Hallo Carlos,
Hölderlin, der Turmbewohner. Diese Intention hatte ich beim Schreiben nicht - zumindest nicht
bewusst. Aber da ich eben schon sehr, sehr viel und sehr viel Verschiedenes gelesen habe, kann ich nicht mit Sicherheit sagen, was sich mein Unterbewusstsein so alles ausdenkt und auch nicht, woher es immer alles nimmt. :wink: Es gibt ja auch die unbewusste Erinnerung.
Jetzt, wo du es erwähnst, kann auch ich Anklänge daran 'sehen'. Zu weit hergeholt ist das nicht. Denn das LI versteckt sich hier vor dem Tag, dem harten, brüllenden Tag. Sieht die Nacht als Befreiung, ja, Erlösung. Ein Feind-Freund-Bild. Hölderlins 'geistige Entrücktheit', die manche auch als geistige Verwirrung und manche als Wahnsinn betrachteten. Er 'schloss sich aus', schloss sich weg von der Welt. Was nicht verwunderlich ist - die während seines Zwangsaufenthaltes in der damaligen Psychiatrie durchgeführten Behandlungen hätten jeden traumatisiert und haben sicher das genaue Gegenteil einer Besserung bewirkt ...
Auch wenn es hier nicht so offensichtlich ist, sondern - dem Inhalt entsprechend - 'versteckt', geht es hier ebenfalls, so wie in 'The circle of life' um Angst. Die hier nicht zu Hass, sondern zur Flucht führt. Und, am Ende, zum 'letzten Ausweg' - wie es Sternwanderer sehr gut erkannt hat - zum Suizid. Ganz genau betrachtet, ist Selbstmord auch eine Form der Gewalt - aber es handelt sich nicht um Gewalt gegenüber anderen, sondern um einen 'Gewaltakt gegen sich selbst'.
Das LI kann den 'Tag', die damit verbundene, erzwungene Begegnung mit dem 'Harten' (Menschen) und dem 'Brüllen' (laute Welt, laute Menschen, laute Maschinen) nicht aushalten. Sucht Zuflucht und Schutz in der Nacht. Wenn die meisten Menschen schlafen, die meisten Autos nicht fahren, alles leiser und nicht mehr so 'bedrohlich-gefährlich' wirkt. Die Welt des Tages empfindet das LI nicht nur als bedrohlich, sondern auch als 'hässlich' - richtet den Blick hinauf zum Sternenhimmel, sucht und findet Trost in dessen Schönheit.
Ich schrieb in meinem Gedicht 'The circle of life' von Angst, so wie hier. Dort auch in meinen Kommentarantworten vom 'Kampf-oder-Flucht-Reflex'. Dort war das Thema der Kampf - hier ist es die Flucht.
Vielen Dank für dein Interesse und deinen Kommentar - und auch dafür, dass du mir Gedanken an Hölderlins Turm mitgebracht hast. :smile:
LG,
Anonyma
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Hallo Sternwanderer,
ich lese wunderschöne Verse
in denen ich mich geborgen fühle
spüre die herzliche Umarmung
und die Wärme, die aus ihnen spricht.
Es bedarf keiner Worte mehr
als nur diese vier Zeilen
in ihnen steht unglaublich viel.
ich kann mich nur bei dir bedanken. Es ist schön, dass du in Strophe 3, dem 'zentralen Mittelpunkt' hier im Gedicht, so viel für dich finden konntest. Ich befürchtete sogar ein wenig, dass die 'Struktur' bzw. der 'Aufbau' vielleicht auch den Inhalt 'beeinträchtigen' könnten. Die Enjambements, die Veränderung, die damit verbundene Andeutung auf den 'geistig-emotionalen' Zustand des Lyrischen Ichs. Das scheint, wie mir dein Kommentar aufzeigt, glücklicherweise nicht der Fall zu sein. Daher freue ich mich, wenn ich diesen 'Balanceakt' offenbar gut genug hinbekommen habe.
Ja, die Nacht besitzt ihre ganz eigene - manchmal auch durchaus verführerische - Schönheit. Unsere 'Instinkte' lassen uns die Nacht meistens fürchten, das stammt aus Zeiten, in denen die Nacht voller realer Gefahren war - Raubtieren, 'unsichtbaren Gefahren'. Und wir das Licht, das Feuer, nutzten, um uns zu schützen, da unsere menschlichen Augen nachts sehr schlecht oder unter Umständen auch gar nichts sehen können. 'Man weiß nie, was im Dunkeln lauert', könnte man sagen. Trotzdem fühlen wir uns auch von der Nacht angezogen. Sie 'beflügelt' auch unsere Phantasie, kann geheimnisvoll und mystisch sein. Und sie bietet Schutz - in dem Sinne, dass sie auch eine Zuflucht sein kann, für Menschen, die sich vor den sichtbaren Gefahren des Tages fürchten. Flucht, fort von der 'harten Wirklichkeit', in die 'Welt der Träume'.
Nun bin ich mir deiner Liebe sicher
und geb mich dir hin - geliebter Tod -
in deiner Ewigkeit Glorie
Ja, das Feind-Freund-Bild. Der Tag als Feind - die Nacht als Freund. Das Leben als Feind - der Tod als Freund. Die 'Umkehr im Geiste', was auf den geistig-emotionalen Zustand des LI hinweist.
Hier im Gedicht verwende ich das Wort Angst kein einziges Mal. In The circle of life dagegen sehr oft. Dennoch ist sie hier ebenso präsent wie dort. Nur eben anders. Und doch - sie führt zum Tod. Hier und dort. So und so. Anders und doch irgendwie gleich ...
Und beides ist gleichermaßen traurig.
Sehr poetische Zeilen, die du mir in deinem Kommentar geschenkt hast, ich danke dir! :smile:
LG,
Anonyma