In den darauffolgenden Ferien verbringe ich die Sommermonate zusammen mit meiner Mutter in einem Blindenerholungsheim. Das befindet sich in St. Georgen am Reith in Niederösterreich. Ich gehe – mehr oder weniger freiwillig – mit meiner Mutter ein bisschen spazieren. Ich lese ihr und einer Gruppe von blinden Frauen, die sich in wenigen Tagen gebildet hat, zwischen Gabelfrühstück und Mittagessen Romane vor und freue mich, wenn es ihnen gefällt. Meine Mutter ist sehr stolz auf mich.
Nach dem Mittagessen kann ich drei bis vier Stunden für mich selbst verwenden. Ich spiele also mit den anderen Buben, die als Begleitpersonen für Blinde mitgekommen sind, was ich und Buben in meinem Alter eben machen: Fußball spielen, raufen und Mädchen necken. Bei sonnigem Wetter gehen wir baden. Es gibt eine Badehütte, die zum Blindenheim gehört und für die wir den Schlüssel bekommen. Galant wie wir jungen Männer sind, lassen wir den Mädchen den Vortritt und warten, bis sie sich umgezogen haben. Als sie in ihren Badetrikots herauskommen, gehen wir in die Umkleidekabine und entledigen uns der Kleider. Bevor wir noch unsere Badehose anziehen, hören wir von draußen Getuschel und sehen durch die Spalten der Holzhütte, wie die Mädchen zu uns hereinschauen. Jetzt verhalten wir uns besonders leise und hören gerade noch, wie eine von ihnen sagt: „Der hat doch einen hübschen Hintern!”
Von diesen gleichaltrigen Kindern schon für den heißen Vormittag zum Baden eingeladen, will ich heute meinen Sozialdienst absagen. Das wird von meiner Mutter nicht akzeptiert, ich muss mein Vorhaben aufgeben und gegen meinen Willen vorlesen. Ich bin zornig. Nach der Lesestunde ist es fürs Baden zu spät.
Mit Wut im Bauch mache ich mich nach dem Abendessen auf den Weg. Ich weiß nicht wohin, wähle aber die Straße nach Göstling. Nach drei Stunden bin ich dort. Ich lege mich auf eine Parkbank. Aber die ist mir zum Liegen und Schlafen zu hart. Ich wandere weiter. Nur nicht zurück! Mein nächstes Ziel ist Lunz am See. Was macht man hier um Mitternacht? So gehe ich weiter, am Mittersee vorbei, zum Obersee. Diese zusätzlichen zwanzig Kilometer kosten mich wieder fünf Stunden. Es ist früh am Morgen. Der kleine Obersee ist smaragdgrün und für mich besonders jetzt sehr idyllisch. Ich entdecke einen kleinen Kahn. Entgegen meiner Erwartung sind – welches Gefühl der Wonne – auch Riemen da. Ich setze mich hinein und rudere seelenruhig. Das ist Erholung pur. Ich bin endgültig besänftigt. Befreit von meinem Zorn mache ich mich auf den Rückweg. Die vierzig Kilometer bei sommerlichem Wetter sind für mich ein Genuss. Ich fühle in mir die Befriedigung, dass meine Mutter hoffentlich große Angst ausgestanden hat, weil ich 24 Stunden nicht da war. Tatsächlich ist sie recht kleinlaut, vor allem auch deswegen, weil sie die Vorlesestunde absagen und deswegen viele besorgte Kommentare anhören musste. – Ich ärgere mich nicht mehr.
Nach dem Mittagessen kann ich drei bis vier Stunden für mich selbst verwenden. Ich spiele also mit den anderen Buben, die als Begleitpersonen für Blinde mitgekommen sind, was ich und Buben in meinem Alter eben machen: Fußball spielen, raufen und Mädchen necken. Bei sonnigem Wetter gehen wir baden. Es gibt eine Badehütte, die zum Blindenheim gehört und für die wir den Schlüssel bekommen. Galant wie wir jungen Männer sind, lassen wir den Mädchen den Vortritt und warten, bis sie sich umgezogen haben. Als sie in ihren Badetrikots herauskommen, gehen wir in die Umkleidekabine und entledigen uns der Kleider. Bevor wir noch unsere Badehose anziehen, hören wir von draußen Getuschel und sehen durch die Spalten der Holzhütte, wie die Mädchen zu uns hereinschauen. Jetzt verhalten wir uns besonders leise und hören gerade noch, wie eine von ihnen sagt: „Der hat doch einen hübschen Hintern!”
Von diesen gleichaltrigen Kindern schon für den heißen Vormittag zum Baden eingeladen, will ich heute meinen Sozialdienst absagen. Das wird von meiner Mutter nicht akzeptiert, ich muss mein Vorhaben aufgeben und gegen meinen Willen vorlesen. Ich bin zornig. Nach der Lesestunde ist es fürs Baden zu spät.
Mit Wut im Bauch mache ich mich nach dem Abendessen auf den Weg. Ich weiß nicht wohin, wähle aber die Straße nach Göstling. Nach drei Stunden bin ich dort. Ich lege mich auf eine Parkbank. Aber die ist mir zum Liegen und Schlafen zu hart. Ich wandere weiter. Nur nicht zurück! Mein nächstes Ziel ist Lunz am See. Was macht man hier um Mitternacht? So gehe ich weiter, am Mittersee vorbei, zum Obersee. Diese zusätzlichen zwanzig Kilometer kosten mich wieder fünf Stunden. Es ist früh am Morgen. Der kleine Obersee ist smaragdgrün und für mich besonders jetzt sehr idyllisch. Ich entdecke einen kleinen Kahn. Entgegen meiner Erwartung sind – welches Gefühl der Wonne – auch Riemen da. Ich setze mich hinein und rudere seelenruhig. Das ist Erholung pur. Ich bin endgültig besänftigt. Befreit von meinem Zorn mache ich mich auf den Rückweg. Die vierzig Kilometer bei sommerlichem Wetter sind für mich ein Genuss. Ich fühle in mir die Befriedigung, dass meine Mutter hoffentlich große Angst ausgestanden hat, weil ich 24 Stunden nicht da war. Tatsächlich ist sie recht kleinlaut, vor allem auch deswegen, weil sie die Vorlesestunde absagen und deswegen viele besorgte Kommentare anhören musste. – Ich ärgere mich nicht mehr.