Maschine gestiegen und nachdem sie das Gift getrunken hatte, waren ihnen Namen verliehen worden.
Ein Sklave und zwei Mägde aufgenommen in den Kreis des Höchsten, wiedergeboren im Licht.
Die beiden Schwestern waren heute angekommen, Samuel viele Jahre vor ihnen.
Nun ist er bereits bei Gott und Rahel ist froh darüber das Samuel so mutig gewesen ist.
Andernfalls hätte sie ihn selbst töten müssen.
Sie hatte die Kleidung vom Beifahrersitz genommen und das Schwert, welches nun unter ihrem Mantel verborgen ist.
Kalt und schwer hängt es an ihrem Körper, aufgeladen, mit dem gerechten Zorn des Allmächtigen.
Samuel war noch nicht lange tot, sein Körper war noch warm gewesen.
Einen Moment war sie versucht ihm den Segen zu erteilen, hatte es aber dann doch nicht gewagt.
Schließlich war sie am Ende nur ein törichtes Weib, unrein und mit ewiger Schuld behaftet.
Und doch hat es Jesus gefallen mich zu einem Soldaten zu machen, denkt sie.
Als Rahel vom Licht wandele ich nun durch die Straßen von Gomorra. Bereit das Schwert zu erheben, gegen die Ketzer und Apostaten.
Stolz lodert kurz in ihrem Inneren auf.
Doch gleich darauf spürt sie die zackige Narbe, die ihr Gesicht vom linken Wangenknochen bis zum Kinn teilt und die sie an ihren Platz erinnert.
Hochmut hat immer seinen Preis und Schönheit birgt das Übel der Sünde in sich.
Sie hat ihre Lektion gelernt.
Bismarckstraße Nummer 43 ist nicht mehr weit und liegt gegenüber, auf der anderen Straßenseite.
Das Haus aus schmutzig rotem Ziegelstein wirkt wie eine Trutzburg.
Es liegt direkt an der Straße, scheint sich aber ein wenig verschämt in den Hintergrund zu ducken, ganz so als weiß es um die Sündhaftigkeit der Ketzerei, die es unter seinem Dach beherbergen muss.
Rahel überquert zielstrebig die Straße.