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Feedback jeder Art Wüstenregen

Hier gelten keine Vorgaben mit Ausnahme der allgemeinen Forenregeln.
  • Josina
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2. Februar 1856
Als der Händler, dem ich dieses prächtige Kamel abkaufen wollte, mich fragte, warum ich die Wüste alleine durchquere, nur um einen fremden Mann zu suchen, der vermutlich schon längst tot sei, antwortete ich recht zielbewusst: "Auch wenn wir uns nicht kannten, hätte er für mich dasselbe getan." Wohl stehen dem alten Mann Weisheit und Verständnis eines Lebens am Rande der Wüste ins Gesicht geschrieben, doch auf eine solche Torheit wusste er sich keinen Rat, als mir zu versichern, dass die Wüste keine Leichtfertigkeit verzeihe, besonders nicht den Europäern. Daraufhin vertraute er mir das Tier an, ohne einen Taler zu verlangen. Kurz zögerte ich ob der Schwere, die ich darüber empfand, doch ließ ich mich nicht abbringen, sattelte und belud das Kamel und stieg auf. Dem Händler blieb nichts mehr, als mir Gottes Segen zu wünschen, was ich erwiderte, ehe ich dem Süden entgegen ritt.
Zwar könnte ich die Torheit, die ich ihm entgegnete mit einigem Sinn schmücken - nicht ohne Grund kann ich annehmen, dass Eduard Vogel nach mir gesucht hätte, sowie er aufbrach, um den verschollen Geglaubten Barth zu finden, Männer, die einen Weg begingen, um einen Weg zu finden. Doch als die Stadt hinter mir verschwand und die dürre Endlosigkeit sich um mich schloss, dass ich dem Eindruck erliegen musste, die Wüste müsse einen Mann unweigerlich verschlingen, wurde mir gewiss, was ich vorher schon ahnte: es ist dennoch eine Torheit. Männer, die verschwinden, um Männer zu suchen, die verschwunden sind. Nein - so edel dies erscheinen mag - mich in diese Kette des leidvollen Heldenmutes einzureihen, kann kein hinreichender Grund für meine Reise sein. Vermutlich habe ich auch deshalb niemandem in der Heimat gestanden, wohin meine Reise wirklich geht, damit dies mit mir ein Ende findet - ob ein gutes oder schlimmes Ende weiß die Wüste allein.
Wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, weiß ich nicht genau, was mich dazu bewogen hat. Aber ich spüre, dass es einen ursprünglicheren, inneren Grund am Quell meiner Seele gibt, unabhängig von allen äußeren Anlässen und Rechtfertigungen, jeglichen Selbstbildnissen zuvorgekommen. Nur in diesem Empfinden kann ich den Mut aufbringen, den ich auf meiner Reise brauche. Denn was auch immer es ist, das ich suche - ich finde Leid und Angst in mir. Dabei ist der erste Tag noch nicht vergangen. Aber ich finde auch eine Ruhe bei mir, für die ich keine Worte haben kann, da der undeutlichste Gedanke darüber bereits diese Ruhe zu brechen vermag.
Durch meinen Zelteingang beschaue ich mein Kamel, wie es derart friedvoll und über die Gefahren der Wüste erhaben in der Abendsonne liegt. Ich bewundere dieses Tier ob seiner Genügsamkeit und Sorglosigkeit. Wir haben uns heute bereits ausgezeichnet verstanden. Bald geht die Sonne unter und schickt mir hoffentlich einen kühlen Gruß.
 
3. Februar 1856
 
Meine erste Nacht in der Wüste war schlaflos. Wusste ich zwar vorher schon, dass die Nächte hier mitunter sehr kalt werden können, doch kann man sich eine solch frostige Kälte nicht vorstellen, wenn es am Tage derart heiß ist. Auch musste ich dabei einsehen, dass ich mich viel zu schlecht vorbereitet hatte. Eine wärmere Decke wäre vonnöten. Nun gut, ich werde in dieser Wüste nicht erfrieren. Länger als ein paar Wochen wird meine Durchreise ohnehin nicht dauern.
Noch in der Dunkelheit ritt ich auf die Berge zu, die sich als Silhouetten vor dem klaren Sternenhimmel abzeichneten. Von oben auf dem Grat bei Sonnenaufgang - nie habe ich solche Schönheit in einer derartigen Grausamkeit gesehen. Ein goldenes Meer tat sich vor mir auf und erzwang meine Demut. So weit das Auge reicht und bis an den Horizont meiner Vorstellung nur Sand! Und eines dieser unzähligen Sandkörner bin ich.
Nachdem ich heute früh das Gebirge passiert hatte, erschien mir die Mittagssonne bedeutend brennender als gestern, was mir eine längere Pause abnötigte. Emil - so nenne ich mein Kamel - hat es mir gedankt. Ich bin froh über das Mindestmaß an Gesellschaft, das ich an ihm habe. Es ist fast, als müsse ich ihn nicht führen, als führe er mich entschlossen durch die Wüste, wohl wissend, dass sie weit hinter dem Horizont endet. Ich kann es nicht erwarten, bis ich dort angelangt bin. Diese Hitze flimmert immerzu in meinen Sinnen und unaufhörlich erfüllt ein tiefes Pfeifen des Windes die Luft und sinkt in meinen Verstand hinab.
Was Emil fraß, weiß ich nicht, denn ich konnte beim besten Willen keine Pflanzen ausmachen. Aber er fraß, während ich die Pause für einen kleinen Erkundungsmarsch nutzen wollte. Nach wenigen hundert Metern jedoch begriff ich meinen Fehler, als die Hitze mich vornüber drückte und ich mich mit den Händen auf meinen Knien abstützen musste. Da musste ich mich fragen, was ich hier in dieser leer belassenen Landschaft überhaupt zu entdecken gehofft hatte. Zurück am Rastplatz angekommen, ruhte ich mich in Emils Schatten aus, zu müde, um einen Gedanken zu beginnen.
Am späten Nachmittag, als die Sonne langsam zur Ruhe kam, brachen wir wieder auf. Ich beginne zu verstehen, dass in der Wüste nicht ich der Herr über meinen Körper bin. Nein, getrieben bin ich vom Diktat der Wüste. All meine Handlungen haben in der Natur ihren Urheber.
 
4. Februar 1856
 
Trotz meines Schleiers sind meine Haare voller Sand, fast als sei die Wüste nichts Äußeres, als entstünde sie aus mir heraus; an meinem Körper klebt der Sand; in meinem Mund ständig Sand! Gelingt es mir abends, mich noch eben vom Sande zu befreien, hat er am Mittag wieder Besitz von mir ergriffen. Überhaupt führt alles hier immer wieder zum selben Punkte zurück. Kaum trinke ich einen Schluck, bin ich wieder durstig. Kaum gelange ich 10 Kilometer voran, wähne ich mich doch wieder am gleichen Ort, mitten in der Wüste.
 
Ich versuche meinen Geist von dieser Trostlosigkeit abzubringen und stelle mir Afrika vor - jenseits der Wüste. Ich weiß im Grunde nichts darüber und doch sehne ich mich seit meiner Kindheit  in den wundervollsten Bildern danach. Was ich  über das Wesen der Menschen , über die Natur und über mich selbst erfahren und zu lernen vermag, davon habe ich keine Vorstellung. Doch in mir liegt eine Gewissheit, dass ich nicht mehr als derselbe Mann zurückkehren werde.

Also schweife ich über die Wüste hinweg zu Orten von unergründlich tiefer Schönheit, zu den Savannen mit ihren Löwen und Elefanten, zu dichten, unberührten Wäldern mit Pflanzen, deren bunte Schätze all unseren Sinnen gänzlich unbekannt sind, zu grün gesäumten Flüssen, wo Gemeinschaften leben, die unsere Vorstellung davon, wie der Mensch ist und wie er sein kann, ins Unendliche zu dehnen vermögen. Doch die meisten meiner Gedanken versanden in der Wüste.
 
Hallo, guten Abend,
 
ich habe mit Interesse dein Wüstentagebuch verfolgt. Ist die Geschichte hier fertig oder fängt sie erst an? Da es in Romane gepostet ist, gehe ich von letzterem aus.
Schön!
 
Liebe Grüße
Liara
 
Hi Schmuddl,
hier liest ein richtiger Afrikafan mit  : Sali
 
du schreibst echt flüssig und sehr spannend. 
 
Liebe Grüße
 
 
 
 
Liebe Liara, liebe Sali,
 
vielen Dank für euer Interesse an dem Büchlein. :smile:
 
ich habe mit Interesse dein Wüstentagebuch verfolgt. Ist die Geschichte hier fertig oder fängt sie erst an? Da es in Romane gepostet ist, gehe ich von letzterem aus.


Schön!
Tatsächlich hat sie noch gar nicht so richtig angefangen. Bisher war das alles eher die Einleitung. Wenn die Geschichte so richtig in die Gänge kommt, wird sie sich in eine unvorhergesehene Richtung entwickeln und dann wird es hoffentlich etwas packender. Ich freue mich aber, dass du sie bis hierhin schon als schön bezeichnen kannst. :grin:
 
hier liest ein richtiger Afrikafan mit  : Sali


 


du schreibst echt flüssig und sehr spannend. 
Danke für dein Lob, Sali! :grin:
 
Ich fühle mich zwar auch sehr dem afrikanischen Kontinent hingeneigt, aber Wüsten mag ich eigentlich gar nicht so. Umso mehr wundert es mich, dass ich irgendwann anfing, diese Geschichte zu schreiben. :achselzucken:
 
Aber bei literarischen Texten geht es ja nicht so sehr darum, wovon sie handeln, sondern wie sie geschrieben sind und dahingehend bin ich schon recht ob deiner Adjektive "flüssig" und "spannend" beruhigt. :smile:
 
LG
 
7. Februar 1856
 
Welch Vergnügen man in den kleinen Unterschieden vor der Gleichförmigkeit dieser Ödnis verspüren kann! Inzwischen ist der Sand hier ein ganz anderer; dunkler und fester, beinahe lehmartig mit vereinzeltem Geröll. Auch sind zuweilen ein paar kleine Pflänzchen auszumachen, die mich stets dazu einladen, abzusteigen und diese kleinen Wunder zu bestaunen, weniger wegen ihrer Schönheit - sind diese dürren Strauchgewächse doch kaum eine größere Augenfreude als trockenes Getreide - als vielmehr weil das Leben doch auch hier seinen Platz findet, wo der Tod ein viel leichteres Spiel hat. Und auch Emil findet seine ganz eigene Freude an der kargen Vegetation. So dankbar er sich darüber zeigt, dass ich ihm des Öfteren Entlastung biete, indem ich neben ihm hergehe (was mir auf diesem Boden deutlich leichter fällt als in dem feinsandigen Gelände, das wir hinter uns gelassen haben), so dankbar bin auch ich, dass ich in ihm einen derart geduldigen Begleiter gefunden habe, der bisher noch nie über seine Last klagte. Schon einige Anekdoten habe ich gehört über Kamele, die sich weigerten, ihre Reiter weiter zu befördern.
Hoffnung stiften solche Abschnitte, die ich in diesen Landschaftsänderungen erkenne, weil ich erfahre, dass ich vorankomme. Den Blick zum Horizont gerichtet, muss man unweigerlich glauben, diese schier endlose Weite sei unüberwindbar. Aber wie viele Abende habe ich schon den Horizont erreicht, den ich am Morgen noch für jenseits meiner Kräfte wähnte? Daher habe ich mir vorgenommen, mich an Vorläufigerem und Näherem zu orientieren. Voller Vorfreude erwarte ich, in wenigen Tagen bei einer Oase anzukommen. Wenn ich diese innere Leichtigkeit in dunklem Sand und trockenem Gestrüpp bereits finde, wie paradiesisch mag dann ein Ort sein, an dem Palmen wachsen, Menschen miteinander reden und ich mein Haupt im Wasser kühlen darf?
 
9. Februar 1856
 
Keine Oase fand ich vor, sondern ein leeres Loch und Steine, die, obgleich nach sorgsamem Ermessen von Menschenhand gebaut, der Wüste entwachsen scheinen. Auch hier hat sich also die Trockenheit durchgesetzt und alle Hoffnung entweicht im Ungewissen. Zwar habe ich nichts verloren, jedoch wähne ich mich ärmer als zuvor. Und da ich mich nach ein wenig Gesellschaft sehnte, bin ich nun noch einsamer.
Fast erkenne ich das Leben in diesen Ruinen. Wie sich die Mauern im Ansatz gerade empor recken, dem kargen Boden zum Trotz! Darin sehe ich Stolz und Zuversicht. Doch wie sie nach der Willkür der Natur gebrochen, wie aus Mauern Geröll und aus Geröll schließlich Staub wurde, der sich im ewigen Staub der Wüste verlor - Scham und Resignation sind darin festgehalten.
Um meinem Besuch hier nicht völlig der Sinnlosigkeit preiszugeben, meißelte ich meinen Namen in das Gemäuer. Noch ehe der nächste Unglückselige die Steine näher besehen wird, wird der Wind ihn abgetragen haben.
 
11. Februar 1856
 
Nie hätte ich zu hoffen gewagt, dass solch seelische Fülle die Folge dieser Leere sein mag, die mich umgibt. Bereits am Morgen sah ich in der Ferne etwas der Form und der Farbe nach der Wüste Entrücktes. Eine Karawane war es, wie sich später herausstellte, die mir entgegenritt, vier Männer und fünf Kamele. Würdevoll erhobenen Hauptes saßen die Männer in ihren Satteln und mit einer Leichtigkeit und Eleganz wankten ihre Hüften im Takt der Kamele, dass ich Mühe hatte, in irgendwelchen Zeichen die Strapazen einer mehrwöchigen Reise zu erkennen. Fast als gleite die Wüste unter ihnen hinweg!
Als sie abstiegen, um mich zu begrüßen, entfalteten sich die langen Gewänder zu stillen Begleitern, die frei ihre Beine umspielten und doch den sanften Schritten folgten, die weniger als Schritte, denn vielmehr als im Detail undeutliche, im Gesamtbild jedoch fließende, erhabene Bewegung zu erkennen war. Auch ich stieg ab und während ich die Härte dieser Landschaft mit den weichen Zügen ihrer Ankunft in Einklang zu bringen versuchte, kam der Älteste auf mich zu, enthüllte sein großväterliches Lächeln vom blauen Schleier, umfasste mit der linken Hand meinen Ellbogen und mit der rechten Hand die meinige und ich war einer von ihnen. Mit einem Male wusste ich, ohne dass ein Wort darüber notwendig war, dass in der Wüste alle Menschen Freunde sind. Wie die anderen Männer mich auf dieselbe Weise begrüßten, war es mir nicht anders als ein glückliches Wiedersehen.
Die drei jüngeren Männer ließen keine Zeit verstreichen, einen kleinen Pavillon zu bauen. Da ich gerade meine Hilfe anbieten wollte, griff der Alte meine Hand und sagte: "Sorge dich um nichts! Du bist unser Gast." Er bat mich zu entschuldigen, dass sie nicht annähernd anbieten können, was einem Gast zustehe und drückte seine Hoffnung aus, Linsensuppe, Datteln und Minztee mögen dem freudvollen Beisammensein dennoch nicht abträglich werden. Ich äußerte mein Bedauern, dass ich die Gastfreundschaft nicht durch ebenso reichhaltige Gaben erwidern könne, aber es mir gleichwohl danach dränge, mein Brot mit ihnen zu teilen. Erst als die Jüngeren den Pavillon errichtet, einen Teppich ausgebreitet und Kissen darauf verteilt haben, ließ der alte Mann meine Hand los. Da ich ein Kissen zu wenig vorfand, setzte ich mich auf den Boden. Doch der Jüngste, ein Bursche von vielleicht 15 oder 16 Jahren, wies mir ein Kissen neben dem Alten zu und setzte sich an meiner statt auf den Boden.
Meine Vorstellung vom Leben in der Wüste hätte nicht falscher sein können. Raue Menschen hatte ich erwartet, Schroffheit von der schroffen Landschaft geprägt, verbittert über den Mangel an Gesellschaft. Ja, sie spiegeln die Wüste, doch sie spiegeln diese wie das Wasser, worin man zwar die Wüste noch erkennen kann (wie man etwa den allgegenwärtigen Mangel in ihrer Selbstgenügsamkeit erkennen kann oder die Stille der Wüste in der Ruhe ihres Herzens), worin man aber eben auch das Wasser selbst sieht - sanft und gütig. An Worten verstand ich nur die Hälfte des Gesprächs, da sie sich eines Dialekts bemächtigten, den ich nicht beherrsche. Doch an Gesten war ihre Rede so reich, dass mir ihre Worte oft nur als melodische Begleitung erschienen. Und so bildhaft sprachen sie, dass durch ihre einfachsten Worte alles gesagt war.
Als jedem ein Teller zugeteilt wurde und ich mein Brot, das ich gestern Abend zubereitet hatte, zugab (und wie köstlich eine einfache Linsensuppe ist, habe ich heute erst begriffen), sprach der Alte zu meiner Linken: "Diese Gesellschaft ist Gottes Freude. Denn die Wüste lehrt uns, wie nah wir alle einander sind. Lasst uns dankbar dafür sein!" Der Mann zu meiner Rechten zeigte sich ausgesprochen interessiert, woher ich komme und welche Sprache ich spreche. Da ich entgegnete, dass der ferne Norden meine Heimat sei, war ich fast ebenso erstaunt über meine Antwort wie die Händler, die darauf bestanden, ich möge ein paar Worte in meiner Muttersprache zum Besten geben. Auf die Schnelle fiel mir nichts anderes ein, das die deutsche Sprache würdiger vertritt, als Goethes Gedicht "Gefunden". Auch wenn sie kein Wort verstanden, saßen meine Zuhörer regungslos da, mit offenem Munde und lehnten sich zu mir herüber, als ob sie versuchten, den Sinn meiner Rede in dem Klang zu finden - dabei kam ich nicht umhin, mir auszumalen, wie viele Orte sie schon gesehen haben und wie viele Sprachen sie schon gehört haben mussten. Schließlich übersetzte ich das Gedicht, recht dürftig zwar, denn ein Gedicht kann wohl nie mit allem, was es birgt, übersetzt werden, aber scheinbar verständlich genug, dass die Männer sich darüber ergriffen zeigten.
"Die Pflanzen sind Gott am nächsten", kommentierte der Alte und schöpfte aus seiner Erinnerung: "Als junger Mann ging ich weit in die Wüste hinaus und pflanzte eine junge Dattelpalme. Ich suchte viele Tage lang nach dem besten Ort, wo ein Baum in der Wüste gedeihen könne. Ich las alle Zeichen, die die Wüste mir gab und konnte dennoch nicht erwarten, dass das Leben Bestand haben würde. Die so reich an Jahren waren, wie ich heute, hielten es für vertan. Ich jedoch ahnte in meinem jugendlichen Trotz, dass die Wüste verstehen lernen, bedeutet, das Leben zu ergründen. Viele Jahrzehnte später führte mein Weg in die Nähe der Stelle, an welcher ich das Bäumchen pflanzte. Also nahm ich mir die Zeit zu besehen, ob die Palme sich behaupten konnte. Nie habe ich Schöneres gesehen. Mitten in der Wüste stand die Palme von stattlicher Größe und Eleganz und sie trug Früchte. Ich näherte mich und befühlte den festen Stamm und hatte Gewissheit: Die Wüste ist nicht feindlich. Sie lässt das Leben zu, wenn es ihrer würdig ist. Man kann hier kein Leben gegen die Natur führen. Nur im Einverständnis mit der Wüste hat das Leben hier seinen Platz. Als ich zärtlich ihre Rinde streifte, stieß ich auf eine Einkerbung. Da stand in den klarsten Lettern eingeritzt: "Danke""
Ich rang um Fassung. Hatte der Mann beiläufig jemandem das Leben gerettet, der vielleicht noch nicht einmal geboren war, als der Gute den Baum pflanzte? Er ließ die Schüssel mit den Datteln herumgehen und als ich mir eine nahm, sprach ich ihn auf die verlassene Oase an, die einem doch den Eindruck abnötigte, die Wüste sei recht feindselig. Er nickte verständnisvoll und gab zu: "Die Wüste ist gewiss kein Freund. Dieses weite Land gehört der Wüste und wer es durchquert, muss dies anerkennen und nur wem dies bereits gelang, darf mit Recht ihren Namen nennen. Doch wer die Wüste kennt, dem mag sie einen Platz einräumen. Nie jedoch besitzt der Mensch, was die Wüste ihm leiht." Ich konnte ihm stundenlang zuhören und hätte an keinem anderen Ort sein wollen, als unter diesen Menschen, die Demut und Stolz in sich tragen wie die Wurzel und die Frucht derselben Seele. Nach dem Essen deckten die Händler mich mit Tee, Datteln und Wasser ein. Auch tauschte ich meine Decke von etwas edlerem Stoff gegen eine einfache, aber wärmere Decke, was unbedingt vonnöten war.
Mir gegenüber saß ein Mann von schlanker Gestalt, der das gesamte Gespräch über viel lachte, aber wenig sagte. Erst als er mich nach einigen Stunden fragte, was ich denn ganz alleine in der Wüste tue, musste ich mich wundern, dass dieses Sujet nicht schon eher aufkam. Inzwischen glaube ich, dass wenn Menschen einander in dieser Einöde begegnen, sie nicht so sehr an den Absichten des Anderen interessiert sind, aus Furcht, dies könnte etwas von der reinen Begegnung nehmen. Nun erklärte ich ihnen also mein Vorhaben und da wies mich mein Gegenüber daraufhin, er habe vor einigen Wochen einen Europäer gesehen von jugendlicher Präsenz. Seine Beschreibung ist dem, was ich von Vogel weiß, kongruent. Dieser sei weit im Süden auf eine westliche Parallelroute in Richtung Norden aufgebrochen. Ehe ich einen Entschluss fassen konnte, verabschiedete ich mich, bedankte mich in vielen, und dennoch nicht ausreichenden Worten für die beseelende Gesellschaft und verließ schon den Handelsweg in Richtung Westen.
 
12. Februar 1856
 
Da ich den Weg verlassen habe, ließ ich alles hinter mir, was in dieser Wüste menschlich ist. Dachte ich bisher, ich fürchtete diese Gegend, so weiß ich jetzt erst, was wahre Furcht ist. Sollte mir hier etwas zustoßen, kann ich nicht auf Hilfe hoffen. Meine Überreste werden zu einem Teil dieser Landschaft werden, ehe sie jemand finden mag. Ich fühle mich vergessen bis zu einem Punkt, an dem ich selbst nicht mehr weiß, ob die Spuren hinter mir die meinigen sind. Nur die unerträgliche Stille vermag mir meine Existenz zu bestätigen, da sie mich fragt, wessen Spuren es sonst seien. In dem Ziel meiner Reise versuche ich mich wiederzuerkennen und finde selbst hierin Zweifel. Mit anmaßenden Rechnungen versuche ich die Frage zu beantworten, ob ich, an dem Handelsweg angekommen, nach Norden oder Süden weiter reiten soll. Da schätze ich die Entfernung zwischen den beiden Wegen in dieser Breite, sowie eventuelle Krümmungen der Wege, Vogels Reisegeschwindigkeit etc. und komme zu dem Schluss, dass er bald schon nördlich von mir sein müsse. Doch verändere ich nur Kleinigkeiten in der Rechnung, erscheint es mit einem Mal sinnvoll, den Weg nach Süden hin abzusuchen. Alles ist der Willkür der Wüste ausgesetzt. Und dann kommen mir auch Zweifel, ob es sich bei dem Europäer überhaupt um Vogel handelt. Nichts weiß ich und habe dennoch meinen Weg verlassen.
Ich kann nur hoffen, der Weg möge mir eine Eingebung bescheiden, wenn ich dort angelangt bin. Überhaupt habe ich gelernt, was ein Weg wirklich bedeutet. Er birgt Gewissheit, dass Menschen etwas Erstrebenswertes am Ende für sich gefunden haben. Haben sich doch diese Handelsstraßen durch die Jahrhunderte eben so durch die Einöde gebahnt, wie sie heute zu begehen sind, und nicht anders, damit Menschen einander begegnen können, die sich weigern, die Natur als Hindernis solcher Zusammenkunft anzuerkennen. Über diese Worte verliere ich mich wieder in Bildern der gestrigen Gesellschaft. Mein hastiger Aufbruch mag verborgen haben, wie mir der Abschied schmerzte, den ich, kaum auf mein Kamel gestiegen, gerne wieder zurückgenommen hätte. Doch in ihren Augen konnte ich sehen, dass sie vielleicht besser noch als ich verstanden haben, weswegen ich gehen muss. So wähne ich mich trotz aller Furcht und aller Zweifel in meiner Entscheidung bestärkt. Und wenn über das reine Erleben hinaus dieses Treffen einen Zweck haben sollte, dann ist dies die vage Hoffnung, meine Bestimmung sei, was auch immer sie sei, abseits vorgetretener Pfade zu finden.
 
Hallo Schmuddelkind,
 
gerne bin ich deiner Geschichte in die Wüste weiter nachgefolgt und bin gespannt, wie es weitergeht.
 
Liebe Grüße
Liara
 
Danke, Liara! :smile:
 
Freut mich, dass ich dein Interesse wecken konnte und hoffe, die Lektüre wird sich auch weiterhin für dich lohnen.
 
LG
 
13. Februar 1856
 
Heute früh dachte ich an Vogel - oder an den Mann, den ich für Vogel halte. Gerade als ich daher mit mehr Drang zu reiten begann, bemerkte ich, dass die Wüste andere Pläne mit mir hat. In den feinsten Sand geriet ich, den ich je durchschritten habe und nicht schneller erlaubte mir der Boden zu reiten, als es ihm beliebte. Wenn die völlige Ruhe einen Takt hat, so ist es dieser Takt, nach welchem Emil sich bewegt. Als wir hier ankamen, wo ich mein Lager errichtete, nahm ich eine Handvoll Sand und ließ ihn zwischen meinen Fingern dahin rieseln und ich fühlte die Zeit ins Leere des Lebens laufen. Weich wie Wasser und gleichsam erbarmungslos! Wie kann die Welt aus sich heraus fortbestehen, die zwischen der Schönheit und dem Tod nicht zu unterscheiden gedenkt?
 
16. Februar 1856
 
Es war, als hätte die Wüste ihre kleinen Unebenheiten allmählich, Woge für Woge, zu bedrohlichen Sturmwellen aufgetürmt. Allzu langsam, wie in ungewisser Befürchtung, kämpften wir uns dem unerreichbaren Blau entgegen, während der Wind mit zunehmender Gewalt meine Gedanken verwehte. Der Sand schien auf den Dünen zu schwimmen, die sich wie eine unendliche Wiederholung desselben Ortes vor mir auftaten. Dieses unaufhörliche Rauschen und Grollen! Dann sanken wir mehr, als dass wir schritten, den Hang wieder hinab in die dunkle Enge, die uns immer wieder erwartet, Düne für Düne. Hier ist kaum ein Vorankommen und ich frage mich, wann dies ein Ende haben wird.
 
Liebe Liara,
 
definitiv hast du recht, wenn es um die zeitgenössischen grammatischen Regeln geht: Das Dativobjektpronomen steht immer hinter dem Akkusativobjektpronomen. Ich meine aber, dass ich in älteren Texten schon gesehen habe, dass diese Reihenfolge vertauscht war, bin mir aber jetzt weder sicher, ob dies regelkonform bzw. zumindest gebräuchlich war oder der Autor einen Fehler machte, noch ab wann die heutige Reihenfolge als feste Regel festgelegt wurde. Habe eben versucht, ein bisschen was zu dem Thema zu googeln, aber ich finde leider nichts. :achselzucken:
 
Wäre schön, wenn es eine Internetseite zur historischen Entwicklung von Grammatikregeln gäbe. Ich schaue noch ein wenig weiter, aber wenn ich nichts diesbezüglich finde, sollte ich wohl auf Nummer sicher gehen und mich an die heutige Regel halten.
 
Danke für den Hinweis und freut mich, dass dir die Lektüre weiterhin zusagt. :smile:
 
LG
 
19. Februar 1856
 
Quer über die Dünen zu reiten, macht nicht nur Emil enorme Mühe. Es ist kaum ein Fortkommen, als vielmehr ein Versuch, nicht auf der Stelle zu bleiben. Unter seinen Hufen rieselt der Sand, dass es mir erscheint, wir befänden uns in einer Sanduhr und hätten keine Chance als hinabzusinken. So werden wir Vogel niemals abfangen können, wenn es nicht gar ein Geist ist, dem wir nacheilen. Ich habe beschlossen, ab übermorgen entlang der Dünen nach Süden oder Norden zu reiten, falls bis dahin kein Ende in Sicht ist, in der Hoffnung, bald wieder in eine Ebene zu gelangen.
 
20. Februar 1856
 
Als wir heute auf dem letzten Dünenkamm des Tages ankamen - ich hatte gehofft, in weiter Ferne ein Ende dieser gleichförmigen Schattenmuster zu erblicken - und der Wind mir noch heftiger entgegenwehte als sonst, da stieß ich einen Schrei in die endlose Einsamkeit hinaus. Noch immer eine Düne nach der anderen! Bald scheint mir der Gedanke an ein Ende dieses fürchterlichen Meeres absurd. Ich weiß noch nicht, nach welcher Richtung mir der Sinn sein soll. Fast glaube ich, es gibt keine Richtung mehr.
 
Gehe ich nach Norden, um Vogel dann weiter westlich einzuholen? Vogel? Irgendeinem Fremden nachzueilen? Ist es dafür nicht schon zu spät? Ach, diese unzähligen Dünen haben mein Gefühl gebrochen, wie weit ich gekommen sein mag. Vielleicht sollte ich nach Süden reiten, um ostwärts wieder zurück auf den Weg zu gelangen. Irgendwo im Südosten müsste sich jedoch eine Oase befinden. Wer weiß, ob meine Vorräte sonst ausreichen? Oder einfach wieder zurückreiten? Ich weiß immerhin, woher ich kam. Doch es schüttelt mich bei dem Gedanken, diese Tortur hinter mich gebracht zu haben, um sie erneut anzugehen. Andererseits könnte der schnellste Weg zu einer Handelsstraße südlich der Dünen nach Westen führen, allerdings nur, wenn ich genügend weit vorangekommen bin. Ach, gleich welchen Weg ich einschlage, es ist der falsche. Als hätte die Wüste alle Vorhaben begraben!
 
25. Februar 1856
 
Gestern bin ich den Dünen entkommen und mit einem Mal war die Wüste viel schweigsamer. Beinahe als hielte sie den Atem an ob einer ernsten Vorahnung. Die vollkommene Offenheit der Landschaft finde ich in mir wieder, da ich allmählich nicht mehr weiß, wohin ich gehen soll... und zu welchem Zweck... und wie weit noch. Den ganzen Tag, beinahe ohne Pause reite ich durch den Sand und habe dennoch das Gefühl, nicht vom Fleck zu kommen. Alles sieht gleich aus. Die Anstrengungen im Dünenmeer haben mich dazu verleitet, mehr zu trinken, als ich es mir zugestanden hatte. Von nun an werde ich mich sehr mäßigen müssen. Ich kann nur hoffen, dass ich bald auf einen Handelsweg treffe und Menschen anfinde. Hoffnung ist das Glück der Unglückseligen. Morgen lasse ich Emil entscheiden, wohin unsere Reise geht.
 
1. März 1856
 
Überall nur Sand... So langsam werden meine Wasservorräte knapp und ich muss sie mir noch sorgsamer einteilen. Mehl habe ich noch genügend und darum muss ich mir zumindest keine Sorgen machen - an Trockenheit mangelt es hier wahrlich nicht. Wenn ich nicht bald wieder zurück auf den Weg finde, habe ich keine Hoffnung mehr für mich. Dies könnten also einige meiner letzten Worte sein. Ich wünschte mir immer, meine letzten Worte wären bedeutsam und weise. Von nichts anderem weiß ich allerdings zu reden als von Angst und Durst.
 
  • Josina
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