Moin Sidgrani,
insgesamt ist das ein schöner Text 🙂
Besonders gefällt mir die bildliche Darstellung der Schwester Erinnerung.
Davon hätte ich gern noch mehr gesehen!
Dieses Bild der 3 Schwestern hat für mich Anleihen von den Moiren, bei denen die eine den Lebensfaden jedes Menschen webt, die andere bestimmte seine Länge und die dritte zerschneidet ihn schlussendlich.
Das geht bildlich nicht ganz so in diesem Text auf, aber das war denke ich auch nicht das Ziel.
Hier haben wir ein neues Schwesterntrio, bestehend aus der Erinnerung (also vergangene Lebenszeit), der Zukunft (also alles, was wir noch vorhaben und vor uns haben), und der Zeit (hier gemeint als gegenwärtige Zeit, in der wir unser Leben leben).
Die Zeit, die mittlere Schwester bekommt dabei hier den Hauptfokus und am meisten Raum, was ich an sich schon auch ok finde.
Ein paar andere inhaltliche Aspekte empfinde ich allerdings als störend:
sie kennt kein Heute und kein Morgen.
Später wird ja im Text durchaus offenbar, dass sie das Morgen durchaus kennt, ist es nicht Ihre Schwester Zukunft?
Das heute auf der anderen Seite ist doch sie selbst.
Ich finde, der Vers macht mit dem, was noch kommt, keinen Sinn.
und nie bereit, sich uns zu borgen.
das ist jetzt eher sprachlich als inhaltlich, aber kann man
sich jemandem borgen?
Ganz klar kann man
jemandem etwas borgen, aber wie du das Verb hier benutzt, klingt es für mich sehr schräg.
Sie ist nicht alt und auch nicht jung
und fest verbunden mit den Schwestern.
Hier wird für mich dann dieser ungleiche Fokus erstmals deutlich, bei 3 Schwestern fände ich die Formulierung "mit ihren Schwestern" folgerichtiger.
Durch "mit den Schwestern" werden die beiden aber auf eine andere Ebene ins Abseits gestellt.
Vielleicht ist das hier auch ein metrischer Kompromiss.
ODER: Sollen diese beiden Verse bereits eine Umschreibung der Schwester Erinnerung sein?
Das wird hier überhaupt nicht klar, es liest sich so, als wäre das hier weiter Umschreibung der Schwester Zeit, um die es ja in Strophe 1 ging. Dafür hätte die Erinnerung namentlich hier vorher benannt werden müssen.
Wo ich eben schon beim Sprachlichen war, auch bei diesen Versen noch eine kleine Anmerkung:
Die Bezugnahme des zweiten Verses ist nicht ganz eindeutig, also ob der Bezug zu "Sie ist" oder zu "Sie ist nicht" hergestellt gehört.
Gerade vor dem Hintergrund, dass die Zeit, wenn es hier nun um sie geht, ja als offenbar wichtigste der Schwestern dasteht, könnte das missverständlich sein.
Unmissverständlicher, so sie denn fest verbunden sein soll, wäre es vielleicht mit "ist fest verbunden mit den Schwestern."
Die zweite Schwester strebt zum Licht,
sie muss stets neu die Segel hissen.
Zum Horizont weist ihr Gesicht,
die Zukunft kennt kein Ruhekissen.
Mit dieser Strophe wird die Ungleichheit der 3 Schwestern nochmal mehr betont.
Nachdem die Erinnerung bloße 2 Verse zur Umschreibung erhalten hat, werden der Schwester Zukunft hier nun 4 Verse zuteil.
Wie gesagt, mit dem Ungleichgewicht bezogen auf die Schwester Zeit bin ich fein, aber dass auch Erinnerung und Zukunft so ungleich dargestellt sind, find ich persönlich unglücklich.
Hier aber ist der Bezug nun eindeutig, die Strophe startet direkt mit "Die zweite Schwester", so ist die Abgrenzung eindeutig.
Rein bildlich finde ich ihre Umschreibung allerdings nicht so gelungen, wie die der Erinnerung.
Das Licht, die Segel, das Ruhekissen, das ist mir alles zu durcheinander - klar, die Zukunft ist vielfältig, aber das wäre ja allein mit dem Bild des zu unbekannten Horizonten Segelns auch schon sehr abgedeckt gewesen.
Doch dem, der sie nicht nutzen mag,
ist sie um Mitternacht verfallen.
"jemandem verfallen sein" - versteh ich nicht.
Warum ist die Zeit verliebt in den, der die geschenkte Zeit nicht nutzt?
Du meinst doch eher, dass sie "für den verfällt, der sie nicht nutzen mag", oder?
Also:
Für den, der sie nich tnutzen mag,
wird sie um Mitternacht verfallen.
Bin gespannt auf deine Ausführungen, insbesondere zum Gleichgewicht zwischen den Schwestern^^
Gern gelesen,
LG Chris